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16.09.06 / Todesengel / Bandenmitglied wird geläutert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. September 2006

Todesengel
Bandenmitglied wird geläutert

Wie jeden Abend machen sich die vier schwarzen, jungen Männer Butcher, Die Arp, Boston und Tsotsi auf den Weg zur "Arbeit": Sie erstechen mitten im Feierabendverkehr der südafrikanischen Hauptstadt Johannesburg einen anderen schwarzen Mann, rauben ihm sein Geld und lassen den sterbenden Familienvater im dichten Gedränge allein zurück.

Unmenschlichkeit, Brutalität, Stumpfsinn; hiermit konfrontiert der Autor Athol Fugard seine Leser. Der Roman, in den 60er Jahren geschrieben, 1982 erstmals veröffentlicht, 2005 als Filmvorlage entdeckt, die 2006 mit dem Oscar für den besten ausländischen Film geehrt wurde und im selben Jahr für den deutschsprachigen Buchmarkt neu herausgebracht, erzählt das Leben von jungen Schwarzen, die sich schon als Kinder in Straßengangs ihren Lebensunterhalt verdient haben. Doch niemand kommt böse zur Welt. Athol Fugard schildert in "Tsotsi", wie Menschen zu eiskalten Mördern werden können.

Während Die Arp und Butcher vor einer Kneipe eine Frau vergewaltigen, wird Tsotsie von dem im Gegensatz zu ihm gebildeten Boston gefragt, ob er den gar keinen Anstand gelernt habe. Blind vor Wut schlägt Tsotsi den 24jährigen, vier Jahre älteren Boston zusammen und flieht. Um sich abzureagieren, will er eine Frau vergewaltigen, doch statt dessen drückt diese dem Verblüfften einen Karton in die Hand und rennt davon. Dessen Inhalt, ein Neugeborenes, gibt dem Bandenanführer zum ersten Mal das Gefühl, nicht zu wissen, was zu tun ist. Schläge helfen nicht, das Baby schreit, hat Hunger, doch Tsotsi kann nicht lesen, keine Babymilch kaufen.

Nachvollziehbar schildert der Autor wie der junge Mann plötzlich durch das Kind an längst verdrängte Ereignisse aus seiner Jugendzeit erinnert wird. Das runzelige, schreiende Etwas öffnet bei Tsotsi längst verschüttete Schleusen zu seiner Vergangenheit. Erinnerungen erwachen, jene an seine verlorene Mutter, seinen Vater, sein Zuhause, seinen Namen, die Jahre in der Kindergang, in denen die Straßenkinder schneller starben als die Fliegen, wo nur Hartsein half zu überleben, bloß kein Mitleid, keine Schwäche zeigen, sonst bist du tot wie die anderen.

Am Ende ist Tsotsi verloren, das Kind hat ihm das genommen, was er brauchte, um auf der Straße zu bestehen. Der steinige Weg zum tragischen Ausgang ist ein bewegendes Lesestück. (Bel)

Athol Fugard: "Tsotsi", Diogenes, Zürich 2006, broschiert, 329 Seiten, 9,90 Euro, Best.-Nr. 5748


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