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09.09.06 / Was ist nur auf dem Hügel los? / Die Bayreuther Festspiele boten in diesem Jahr unterschiedlich wertvolle Inszenierungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. September 2006

Was ist nur auf dem Hügel los?
Die Bayreuther Festspiele boten in diesem Jahr unterschiedlich wertvolle Inszenierungen
von Irmgard Dremel

Richard Wagner sagte einmal zu einer Freundin, als sie sich über die Mängel der Inszenierung beklagte, sie solle eben weniger auf die Bühne schauen und sich mehr auf die Musik konzentrieren. Ein wirklich guter Rat, der heute weltweit bei Opern- und Theateraufführungen aller Art schon zur Dauermahnung wird. Doch wenn Thielemann oder Schneider dirigieren, und Nina Stemme und Robert Dean Smith singen, ist diesem Rat leicht zu folgen, nur: Im "Fliegenden Holländer", den die Rezensentin sah, war dies nicht möglich. Das Dirigat von Marc Albrecht war recht "dünn", die dramatische Hochspannung, die dieses Werk vom ersten Takt des Vorspiels bis zum Schluß durchzieht, drang selten durch. Keine explosiven Steigerungen, wenig Detailmalerei. Von den Sängern kann man eigentlich nur den Steuermann gelten lassen. Norbert Ernst sang ihn wohlklingend und geschmeidig. Adrienne Dugger war der Rolle der Senta nicht gewachsen, die Stimme ist schrill bis stellenweise ausgeleiert.

So bringt auch "Augen zu - Ohren auf" wenig. Man muß allerdings zugeben, daß es die Sänger in dieser Inszenierung nicht leicht hatten. Die Erlösung, Wagners Zentralthema, fand nicht statt, statt dessen kratzte eine offenbar verrückte Senta am Schluß an der fensterlosen Wand, um dem Unerlösten hinterher zu eilen.

Das Herumkaspern mit zwei Senten, als Kind und als Erwachsene, und nochmals - damit drei! - als Puppe überzeugte nicht. Dazu: zwei Dalands - oder waren es zwei Holländer? Der eine war vom andern optisch kaum zu unterscheiden!

Fazit: Ein Holländer, in dem weder erlöst noch gesponnen wurde, in dem das alles bestimmende Urelement Wasser nur angedeutet war, und Schiffe nur als Spielzeuge vorkamen, ob das noch im Sinne des Komponisten lag?

In "Tristan und Isolde" gingen die Uhren anders, will heißen: Hier brachte die Devise "mehr hören - weniger schauen" sehr viel. Wie schon im Vorjahr wurden die Titelpartien überragend gesungen: Nina Stemme ist eine Isolde comme il faut - ein Sopran voll Kraft und funkelnder Schönheit von Anfang bis zum Ende, ein wahres Klangwunder! Robert Dean Smith als Tristan intonierte klar und verständlich wie selten ein Sänger in dieser Rolle und meisterte die stimmörderischen Partien des Todwunden im dritten Akt nicht schreiend - wie oft üblich - sondern sang sie differenziert aus, phrasierte weich oder scharf, wie es eben sein muß. Der Regisseur Christoph Marthaler ist nun mal bekannt für banale Einfallslosigkeit. Der Firlefanz mit den ewig an- und ausgehenden Lampen, auf die Isolde schwachsinnig-debil und ununterbrochen, mit spitzem Finger zeigte (manchmal auch auf die Lichtschalter), die faden Anzüge und Mäntel aus einem Kaufhaus der 50er Jahre, das Krankenbett Tristans im dritten Akt, mit dem Laufstall rings herum - zum Gähnen langweilig!

Und erst die Personenregie: Sie war, wie so oft heute, und hier besonders intensiv, gegen die Musik gerichtet. Eine Musik voller Drängen, Sehnen, nie enden wollend (Gregor-Dellin) und doch dem Ende zustrebend - und was war die Entsprechung auf der Bühne? Nichts! Die Akteure standen entweder die ganze Zeit starr im Raum herum, oder, noch schlimmer, mit dem Gesicht zur Wand wie bestrafte Schulschwänzer. So drückte der Regisseur Beziehungslosigkeit aus - mit dem Dampfhammer! Man wünscht sich selbst und den Sängern und Sängerinnen die großen Regisseure der Vergangenheit, damit sie so spielen können, wie sie singen. Sie haben es wirklich verdient!

Ein extra Bravo allerdings dem Dirigenten Peter Schneider: Er baute einen durchdachten Tristan auf, klar in der Struktur, aber voller Steigerung und Emphase, bis hin zum Liebestod!

Die Neuinszenierung des "Ring" durch Tankred Dorst - die Rezensentin hat ihn noch nicht besucht, daher sind ihre Anmerkungen marginaler Natur - hat viel Aufsehen erregt. Eine Dreiteilung der Meinungen ist mehr oder weniger festzustellen, wenn man die Fülle der Kritiken liest oder im Fernsehen mitbekommt: Das Dirigat Christian Thielemanns grandios, die Bühnenbilder Frank Philipp Schlößmanns zum Teil faszinierend, zum Teil banal, die Regie von Dorst meistens unklar und nicht schlüssig.

Nun, der "Ring" als eines der bedeutendsten Bühnenwerke überhaupt erregt natürlich beim Publikum wie bei der Kritik immer großes Für und Wider, und ganz besonders, wenn er in Bayreuth aufgeführt wird. Die Tradition des Ring reicht hier von den Bühnenbildern von Emil Pretorius über die sagenhaften Inszenierungen und Bühnenbilder Wolfgang und Wieland Wagners bis zu den Aufführungen unter der Regie von Chéreau, Hall, Kupfer, Kirchner und Flimm.

Auch hier wechselte großartige Bildhaftigkeit mit banaler Beiläufigkeit, packende Personenführung mit langweiligem Herumstehen ab. Trotzdem überwiegt im Gesamteindruck bei weitem was gelungen war! Rück-blickend kann man nur sagen, es war einfach überwältigend, ein "Jahrhunderterlebnis".

Nächstes Jahr wird Katharina Wagner, die Urenkelin, ihren Erst-auftritt in Bayreuth geben. Sie wird "Die Meistersinger von Nürnberg" inszenieren, ein Werk, in dem ihr Vater Wolfgang Wagner mehrfach Regie-Maßstäbe setzte, was zum Beispiel die Opulenz des Bühnenbildes und die ausgefeilte, hinreißende Personenführung betraf. Natürlich müssen wir von ihr eine ganz andere Werks-Auffassung erwarten - andere Zeit, andere Generation -, aber gerade das macht ja das Warten so spannend!


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