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04.11.06 / Getrieben / Deutsch-Ire sucht Identität

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. November 2006

Getrieben
Deutsch-Ire sucht Identität

"Die Zerrissenheit ist unsere Identität." Mit diesem Zitat von Hans Magnus Enzensberger beginnt "Der Matrose im Schrank", und kaum ein anderes Zitat könnte den Kern der Lebenserinnerungen des Deutsch-Iren Hugo Hamilton besser treffen als jenes.

Hugo wird als Sohn einer Deutschen und eines Iren 1953 in Dublin geboren. Während die Mutter den Geschwistern immer wieder von ihren Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg erzählt und ihnen so zahlreiche Lebensweisheiten zu vermitteln versucht, verbietet der Vater, ein überzeugter Ire, jedes englische Wort in seinem Haus. Also wird daheim Deutsch und Irisch gesprochen und die Hamilton-Kinder gelten überall als Sonderlinge und Fußabtreter.

Für Hugo ist das Foto des Großvaters in Matrosenuniform, das der Vater im Schrank versteckt hat, ein Sinnbild für die Sturheit seines Erzeugers. Da der Großvater im Ersten Weltkrieg in der britischen Marine gedient hat, also nach dem Lebensmotto des Vaters beim Feind, wird selbst der eigene Urahn aus dem Leben der kinderreichen Hamiltons gesperrt. Während der Vater wegsperrt, ist die Mutter der Meinung, die Toten aus der Erinnerung wieder zum Leben erwecken zu müssen. Zwischen der erdrückenden Herzenswärme der Mutter und den Tobsuchtsanfällen des Vaters versucht Hugo sich selbst zu finden, doch eine Reise fort von seinem Elternhaus zeigt ihm, wie sehr er an diesem hängt.

Zerissenheit prägt die Kindheit Hugos, der seinen Vater dafür haßt, daß er ihm das Hören der englischsprachigen Beatles untersagt, gleichzeitig aber auch dessen Anerkennung wünscht. Erst sein Studium in Deutschland hilft dem Deutsch-Iren sich zu finden. "Vielleicht muß man ein paar Jahre mit falscher Identität leben, um seinen wahren Charakter zu erkennen ... Ich habe die Identität meines Großvaters angenommen. Ich habe ihm seinen Namen und seine Lebensgeschichte wiedergegeben, und auf dem Rückweg nach Neukölln kommt es mir vor, als wäre die Stadt ein Hafen, der Hafen Berlin, und in der Sonnenallee kann ich das Meer hören. Ich kann hören, wie die Flut unter den Booten schwappt. Ich kann hören, wie die Riemen entlang der Sitzbänke an ihren Platz fallen. Und unter meinen Füßen spüre ich festen Boden." Bel

Hugo Hamilton: "Der Matrose im Schrank", Knaus, München 2006, geb., 286 Seiten, 19,95 Euro, Best.-Nr. 5899


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