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18.11.06 / Mit Posaunen und Storchengeklapper / Zweiter Gottesdienst in der Kirchenruine zu Rauterskirch, Kreis Elchniederung nach jenem ersten vom Oktober 1944

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. November 2006

Mit Posaunen und Storchengeklapper
Zweiter Gottesdienst in der Kirchenruine zu Rauterskirch, Kreis Elchniederung nach jenem ersten vom Oktober 1944

Nach dem ersten Mal im Oktober 1944 fand dieses Jahr nun zum zweiten Mal ein Gottesdienst in der inmitten der Elchniederung an der Gilge gelegenen Kirchenruine zu Rauterskirch / Alt Lappienen statt.

Von dem einst bedeutenden, 600 Einwohner zählenden Dorf, dessen Geschichte bis in die prußische Zeit zurückreicht, ist kaum etwas von den früheren Sehenswürdigkeiten erhalten geblieben. Der Ort wie auch die Kirche sind eng mit dem Namen der Louise Katharina von Chièze verbunden, die nicht nur 1670 bis 1674 die Gilgeniederung entwässern, den Fluß vertiefen und das Gebiet eindeichen ließ, sondern auch den Bau der Kirche von 1675 bis 1703 ermöglichte. Das niedrige, achteckige Gotteshaus entstand nach den Plänen ihres zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Gemahls Philipp von Chièze, der unter anderem das Potsdamer Stadtschloß mit erbaut hat. Die Ehrung dieser bedeutenden Frau, einer geborenen von Rauter, fand in der Benennung des Rittergutes Rautenburg sowie in der Umbenennung der Flecken Neu Lappienen in Rautersdorf und Alt Lappienen in Rauterskirch ihren späteren Niederschlag.

Nach Flucht und Vertreibung wurde die Kirche, wie so viele andere Liegenschaften auch, als Speicher und Lagerraum zweckentfremdet. 1975 wurde der Sakralbau durch Brand nach Blitzschlag bis auf die äußeren Mauern vernichtet. Das Gelände verwilderte und wurde unzugänglich. Im August 1996 fand eine erste offizielle Begehung der Anlage durch eine organisierte Reisegruppe der Kirchspiele Rauterskirch / Sekkenburg statt. Mit Unterstützung der damaligen Bürgermeisterin, Irina Fedorischtschewa, konnten in der Folgezeit weitere Besuche organisiert, der Ort und die Kirche als Mittelpunkt einer geschichtsbewußten Annäherung interpretiert werden. Auf dieser Basis erfolgte im Sommer 2004 unter Mitwirkung des Patenschaftskreises der Grafschaft Bentheim sowie anderer Kräfte vor Ort ein mehrtägiger Arbeitseinsatz, der die Räumung der Kirche sowie des Geländes von Schutt und Unrat zum Ziel hatte. Auch konnten Grabsteine sichergestellt und in der Anlage aufgestellt werden, wobei eine namentliche Auflistung erfolgte. Aufgrund der Bedeutung des Ortes sowie der nie endenden Liebe zur Heimat, ließ sich im selben Jahr ein Landsmann dort in Form einer Urnenbeisetzung zur letzten Ruhe betten.

All diese Geschehnisse waren Grund, im Rahmen der diesjährigen Heimatreise der Kreisgemeinschaft Elchniederung zusammen mit der dortigen Bevölkerung erneut eine Gedenkfeier mit Gottesdienst abzuhalten. An jenem Morgen waren schon besorgte Blicke zum Himmel gesandt worden, der sich in düsteres Grau hüllte. Der daraus resultierende Wunsch, daß es während der Feier wenigstens trocken bliebe, ging in Erfüllung, wenn auch ein rauher Wind über den kleinen Platz wehte, auf dem die Bevölkerung schon auf die Ankunft des Busses aus der Bundesrepublik Deutschland wartete. Wohl wegen des Wetters waren es weniger als sonst - dafür hatte man auf der Wand des Buswartehäuschens das Wort "Willkommen" angebracht. Zur Begrüßung wurden große Fliedersträuße überreicht, während der Reiseleiter Peter Westphal neben einem kleinen Gastgeschenk einen größeren Geldbetrag für die beiden Krankenstationen übergab, der vorher im Bus von den spendenfreudigen Reiseteilnehmern gesammelt worden war.

Nach der offiziellen Begrüßung ging es dann zur Kirchenruine in Rauterskirch. Dieses denkmalgeschützte Kleinod barocker Baukunst war nun Schauplatz eines Gottesdienstes, zu dem Probst Osterwald extra aus Königsberg herübergekommen war. Von der evangelischen Kirchengemeinde in Heinrichswalde war schon der Altartisch geschmückt, nur die Kerzen wollten bei dem heftigen Wind nicht brennen. Der Gottesdienst, an dem 80 bis 100 Leute teilnahmen, wurde musikalisch umrahmt von sechs jungen eigens aus Königsberg angereisten Bläsern des Posaunenchors der Probstei. Probst Osterwald und Pastor Ronge, der neue Seelsorger der Heinrichswalder Gemeinde, hielten den Gottesdienst abwechselnd in deutscher und russischer Sprache. In seiner Predigt, die begleitet wurde vom Geklapper von acht Storchenpaaren, die sich auf dem Mauerkranz der Kirchenruine angesiedelt hatten, erinnerte der Probst auch an den letzten Gottesdienst, der im Oktober 1944 in dieser Kirche von Pastor Szogs gehalten worden war, dessen Nachfahren an dem Gottesdienst jetzt teilnahmen. Das gemeinsame Abendmahl schloß diesen außergewöhnlichen Gottesdienst ab. Und kaum war alles abgeräumt, da öffnete der Himmel seine Schleusen, es sollte an diesem Sonntag nicht mehr aufhören zu regnen, und so flüchtete man in die Krankenstation, in der die Krankenschwestern einen Imbiß vorbereitet hatten und heißen Tee oder Kaffee anboten.

Die Veranstaltung wurde von russischer Seite durch den leitenden Redakteur der "Heinrichswalder Zeitung" begleitet, so daß bereits einige Tage später im gesamten Kreis darüber zu lesen war. Die Resonanz bei der dortigen Bevölkerung war überaus positiv, zumal das seit zehn Jahren bestehende, freundschaftliche Verhältnis zum beiderseitigen Verständnis beigetragen hat. Auch konnte durch diese unter freiem Himmel abgehaltene Andacht ein weiteres Stück deutscher Kultur und christlicher Nächstenliebe zum Ausdruck gebracht werden. Ziel der wiederkehrenden Veranstaltungen ist die Schaffung einer Art Begegnungsstätte im Herzen der Elchniederung. E. D. / N. N.

Über den gesamten Gottesdienst, wie auch über die ganze Fahrt, wurde ein Film erstellt, der unter folgender Adresse angefordert werden kann: Erich Deiwick, Europaring 62, 53125 Bonn, Telefon (02 28) 64 48 98.

Vom 5. bis 14. Juli nächsten Jahres ist eine ähnliche Fahrt in die Elchniederung sowie nach Tilsit-Ragnit zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des nach der Stadt benannten Friedensschlusses und nach Masuren geplant, bei der die bestehenden Kontakte vertieft werden sollen. Kontaktadresse: Peter Westphal, Obere Wiesenbergstraße 26, 38690 Vienenburg Telefon / Fax (0 53 24) 79 82 28.


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