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23.09.06 / Mehr Akademiker braucht das Land / Trotz "Generation Praktikum" sieht der Arbeitsmarkt der Zukunft für Hochschulabolventen gut aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. September 2006

Mehr Akademiker braucht das Land
Trotz "Generation Praktikum" sieht der Arbeitsmarkt der Zukunft für Hochschulabolventen gut aus
von Rebecca Bellano

Studieren lohnt sich auch in Zukunft! Dies ist jedenfalls die Auffassung des "Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit" (IAB) in Nürnberg. Angesichts der aktuellen Meldungen über die "Generation Praktikum" mutet eine derartige Prognose jedoch ein wenig bizarr an. So sollen derzeit immer mehr Hochschulabsolventen trotz erreichten Abschlusses zum Nulltarif oder für wenige hundert Euro im Monat als Praktikanten beschäftigt werden. Dafür, daß dies ein ernstzunehmendes Problem ist, spricht der große Zuspruch, den die 29jährige Berlinerin Désirée Grebel Anfang April zu ihrer sich noch in Bearbeitung befindlichen Online-Petition beim Bundestag erhalten hat. 48000 Unterzeichner hielten es für sinnvoll, daß der Bundestag beschließe, "daß Praktika von Hochschulabsolventen, die länger als drei Monate dauern und in dem Berufsbild abgeleistet werden, für das der Hochschulabsolvent ausgebildet wurde, in ein reguläres Arbeitsverhältnis umgewandelt werden".

Nun hat sich Bundesarbeitsminister Franz Müntefering dieses Themas angenommen und will prüfen lassen, ob die Zahl der Praktika, in denen fertig ausgebildete Hochschulabgänger beschäftigt werden, tatsächlich zugenommen hat. Doch diese Prüfung ist keineswegs so einfach. Obwohl in Deutschland fast alles Sinn- und Unsinnige gemeldet werden muß, zählen Praktika in den seltensten Fällen dazu. So waren der "Bundesagentur für Arbeit" im Juli 2005 genau 6408 sozialversicherungspflichtige Praktika gemeldet - im Juli 1999 waren es 2970, was eine Zunahme anzeigt - , da aber nur ein kleiner Teil sozialversicherungspflichtig ist, befindet sich der Praktikaarbeitsmarkt in einer Grauzone. Ein Blick in die Stellenanzeigen zeigt zwar an, daß kein Angebotsmangel besteht, doch was davon ist für junge Menschen, die sich noch in der Ausbildung befinden und was für Abgänger? Die Frage, ob die Bundesregierung eine Meldepflicht einführen sollte, steht konträr zu dem immer wieder von allen Seiten geforderten Bürokratieabbau. Eine Meldepflicht könnte Unternehmen davon abhalten, jungen Menschen einen Einblick in ihr Unternehmen zu gewähren, und die für das Studium nötige Praxiserfahrungen gefährden. Aber selbst wenn eine Meldepflicht bestünde, würde sie Absolventen nicht schützen, ihre Lage nur statistisch nachvollziehbar machen.

Problematischer ist allerdings die Tatsache, daß die fertig Ausgebildeten nicht nur in der Statistik ein Schattendasein führen, sondern auch von ihren Rechten her allein dastehen. Daher fordert Müntefering auch eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes, in dem Praktika nur am Rande erwähnt werden. Eine genaue Definition, die Aspekte wie Lerninhalte, Dauer, Gehalt sowie Arbeitszeiten und -schutz regelt, gibt es nicht, und das öffnet Unternehmen Tür und Tor, die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt auszunutzen und junge Menschen mit Hochschulabschluß für ein paar hundert Euro im Monat 40 Stunden in der Woche und mehr zu beschäftigen. Da es sich beim Bundesbildungsgesetz jedoch um ein Gesetz handelt, in dem Bund und Länder gemeinsam Mitsprachrecht haben, ist hier nicht mit einer schnellen Änderung zu rechnen, Münteferings medienwirksame Rettungsaktion ist also ähnlich zu bewerten wie sein Kombilohnmodel für ältere Arbeitslose.

Immerhin haben die Praktikanten inzwischen die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihrer Seite. Auf der Internetseite des "Deutschen Gewerkschaftsbundes" können sie über Unternehmen, die sie als Praktikanten beschäftigt haben, urteilen, somit ihre potentiellen Nachfolger warnen und dem Arbeitgeber die Bewerber vorenthalten. "Bezahlung (585 Euro) war für ein Praktikum gut, aber nicht dem Arbeitsaufwand angemessen. Umfang der Tätigkeit hätte eine ,volle Anstellung' gerechtfertigt. Natürlich wurde eine spätere Übernahme in Aussicht gestellt, die niemals wirklich erfolgt, aber hochmotivierte Praktikanten garantiert. Zur Gewinnung von Berufserfahrung ist das Praktikum aber dennoch sinnvoll", schreibt ein Ex-Praktikant über die Firma "Continental" in Hannover. Hiermit schützt er andere davor, bei diesem Arbeitgeber das Versprechen, nach dem Praktikum winke eine Festanstellung, entsprechend realistisch einzuschätzen, denn es ist genau diese Aussicht auf eine Festanstellung, die Studienabgänger dazu motiviert, überhaupt ein zusätzliches Praktikum zu den schon während des Studiums absolvierten zu machen. Doch es geht auch andersherum. Auf der Internetseite www.jungekarriere.com/fair-company verpflichten sich 372 Firmen, Vollzeitstellen nicht mit Praktikanten zu besetzen, oder Hochschulabsolventen, die sich auf eine feste Stelle beworben haben, mit einem Praktikum zu vertrösten. "Die ,Audi AG' beteiligt sich an der Initiative ,Fair Company', weil es seit jeher Grundsatz des Unternehmens ist, junge Menschen auf ihrem Weg ins Berufsleben zu fördern und zu begleiten", heißt es dort beispielsweise. Und der Weg ins Berufsleben ist es, den letztendlich alle Absolventen anstreben.

Ein Studium soll sich lohnen, doch ein Blick auf die "Generation Praktikum" läßt Zweifel aufkommen, ob dem so ist. Franziska Schreyer vom IAB warnt jedoch vor Verallgemeinerungen, denn der Begriff "Generation Praktikum" bezeichne nur einen Teil der Studienabgänger. Was für Bauingenieure, Architekten, Geistes- und Sozialwissenschaftler gelte, betreffe nicht Elektroingenieure, Maschinenbauer, Informatiker, Mediziner und Lehrer. Trotz der "Generation Praktikum" sei die Devise "Je höher die Qualifikation, desto niedriger das Arbeitslosigkeitsrisiko" immer noch gültig. So lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote zeitweise schon bei elf Prozent, bei Akademikern hätte sie jedoch bisher nie die Fünf-Prozent-Marke überschritten.

Während der Akademikerarbeitsmarkt der Gegenwart besser sein könnte, leidet der Akademikermarkt der Zukunft laut IAB schon jetzt unter Nachwuchsmangel. Deutschland erlebe derzeit erneut einen strukturellen Wandel der Arbeitswelt. Auf dem Weg in eine Informations- und Wissensgesellschaft würden immer mehr sogenannte "sekundäre" Dienstleistungstätigkeiten in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Organisation und Management, Beratung und Lehre an Einfluß gewinnen, während produktionsorientierte Tätigkeiten wie "Gewinnen / Herstellen, Maschinen einrichten / einstellen, Reparieren" und einfache Büroarbeiten zurückgingen.

Der Arbeitsmarkt der Zukunft benötigt also mehr Akademiker als jetzt schon. So hat allein schon von 2000 bis 2004 die Zahl der beschäftigten Akademiker um 300000 Erwerbstätige zugenommen. Die demographische Entwicklung, die zur Folge hat, daß weniger Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt nachkommen als in Rente gehen, verbessert zusätzlich die Einstellungschancen des Hochschulabsolventen. So war allein im Jahr 2000 knapp die Hälfte der (westdeutschen) akademischen Bevölkerung zwischen 35 und 49 Jahren, 28 Prozent strebten in der Altersgruppe der 50- bis 64jährigen dem Ruhestand entgegen, während nur 26 Prozent unter 35 Jahren war. Auch lägen die Verdienstmöglichkeiten bei Akademikern immer noch über dem Durchschnitt.

Auch rät das IAB sich bei seiner Studienwahl nicht von modischen Strömungen oder aktuellen Mangelsituationen leiten zu lassen, da nach Studienabschluß fünf bis sieben Jahre später alles anders aussehen könne. Doch auch wenn die Arbeitsmarktlage für Akademiker mittelfristig wieder besser wird, so warnen die Nürnberger Forscher vor allem Politiker davor, das deutsche Bildungssystem weiter schleifen zu lassen. Zudem raten sie, den Trend zum Studium weiter zu fördern. So hat die Entwicklung, daß in den 90er Jahren viele Abiturienten eine Ausbildung statt eines Studiums angestrebt haben, schon jetzt eine Lücke in den Akademikernachwuchs gerissen.

Was ist ein "Trainee"?

Immer häufiger fällt auf, daß Unternehmen für einige Monate "Trainees" - meistens mit abgeschlossenem Wirtschafts- oder Ingenieursstudium - suchen. "Trainee" ist jedoch keineswegs ein anderer Begriff für Praktikant, sondern bezeichnet eine Form der Mitarbeiterrekrutierung, die speziell auf Führungspersonal ausgerichtet ist. Trainees absolvieren in den Monaten ihrer Betriebszugehörigkeit - zwischen sechs und 24 Monaten - verschiedene Abteilungen und besuchen nebenbei programmbegleitende Seminare.

Die Anbieter dieser Programme sind meistens große Unternehmen, die den Studienabgängern Detailwissen vermitteln, das Kennenlernen verschiedener Arbeitsbereiche ermöglichen und Einblicke in firmeninterne Organisations- und Sozialstrukturen gewähren. "Trainee"-Programme stellen für Unternehmen eine beachtliche finanzielle Belastung dar. So kostet eine Stelle je nach Intensität der nebenbei erfolgten Seminare jährlich zwischen 75000 und 100000 Euro pro Teilnehmer. Der Teilnehmer selbst erhält meistens ein je nach Branche normales Akademikereinstiegsgehalt.


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