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21.10.06 / Geschäft mit Hiobsbotschaften / Denkfabrik klagt, Deutschland nutzt sein Arbeitnehmerpotential zu wenig - das Land wird schlechtgeredet

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Oktober 2006

Geschäft mit Hiobsbotschaften
Denkfabrik klagt, Deutschland nutzt sein Arbeitnehmerpotential zu wenig - das Land wird schlechtgeredet
von Rebecca Bellano

Schon wieder schlechte Noten für Deutschland? "Zehnter Platz im Bildungsranking - Schlechtes Zeugnis für die Deutschen" titelte die "Süddeutsche Zeitung" als in der zweiten Oktoberwoche eine europaweite Bildungsstudie des "Think-Tank Lisbon Council" in Brüssel vorgestellt wurde. So hätten Wissenschaftler erkannt, daß die Bundesrepublik hinter andere europäische Staaten zurückfallen könnte, weil zu wenige Menschen hier arbeiten würden.

Das klingt bedrohlich, und nachdem Deutschland ständig in Sachen Qualität der Schulbildung und Zahl der Universitätsabsolventen beklagenswert abschneidet, folgt nun also von anerkannter Seite ein weiterer Schlag für das einstige Wirtschaftswunderland. Von hoher Arbeitslosigkeit war die Rede, von langen Studienzeiten, geringer Frauenerwerbsrate, Frühverrentung und geringen Geburtenraten.

Doch schon der erste Blick in die Studie zeigt, daß mehr versprochen wird (siehe Kasten) als die Realität hergibt. Eher ist Skepsis angebracht bei diesen spektakulären Ergebnissen - auch wenn die Wissenschaftler, die damit Aufsehen erregen wollen, sich zur Elite der deutschen Forscher rechnen. Letztendlich werden hier altbekannte Entwicklungen und Zahlen der europäischen Statistikbehörde "Eurostat" in englischer Sprache dargeboten. Außer "Eurostat" beruft sich der deutsche Autor von "Innovation at work: The European Human Capital index", Dr. Peer Ederer, auf ältere Veröffentlichungen seiner eigenen Denkfabrik "Deutschland denken!", die er mit zwei weiteren Studienkollegen 2000 gegründet hat.

In der Vita von Dr. Peer Ederer wird betont, daß der Unternehmer 1996 von der "Wirtschaftswoche" zur "Elite der Zukunft" gewählt wurde. Sein Lebenslauf klingt auch sehr vielversprechend: "Von 1994 bis 1998 arbeitete er bei ,McKinsey & Co' als Strategieberater und von 1989 bis 1992 bei der ,Deutschen Bank' in Tokio als Händler für Zinsinstrumente und Derivate. Er hält einen MBA-Abschluß der ,Harvard Business School' mit hoher Auszeichnung (Baker Scholar). Zuvor absolvierte er das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der ,Sophia Universität' in Japan als Jahrgangsbester."

Auch die Lebensläufe seiner beiden Kollegen bei "Deutschland Denken!" lassen auf ähnlich viel Potential schließen. Ruft man allerdings bei der in Frankfurt ansässigen Denkfabrik an, landet man bei dem Anrufbeantworter des Privatanschlusses eines der Firmengründer samt Lebensgefährtin. Auch die Internetseite der Denkfabrik spart mit Informationen.

Auch wenn die englischsprachige Internetseite der in Brüssel ansässigen Denkfabrik "Lisbon Council" mit überwiegend deutschen hochgebildeten Firmenmitgliedern immerhin mehr Informationen bereithält und auch professioneller gemacht ist, so stimmt auch hier einiges nachdenklich. So wird die "unabhängige" Denkfabrik von Firmen wie der "Allianz Gruppe", "Roland Berger", "ExxonMobil", "IBM", "Microsoft" und "Shell" finanziell in ihrem Tun unterstützt. Diese hat das Ziel, der Lissabon-Strategie der EU zu folgen, nach der Wachstum und Arbeit in der EU gefördert werden sollen. So publiziert das "Lisbon Council" zu den Themen Wissensgesellschaft, demographische Entwicklung, Wirtschaft und Sozialsysteme und organisiert Foren hierzu.

Alles wirkt so, als ob die vielstudierten Mitglieder der jeweiligen Denkfabriken sich als Redner zu aktuellen Themen für Veranstaltungen anbieten, ohne jedoch selber in der Materie zu sein. Dr. Peer Ederers "Innovation at work: The European Human Capital index" scheint jedenfalls schnell (und schlecht) aus anderen Publikationen zusammengeschrieben zu sein. Wenn das die Elite der Zukunft ist und diese ihr "Können" so einsetzt, dann mag es nicht verwundern, daß die EU bei der Erfüllung der in Lissabon verabschiedeten Ziele weit hinter Plansoll ist.

Eine Denkfabrik sollte nicht nur der Gegenwart, sondern auch der nahen Zukunft immer einen Schritt voraus sein. Eine Ansammlung von gutausgebildeten, elitären Veranstaltungsrednern, die vor lauter Dozieren das Denken vergessen und nur bereits Erkanntes wiederkäuen, ist mit der Deklarierung "Denkfabrik" nicht nur überfordert, sondern betreibt auch Etikettenschwindel.

 

Magere Ergebnisse mit viel Getöse

Innovation at work: The European Human Capital index", so der englische Titel der von dem Deutschen Peer Ederer herausgegebenen Studie. Die von der 2003 gegründeten, in Brüssel ansässigen Denkfabrik "Lisbon Council" und der in Frankfurt beheimateten Denkfabrik "Deutschland Denken!" erarbeitete Studie hat im wesentlichen vier Erkenntnisse zu dem Themenbereich Arbeit, Arbeitnehmer und Bildung: 1. In Europa gäben die einzelnen EU-Staaten unterschiedlich viel für Bildung aus. Schweden investiere beispielsweise doppelt soviel wie Italien oder Spanien in Schulen, Universitäten und Erwachsenenbildung. 2. In Schweden, Dänemark und Portugal würden 63 Prozent des abrufbaren "menschlichen Kapitals" in der Wirtschaft beschäftigt, während es in Italien, Belgien und Frankreich nur 53 Prozent seien. 3. In Frankreich und Spanien seien die Arbeitnehmer um 20 Prozent produktiver als in Dänemark und den Niederlanden. 4. Bis 2030 werde die arbeitende Bevölkerung aufgrund der demographischen Entwicklung in Frankreich und den Niederlanden um fünf Prozent schrumpfen, in Deutschland und Italien um 15 Prozent.

Auf gut 20 Seiten werden dann in englischer Sprache die Bildungsinvestitionen der EU-Länder einander gegenübergestellt und angedeutet, warum in einzelnen EU-Ländern die arbeitende Bevölkerung größer ist als in anderen. Hier werden - ohne daß diese weiter ausgeführt werden - Schlagworte wie hohe Arbeitslosigkeit, später Eintritt ins Berufsleben, Frühverrentung, geringe Frauenberufstätigkeit und hohe Altersarbeitslosigkeit genannt. Das in sehr schlichten Tabellen präsentierte Zahlenmaterial stammt von Eurostat oder "Deutschland Denken!". Die Lösungen für die Probleme beschränken sich größtenteils auf Forderungen nach weiteren staatlichen Investitionen in den Bildungsbereich und Hoffnungen, die in die Zuwanderung gesetzt werden.

Foto: "Der Denker" von Rodin: Übergeordnet und zukunftsweisend sollte die Ergebnisse von Denkfabriken sein. (vario-press)


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