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23.09.06 / Die Saat geht auf / EU-Gesetzen zum Trotz dringt genveränderter Reis aus den USA auf den europäischen Markt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. September 2006

Die Saat geht auf
EU-Gesetzen zum Trotz dringt genveränderter Reis aus den USA auf den europäischen Markt
von Sverre Gutschmidt

Vor fünf Jahren, 2001, Reisernte in Louisiana, USA: Eine Testsorte genveränderter Reis wird geerntet. Routine in einem Land, dessen Bevölkerung genetisch aufgerüstete Pflanzen weniger als Risiko sieht denn der durchschnittliche Europäer. Die Testsorte der Firma "Aventis CropScience", LL601, 2002 übernommen von "Bayer CropScience", gelangt nun nach Jahren auf ungeklärte Weise in den deutschen Verkauf - das ist eindeutig festgestellt. Der Skandal: Diese Reissorte war nie als Lebensmittel zugelassen, weder in den USA noch in Europa, geschweige denn darauf getestet worden.

Der Appetit auf dampfenden Reis ist Otto Normalverbraucher dank einer Untersuchung der Umweltorganisation "Greenpeace" vergangen. Sie weist feinste Rückstände von erbgutverändertem LL601-Reis, ausgerechnet bei einem der kundenreichsten Discounter Deutschlands nach, läßt die Debatte um die Gentechnik hochkochen. Doch nicht das Für und Wider ist entscheidend: Die Frage nach der Effizienz von Gesetzen und Kontrollen, die versprechen, Gentechnik zu überwachen, drängt sich auf. US- wie EU-Landwirtschaftsbehörden ermitteln. Wie sie es tun, macht offenbar: Allein die Gen-Firmen entscheiden über die Entwicklung und Freigabe von Saatgut zu Testzwecken und bestimmen, was nachgewiesen werden kann.

Die europäischen Lebensmittelwächter arbeiten getreu der EU-Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Lebensmittel. Alles werde überwacht, der Verbraucher entscheide, ob er Gentechnik kaufen wolle oder nicht, heißt es aus Brüssel. Wo erbgutveränderte Pflanzen drin sind, muß dies sichtbar auf der Verpackung stehen, andernfalls ist der Verkauf verboten. Konkret geht es um eine Veränderung, die Reis LL601 weniger anfällig für Pflanzenschutzmittel macht - ob sie was mit dem Verbraucher macht, ist Spekulation. Und doch ist es ein Präzedenzfall, galt doch Reis bisher als sicher. Genveränderter Reis darf derzeit faktisch überhaupt nicht importiert werden. Alles Wunschdenken, wie der aktuelle Fall um die nicht als Lebensmittel zugelassene Reissorte LL601 zeigt.

Bereits die für Lebensmittel zum Standard gehörenden Tests auf allergieauslösende Eiweiße fanden bei LL601 nie statt. Solche Proteine sind selbst im klassischen Zuchtreis enthalten. Ein Test, ob LL601 womöglich bei vielen Verbrauchern Unverträglichkeiten auslöst oder vorhandene verstärkt, unterblieb. Tatsächlich ist es ausgerechnet ein Protein, das LL601 resistenter gegen Unkrautvernichtungsmittel machen soll. Andere Versuche, die sogar im Rahmen der Selbstkontrolle der Genindustrie üblich sind, entfielen offenbar. Extra gekennzeichnet war der Reis ohnehin nicht.

Natürlich bleibt offen, ob Dritte für die Verbreitung dieses Reis verantwortlich sind - Zwischenhändler und Lagerbetreiber in den USA. Wie es geschehen konnte, dazu will "Bayer" sich nicht äußern. Man habe keine Unterlagen mehr, höhere Grenzwerte für Rückstände von Genprodukten befürworte man allerdings schon - schließlich sei der Reishandel heute international und außerdem eh seien nur kleinste Spuren nachweisbar, heißt es unter der Hand.

Das Verfahren für die Zulassung derart veränderter Lebensmittel ist sehr streng. Muster sind zu hinterlegen, Patentverfahren einzuhalten, der Verbraucher ist dabei relativ abgesichert. Nur: "Aventis Crop-Science" ging mit LL601 nicht in ein Zulassungsverfahren. Was mit dem einmal geernteten Testreis passierte, blieb undokumentiert. Seit dem 18. August ist in Europa ein Test für LL601 vorhanden. Die Testmöglichkeit besteht erst, seit Bayer den Test herausgab. "Greenpeace" - mißtrauisch aufgrund der "Bayer"-Strategie bei Gen-Mais und anderen Gen-Produkten - ließ sofort große deutsche Einzelhändler auf LL601 testen. "Zwei Labore haben die DNA-Sequenz nachgewiesen", sagt Ulrike Brendel, "Greenpeace"-Gentechnikexpertin, gegenüber dem "Spiegel".

Wie lange der derart aufpolierte Reis im Regal stand, ist unbekannt. Nur wer weiß, was genetisch verändert wurde, kann es nachweisen. Die Prüftechnik ist damit in der Hand der Hersteller der Genprodukte. Selbstkontrolle, die nicht funktionieren kann, denn was legal als Gentechnik ausgewiesen ist, liegt bisher kaum verkäuflich in europäischen Regalen. Der Kunde will es nicht.

Außer dem reinen Testverfahren gab "Bayer" offenbar kein original Saatgut von LL601 preis. So bleibt nur der Nachweistest - nicht mehr. "Bayer" sieht das anders. Warum für LL601 nie die Zulassung beantragt wurde? - ganz einfach: Seinerzeit wurde ein "Reis ausgesucht, der besser war als LL601", sagt "Bayer"-Biotech-Expertin Annette Josten. Worin das "besser sein" besteht, darüber schweigt "Bayer". "Versuche mit LL601 sind eingestellt, Sicherheitsbedenken dafür nicht die Ursache", so Josten - "Bayer" vertreibe keinen gentechnisch veränderten Reis. Der Konzern betont die enge Zusammenarbeit mit der Reisindustrie bei allen Tests.

Und die EU? - mußte bei "Bayer" ein Nachweisverfahren erbitten. Inzwischen meldete die EU-Kommission, daß jede fünfte Langkornreisprobe, die sie in Europa nahm, LL601 enthalte. Vorher wäre ein LL601-Fund ein Zufall gleich der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen gewesen. Einzige Waffen der Behörden im Kampf gegen "illegale" Lebensmittel, wie "Greenpeace" LL601 gern nennt, sind Sanktionsdrohungen und Beweislastumkehr für US-Reis-Importeure. Sie müssen jetzt zeigen, daß ihre Ware LL601frei ist. Doch diese Waffen schrecken in den USA angesichts geringen Problembewußtseins kaum. Und "Bayer" setzt darauf, die Zeit würde für ein entspanntes Verhältnis zu erbgutverändertem Essen arbeiten, die "Bayer"-Sorte LL62 liegt schon bereit. - Ein Trugschluß, denn bisher haben die Großen der Genbranche, und um die geht es, wenig getan, dem Verbraucher die Vorteile schmackhaft zu machen. Im Gegenteil, sie machen es Gegnern der "grünen Gentechnik" allzu leicht.

... und noch mehr Gammelfleisch

Der Skandal um Gammelfleisch geht ungeachtet der Gen-Debatte in pflanzlichen Nahrungsmitteln weiter. Die "Bundesvereinigung der deutschen Ernährungswirtschaft" geht inzwischen davon aus, das bis zu 15000 Tonnen verdorbenes oder überlagertes sogenanntes Gammelfleisch noch in deutschen Kühlhäusern lagern. Das wäre zirka zehnmal soviel, wie bisher entdeckt wurde. Kritik an den staatlichen Lebensmittelkontrollen kommt jetzt auch verstärkt aus der Fleischindustrie selbst. Produzenten die um ihren guten Ruf besorgt sind, schlagen ein Rotationssystem gegen etwaige Korruption in amtlichen lokalen Prüfstellen vor. Der Hintergrund: Einem Frankfurter Lebensmittelkontrolleur konnte Bestechlichkeit nachgewiesen werden. Der Beamte wurde fristlos entlassen. Doch nicht nur bei der Korruptionsbekämpfung, sondern auch bei der personellen Ausstattung bewegen sich die Behörden. In Stellenanzeigen werden bereits Lebensmittelkontrolleure gesucht. SV

Foto: Reis in den USA: In den Vereinigten Staaten gelten genetisch veränderte Pflanzen als unbedenklich. (Corbis)


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