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21.10.06 / Zusammenstoß der Interessen / Gründe für den Suezkrieg 1956 und seine Auswirkungen über Ägyptens Grenzen hinweg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Oktober 2006

Zusammenstoß der Interessen
Gründe für den Suezkrieg 1956 und seine Auswirkungen über Ägyptens Grenzen hinweg
von R. G. Kerschhofer

Im Spätherbst 1956 erschütterten zwei Ereignisse die Welt, nach denen der Kalte Krieg und die Dritte Welt nicht mehr die alten waren. Und auch wenn die Schauplätze der beiden sich zum 50. Mal jährenden Ereignisse zwar weit auseinander liegen, so wirkten sie doch aufeinander: Am 29. Oktober 1956 begann der israelisch-britisch-französische Angriff auf Ägypten, und am 4. November 1956 begann die Rote Armee mit der Niederschlagung der ungarischen Volkserhebung.

Der Suezkrieg von 1956 ist heute meist nur als "der zweite Nahostkrieg", als "einer von vielen", in Erinnerung. Dennoch ist er in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er ist der einzige israelisch-arabische Krieg, der von Israel und westlichen Staaten gemeinsam sowohl geplant als auch militärisch durchgeführt wurde. Und er ist der einzige, nach welchem die USA (mit der Sowjetunion) das siegreiche Israel und die Nato-Partner England und Frankreich zum Rückzug zwangen.

Vor allem aber war die Suezkrise 1956 ein Meilenstein in jenem Prozeß, der nicht ganz zutreffend als "Entkolonialisierung" bezeichnet wird, denn in Wahrheit vollzog sich nur ein allmählicher Übergang zum "rentableren" Neokolonialismus, zur Ausbeutung formal unabhängiger Staatsgebilde durch Konzerne und zu deren politischer Kontrolle durch das Weltbank-System. Der Suezkrieg war deswegen so bedeutsam, weil das politische Debakel der Angreifer folgenschwere Illusionen beflügelte: Die "Blockfreien" glaubten, selber ein mächtiger Block zu sein, und die Sowjetunion galt in weiten Teilen der Welt als uneigennütziger Helfer.

Die Kolonialmächte, durch den Weltkrieg geschwächt, hatten bald nach Kriegsende die volkreichen südasiatischen Kolonien aufgeben müssen. Aus Britisch-Indien entstanden Indien, Pakistan, Birma (heute Myanmar) und Ceylon (heute Sri Sanka), aus Holländisch-Indien wurde Indonesien, und die französischen Rekolonialisierungsversuche in Hinterindien waren 1954 endgültig gescheitert. Die USA, die 1946 die Philippinen "in die Unabhängigkeit entließen", wiesen einen anderen Weg: Sie behielten Militärstützpunkte und die wirtschaftliche Kontrolle.

"Kriegsgrund" war 1956 die Verstaatlichung des Suezkanals. Doch auch der "Kriegsgrund" hatte Gründe - abgesehen davon, daß Ägypten beim Verstaatlichen nur europäischen Beispielen folgte. Ausgangspunkt war eigentlich der 23. Juli 1952, als das "Komitee der freien Offiziere" den ägyptischen König absetzte. Das Komitee war arabisch-nationalistisch geprägt, keineswegs islamistisch oder gar marxistisch. Und der arabische Nationalismus folgte europäischen Vorbildern - er war eine Reaktion auf Demütigung durch die Osmanen und die Kolonialmächte.

Treibende Kraft im Komitee war Oberst Abd-el-Nasser, wenngleich General Nagib als Ranghöherer zunächst im Vordergrund stand und erster Staatspräsident wurde. Die beschämende Niederlage im "ersten Nahostkrieg" von 1948/49, die Abd-el-Nasser und andere an der Front miterlebt hatten, war die Schuld einer unfähigen und korrupten Führung, die eine schlecht gerüstete Truppe in einen politisch unkoordinierten Kampf geschickt hatte. Personifizierung aller Übel war der dekadente König Faruk. Die Putschisten sahen folglich als primäre Ziele, die Briten zur Räumung ihrer Garnisonen und der Suezkanalzone zu veranlassen sowie der eigenen Armee eine moderne Bewaffnung zu verschaffen.

Nach der Machtübernahme kam zwangsläufig auch die Innenpolitik auf die Tagesordnung - die Wirtschaft des Landes lag weitgehend in den Händen von Ausländern. Nationaler Hoffnungsträger wurde der Assuandamm, welcher der Stromerzeugung und großflächigen Bewässerungsvorhaben dienen sollte. Für das zunächst von deutschen Ingenieuren geplante Großprojekt hatte es von der Weltbank und den USA sogar bereits Finanzierungszusagen gegeben. Diese wurden aber zurückgezogen, und um die Finanzierungslücke zu schließen, entschloß sich Abd-el-Nasser eine Woche später, am 26. Juli 1956, den Suezkanal zu verstaatlichen.

Für die Kreditverweigerung wurden "wirtschaftliche" Gründe vorgeschoben. Über die wahren Gründe gibt es andere Versionen: Daß Abd-el-Nasser die Volksrepublik China anerkannte oder daß er statt ausgedienter US-Waffen lieber neue im Ostblock kaufte oder daß er eben ein erklärter Feind Israels war.

Nach der Suez-krise (siehe unten) von 1956 half übrigens die Sowjetunion 1958 beim Staudammbau und stellte in der Folge bis zu 30000 Techniker und Arbeiter ab. Der sowjetische - nicht unbedingt der kommunistische - Einfluß stieg so weltweit an. Der Westen aber hielt an seinen kolonialen Strukturen fest oder unterstützte in "unabhängigen" Staaten prinzipiell nur korrupte Machthaber. So wurden Befreiungsbewegungen in kommunistisches Fahrwasser getrieben.

Politischer Sieger des Suezkriegs war eindeutig Abd-el-Nasser, der zum Idol aller Araber und vieler Afrikaner aufstieg. Es begann die große Zeit der Blockfreien mit der Trojka Tito-Nehru-Nasser. Diese lose Vereinigung, die 1955 auf der Konferenz von Bandung gegründet worden war, hatte kaum reale Macht - außer in der Uno-Vollversammlung. Aber mit aufwendigen Konferenzen und Staatsbesuchen gaukelte man sich selber und den eigenen Völkern "Wichtigkeit" vor, obwohl man oft nur Trittbrettfahrer oder Schachfigur im Kalten Krieg war.

Die neuen Staaten der Dritten Welt verfielen nach ihrer Unabhängigkeit prompt in die Denkmuster der Kolonialherren und begannen mit Grenzstreitigkeiten und Unterdrückung eigener Minderheiten. Die "Staatengemeinschaft" hatte ja vorsorglich verhindert, willkürliche Kolonialgrenzen durch neue, den ethnischen Gegebenheiten entsprechende Grenzen zu ersetzen und "logische" Staatsgebilde zu schaffen.

Abd-el-Nasser verstrickte sich mehr und mehr in außenpolitische Abenteuer, vor allem im Zusammenhang mit der "arabischen Einheit". Hinter dem, was eine feindselige westliche Medienlandschaft als Machtgier darstellte, standen allerdings sehr viel Idealismus - und Naivität. Abd-el-Nasser überschätzte seine Landsleute und unterschätzte die Uneinheitlichkeit der Araber. Feindbild Israel - das ist zu wenig an Gemeinsamkeit, und so mußte er scheitern.

 

Zeitzeugen

Gamal Abd-el-Nasser - Der 1918 Geborene wurde 1952 nach dem Sturz König Faruks von Ägypten Oberkommandierender, dann Ministerpräsident und 1954 Staatspräsident - der erste Präsident General Nagib war abgesetzt worden, unter anderem weil er die Wiederzulassung der Muslim-Bruderschaft befürwortete. Wirtschaftlicher Zwang und sowjetischer Einfluß führten zu massiven Verstaatlichungen und 1962 zur Gründung einer "sozialistischen" Staatspartei. Die KP blieb aber verboten. Das Streben nach "arabischer Einheit" brachte einen nur kurzlebigen Verbund mit Syrien und dem Irak. Durch die Niederlage im "Sechs-Tage-Krieg" auch gesundheitlich schwer angeschlagen, starb Abd-el-Nasser 1970.

Guy Mollet - Der 1905 geborene französische Sozialist wurde nach Funktionen in Gewerkschaft, Partei, Parlament und Europarat im Januar 1956 Ministerpräsident. Im Algerien-Krieg setzte er auf Härte, scheiterte aber 1957 wegen dafür nötiger Steuererhöhungen.

Anthony Eden - Der 1897 geborene Brite wurde 1923 Abgeordneter der Konservativen, bekleidete zahlreiche hohe Ämter und war mehrmals Regierungsmitglied. 1955 folgte er Churchill als Premierminister nach, mußte aber wegen des Suez-Abenteuers abtreten.

David Ben Gurion - Der 1886 in Polen Geborene ging 1906 nach Palästina. Er war führend am Aufbau der Untergrundorganisation Haganah, der Arbeiter-Partei und der Kibbuz-Bewegung beteiligt. Am 14. Mai 1948 proklamierte er den Staat Israel. Ministerpräsident war er von 1949 bis 1954 und 1955 bis 1963.

Moshe Dayan - Der 1915 Geborene trat mit 14 Jahren der Haganah bei. In britischen Diensten von 1941 bis 1945 erhielt er höchste Auszeichnungen. Im Krieg 1948/49 errang er die Gunst von Ben Gurion. Von 1953 bis 1958 war Dayan Staabschef. Nationalheld wurde er aber erst im "Sechs-Tage-Krieg", obwohl er an dessen Vorbereitung kaum beteiligt war - er war erst knapp davor Verteidigungsminister geworden. Als Außenminister war der "Falke" 1978 ein Hauptakteur beim Friedensvertrag mit Ägypten. Er gestand später auch ein, daß die meisten Grenzkonflikte von Israel provoziert wurden.


Der Suezkanal

Bereits in pharaonischer Zeit gab es vom Nil ans Rote Meer eine Kanalverbindung, die mehrmals - im Frühmittelalter endgültig - versandete. Die Idee der direkten Verbindung von Rotem Meer und Mittelmeer geht auf Leibniz zurück. Napoleon verwarf die Idee, nachdem seine Geometer irrigerweise einen Niveauunterschied von zehn Metern zwischen den beiden Meeren "gemessen" hatten.

Die Planung des modernen, schleusenlosen Kanals stammt vom österreichischen Ingenieur Alois Negrelli, der allerdings schon 1858 verstarb. Der Franzose Ferdinand de Lesseps verstand es dank höchster Verbindungen, Geldgeber aufzutreiben und vom ägyptischen Vizekönig Said eine Konzession zu erlangen. (Ägypten war formal Teil des Osmanischen Reiches.) Die Suezkanal-Gesellschaft wurde am 15. Dezember 1858 gegründet, und Said zeichnete 45 Prozent der Aktien. Der Kanalbau begann im April 1859, und am 17. November 1869 fand in Anwesenheit europäischer Majestäten, darunter der österreichische Kaiser Franz Joseph, die feierliche Eröffnung statt. (Die zu diesem Anlaß errichtete Oper in Kairo wurde allerdings mit Rigoletto eröffnet - Aida war erst zwei Jahre später fertig.)

Saids Nachfolger Ismail geriet wegen seiner verschwenderischen Modernisierungspolitik in Probleme und mußte 1875 seine Aktien an die britische Regierung verkaufen. Die fremdenfeindlichen Unruhen in Ägypten 1882 veranlaßten die Briten zur Besetzung Ägyptens. Durch die "Konvention von Konstantinopel" wurde 1888 die Kanalzone zum "neutralen Gebiet unter britischem Schutz". Auch als Ägypten 1922 ein "unabhängiges" Königreich wurde, behielten die Briten ihre Garnisonen und weitgehende Interventionsrechte. So wurde Ägypten im Zweiten Weltkrieg neuerlich besetzt, und eine achsenfreundliche Regierung wurde abgesetzt.

Die Suezkanal-Gesellschaft, die längst zu einer Finanzholding umfunktioniert war, wurde nach der Verstaatlichung des Kanals von Ägypten entschädigt. Die heutige "Compagnie de Suez" ist ein Mischkonzern mit Schwerpunkten in Strom-, Gas- und Wasserversorgung. (RGK)


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