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04.11.06 / Absturz mit Methode / Warum Wowereit und Linkspartei den Berliner Haushalt ab jetzt einfach abschmieren lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. November 2006

Absturz mit Methode
Warum Wowereit und Linkspartei den Berliner Haushalt ab jetzt einfach abschmieren lassen
von Markus Schleusener

Diesen Job übernimmt der Regierende Bürgermeister sonst gerne selbst: das Eröffnen von Messen oder Großveranstaltungen wie der "Grünen Woche", wo er einen traditionellen Presserundgang organisieren läßt. Nicht so auf der Jugendmesse "You".

Dieses Mal schickte er als Stellvertreterin Karin Schubert. Die Leiterin des Justizressorts sprach bei der Eröffnung in ihrer kurzen Rede von den neuesten Trends im Sport- und Freizeitverhalten der Jugendlichen.

Sie ließ lieber unerwähnt, was die Senatskoalition über die Köpfe der jungen Leute hinweg gerade vorbereitet: noch mehr Schulden will Rot-Rot aufnehmen, Geld, für das die Jungen einmal aufkommen sollen.

Liegt die augenblickliche Pro-Kopf-Verschuldung noch bei knapp 17000 Euro, so soll sie nach dem Willen der Regierenden weiter steigen - etwa bis auf 19000 am Ende der Wahlperiode in fünf Jahren. Der Wowereit-Senat verabschiedet sich damit von seinen Sparbemühungen und setzt auf ein gemütliches "Weiter so" bei der Staatsverschuldung.

Wie es scheint, wollen SPD und Linkspartei ihre Koalition auf Biegen und Brechen fortsetzen - im Sinne des Wortes: Koste es, was es wolle. Schon in drei Wochen soll das Abgeordnetenhaus Klaus Wowereit erneut zum Regierenden Bürgermeister wählen. Zum Beginn der letzten Legislaturperiode hatte das länger gedauert: Der Wahltermin lag im Oktober, aber erst im Januar wurde der Senat installiert.

Diesmal geht alles viel schneller. Man kennt sich, hat die letzten fünf Jahre zusammengearbeitet. Es ginge vielleicht noch zügiger, wenn Thilo Sarrazin (SPD) den eitlen Koalitionsfrieden von SPD und PDS nicht dauernd torpedierte. Der Finanzsenator hält nämlich als letztes Regierungsmitglied noch eisern an der konsequenten Sparpolitik der vergangenen Jahre fest. Alle anderen Akteure scheinen sich davon verabschiedet zu haben.

Sarrazin möchte wenigstens die Perspektive haben, bis 2011 (!) einen verfassungskonformen Haushalt zu bilden. Bislang scheitert dies stets an der gesetzlichen Regelung, wonach die Neuverschuldung die Investitionen nicht übersteigen darf. Das tut sie kräftig - schon seit Jahren.

Der Finanzsenator formulierte seine Forderung vor der entscheidenden Verhandlungsrunde vergangene Woche. Die Linkspartei lehnte derlei Vorgaben als "sinnlos" ab. Es geht also um die Frage, ob das Ziel "verfassungsgemäßer Haushalt" in den Koalitionsvertrag geschrieben werden soll oder nicht.

Linksaußen ist es bereits traurige Tradition, öffentliche Haushalte auf Kommunalebene aus dem Ruder laufen zu lassen, so zum Beispiel in Marzahn-Hellersdorf. Dort häufte der PDS-Bürgermeister Uwe Klett über die Jahre einen riesigen Schuldenberg an.

In Berlin wird gemutmaßt, ob die Schuldenpolitik der Dunkelroten womöglich einem perfiden Plan folgte. PDS-intern gelte der Weg in den finanzpolitischen Abgrund angeblich als der beste Weg, um das verhaßte "West-System" lahmzulegen, heißt es. Die Linkspartei sei daher schlichtweg nicht an einem ausgeglichenen Staatshaushalt interessiert, sondern daran, die Lage bis zur völligen Handlungsunfähigkeit der staatlichen Institutionen zuzuspitzen.

Das Langzeitziel eines ausgeglichenen Haushalts, das angeblich auch die Linkspartei verfolgt, erscheint da wie ein reines Lippenbekenntnis. Der Berliner Vorsitzende der Linkspartei definierte die Lage so: Die Sanierung der Finanzen sei "anhand von konkreten Maßnahmen zu beschreiben und nicht anhand von abstrakten Zahlen."

Klaus Wowereit will den Widerstand gegen derlei Verantwortungslosigkeit offenbar nicht länger mittragen. Überraschenderweise mußte Sarrazin, der auf weiteren Sparanstrengungen bestand, diesmal vergeblich auf ein unterstützendes Machtwort des Regierenden warten. Wowereit ließ seinen Finanzmann im Ringen mit SPD-Linken und PDS im Stich und fabulierte, Politik sei ein "Gemeinschaftswerk". Der Finanzsenator bestimme trotz herausgehobener Rolle "nicht allein über die Politik". Das saß. Sarrazin gab klein bei.

Die Signale verdichten sich, daß es der Senat im vorerst gescheiterten Ringen um Milliarden Euro Sonderhilfen drauf ankommen lassen will. Wenn Berlin erst richtig zahlungsunfähig ist, so die mögliche Rechnung, dann müßten die anderen Länder und der Bund nämlich doch aus der Krise helfen. Die Volkswirtin Beate Jochimsen gab schon mal die Richtung vor: "Wenn Berlin dann bitterarm und gar nicht mehr sexy ist, kann die Stadt wieder nach Karlsruhe ziehen." Dies sei beispielsweise der Fall, "wenn Lehrer und Polizisten nicht mehr bezahlt werden können".

Und genau aus Angst vor dieser Situation geht das große Zittern weiter: Wen treffen die neuen Sparorgien?

Gerade die Berliner Kunstszene ist sich der Gefahr bewußt. Und so endete der Freitag ähnlich wie er begonnen hatte - mit einer feierlichen Eröffnung unter dem Damoklesschwert des finanziellen Zusammenbruchs.

Der Bettelstab geht um in der Hauptstadt. Jörn Merkert, der Direktor der "Berlinischen Galerie", nutzte seine Rede zum Start des "Monats der Fotografie", um die 200 Teilnehmer zu mehr Spenden aufzufordern, weil "die Kunst" in diesen "Nach-Karlsruhe-Zeiten" mehr denn je auf das Engagement der Bürger angewiesen sei.

Nach Merkert sollte Kultursenator Thomas Flierl (Linke) sprechen. Gerade dessen Ressort wird weitere Etatkürzungen hinnehmen müssen. Flierl aber verkniff sich in diesen schweren Tagen den Auftritt vor bürgerlichem Publikum. Er schickte einen Mitarbeiter, der das Grußwort an seiner Stelle halten mußte.

Foto: Glamour vor Bröckelputz: Berliner Künstler setzten die schon vielfach persiflierte Wowereit-Losung "arm, aber sexy" auf Berlins Straßen in Szene, während Karlsruhe über die finanzielle Zukunft der Stadt entschied. (pa)


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