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14.10.06 / Aus der Not geboren / Die "Galerie liberal" nutzt leerstehende Ladenlokale für Ausstellungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Oktober 2006

Aus der Not geboren
Die "Galerie liberal" nutzt leerstehende Ladenlokale für Ausstellungen
von Silke Osman

Es kann schon recht deprimierend sein, geht man in diesen Wochen und Monaten einmal durch deutsche Städte. Dort, wo einst schmucke Geschäfte auf Kunden warteten, sind heute oft genug nur leere Schaufenster zu entdecken. Boutiquen haben genauso schnell wieder "dicht gemacht" wie sie eröffnet wurden.

Doch nicht nur eine banale Geschäftsaufgabe ist zu bedauern. Dahinter stecken meist auch traurige Schicksale. Hoffnungsfroh sind junge Menschen daran gegangen und haben ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen wollen. Die Erwartungen jedoch waren meist zu hoch gesteckt. Man hatte nicht genug Startkapital, um die erste Durststrecke zu überstehen. Den Kunden sitzt der Euro schließlich nicht mehr so locker in der Tasche wie die gute alte D-Mark.

Doch nicht nur junge Unternehmer sind betroffen von der Flaute. Auch alteingesessene Geschäftsinhaber müssen oft genug aufgeben. Zum einen sind sie zu alt geworden, um weitermachen zu wollen, zum anderen aber finden sie kaum Nachfolger, die sich den Streß im Einzelhandel antun wollen. Die Folge: Der Laden wird kurzerhand geschlossen. Entweder wandelt man die Räume nun in Wohnungen um, oder man läßt die ehemaligen Verkaufsräume leer stehen, vielleicht findet sich ja doch ein Interessent.

Der Tristesse in der heimischen Innenstadt entgegenwirken wollen zehn Mitglieder des FDP-Kreisverbandes Solingen. Sie wollen nicht klagen, sondern ihren fachlichen und organisatorischen Sachverstand ehrenamtlich einsetzen und tatkräftig gegen die Misere angehen. Warum also nicht in den vorübergehend leerstehenden Ladenlokalen Kunst präsentieren und so das Erscheinungsbild der City und der Nebenzentren positiv beeinflussen? Warum nicht die Bürger auf unkonventionelle Art mit aktuellen und tradierten Tendenzen der bildenden Kunst vertraut machen? So mancher Bürger wagt den Schritt ins Museum, in eine Galerie nicht. Diese Schwellenangst zu nehmen ist nicht zuletzt auch eine Chance, die ein solches Vorhaben in sich birgt.

Seit Herbst 2004 nun präsentiert die "Galerie liberal" Ausstellungen von Künstlern aus Solingen, aber auch aus den Partnerstädten wie Chalon-sur-Saône. Gezeigt werden Malerei, Grafik, Fotografien, Plastik und Objekte. "Die ,Galerie liberal' entwickelt sich zu einem Zentrum experimenteller Kunst", freut sich Werner Brattig, selbst Künstler und treibende Kraft der Aktion. "Trotz der vielen Leerstände war es schwer, etwas Geeignetes zu finden. Früher hatten wir eine Galerie im Parteibüro. Aber das war Quatsch. Wer geht schon in ein Büro, um Bilder zu begucken", schmunzelt Brattig. "Es braucht Räume, wo man einfach mal mit der Einkaufstüte in der Hand hineingehen kann."

Da kam das leerstehende Ladenlokal in der Solinger Karstadt-Passage gerade recht. Nun nutzt die FDP die Räume in der Turmpassage als Ausstellungsraum - erfolgreich. Selbst gegenstandslose Kunst kommt an bei den Besuchern. "Ich mag es, wenn eine Aussage nicht eindeutig ist", so eine Kunstliebhaberin. "Ich sehe heute dies, morgen das." Das kann bei der jetzt gerade zu Ende gegangenen Ausstellung mit Malerei und Zeichnungen von Erwin Bowien (1899-1972) nicht der Fall gewesen sein (die PAZ berichtete in Folge 36).

"Ich male nie, bevor das Bild innerlich ganz geformt ist." Bis zu dieser Erkenntnis hat der Künstler, dessen Wurzeln in Ostpreußen waren, allerdings lange, dornenreiche Wege gehen müssen. Sie führten ihn von seiner Geburtsstadt Mülheim an der Ruhr über Berlin und die Schweiz, wo er Kindheit und Jugend verbrachte, nach Hannover, München, Dresden und Berlin, wo er sich zum Maler und Zeichner ausbilden ließ. In Hechingen und Solingen wirkte er als Kunst-erzieher, schließlich von 1932 bis 1943 als freier Künstler in Nordholland. Bowien kam nach Augsburg, wo er besonderes Aufsehen erregte, hatte er doch erstaunlicherweise in diesen Notzeiten immer ausreichend Leinwand. Als herauskam, daß Bowien kur-zerhand Hitler- und Göring-Porträts übermalte, floh er ins Allgäu, um einer Verhaftung zu entgehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Solingen zurück, um schließlich 1964 nach Weil am Rhein überzusiedeln, wo er seine alte Mutter betreute. 1972 starb Erwin Bowien in Weil am Rhein.

"Die Ausstellungen sollen mithelfen, daß Künstlerpersönlichkeiten den Kunstinteressierten bewußt werden - und bleiben", betont Werner Brattig. Eine Initiative, die durchaus Nachahmer finden dürfte.

Foto: Gut präsentiert: Moderne Kunst an ungewöhnlichen Orten (Galerie liberal)


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