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18.11.06 / Wo die Enge bedrohlich wirkt / U-Boote faszinieren Millionen Menschen und ihre Seeleute genießen hohen Respekt - eine Reportage

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. November 2006

Wo die Enge bedrohlich wirkt
U-Boote faszinieren Millionen Menschen und ihre Seeleute genießen hohen Respekt - eine Reportage
von Bernhard Knapstein

Mahnend wie der Finger Gottes ragt das 85 Meter hohe Marine-Ehrenmal in den trüben Oktober-Himmel von Laboe, einem Badeort am Ostufer der Kieler Außenförde. Der massive Backsteinbau ist der Fixpunkt der Förde. "Als hätte Caspar David Friedrich die Brücke eines U-Boots abstrahiert und ins Monumentale überzeichnet", philosophiert ein älterer Herr mit schütterem Haar am Fuße des Gebäudes. Krieg und Kunst?

Das Sterben der Marinesoldaten in den U-Booten im Zweiten Weltkrieg war jedenfalls monumental: Von 30000 deutschen U-Bootfahrern haben nur 5000 überlebt, der Rest ruht auf dem Grund der Weltmeere. Einige U-Boote wurden noch auf der Jungfernfahrt versenkt. Die amerikanische Flotte hatte im Dezember 1942 ein deutsches U-Boot aufgebracht und die Dechiffriermaschine Enigma in die Hand bekommen. Jeder verschlüsselte deutsche Funkspruch konnte dekodiert werden. Seitdem waren die deutschen U-Boote nicht mehr sicher.

Einige Schritte unterhalb der Gedenkstätte liegt im Sand aufgebockt ein U-Boot aus dieser Zeit: "U 995". 1972 hat der Marinebund das 67 Meter lange und 6 Meter breite Boot aus Hitlers Kriegsmarine als Technisches Museum ausgestellt. Auch an dem diesigen Herbsttag wagen sich rund 700 Besucher im Gänsemarsch vom Heck zum Bug durch den Stahlkoloß. "Im Sommer sind es sogar bis zu 2000 Besucher oder mehr", fügt Kassierer Klaus Käding stolz hinzu.

Ehrenmal und "U 995" sind ein Touristenmagnet in der Region. Das 1943 auf der Werft von Blohm und Voss erbaute U-Boot des Typs VII c lockt die Massen an. Bis 1997 hatten bereits zehn Millionen Menschen das U-Boot inspiziert. Glieder einer endlosen Kette, stets auf Tuchfühlung nach vorn und hinten.

Faszination U-Boot, das ist eine Stahlröhre vollgepfropft mit Technik: Kurbeln, Hebel, Knöpfe, Räder - alles schreit nach kraftraubender Handarbeit der Seeleute.

In "U 995" riecht es nach einer Mischung von Diesel, Schmieröl und Gummi. Es gibt Gerüche, die vergehen nicht, selbst jetzt noch, fast 35 Jahre nach Stillegung des Boots. Der modrige Geruch von Seetang, den der beständige Küstenwind in der Kieler Förde seit Jahrzehnten durch die Heckpforte hineinzutragen bemüht ist, kommt nicht weit.

Im hinteren Torpedoraum beginnt der enge Schlauch, den die Besucher durchwandern. Die Köpfe drehen sich mal rechts mal links. Immer wieder ein Ducken, ein Hindurchzwängen und ein an die Seite Drücken. Nur an wenigen Stellen können zwei Personen ohne Eindrehen der Schultern aneinander vorbeigehen.

Auf Höhe der "Kombüse" gerät die Menschenkette ins Stocken. Die Bordküche ist kaum geräumiger als eine Duschzelle, zwei Herdplatten und Spülbecken inklusive. Wie konnte der "Smutje" hier 50 Mann rund um die Uhr bewirten? Eine Frau um die 40 quetscht sich in die Kochnische und lacht laut auf. Sie habe in den Bavaria-Filmstudios den Nachbau des U-Bootes für den Film "Das Boot" gesehen. "Ich wollte es einfach wissen", erklärt die Frau amüsiert die Besichtigung der Original-Kombüse.

In der Zentrale locken Sehrohr, Tiefenruder, zahlreiche Armaturen, Pulte und der Blick in den Kommandoturm. Es ist beinahe geräumig in der Mitte von "U 995". Einzelne Besucher probieren die Geräte, andere überholen die Stehengebliebenen. Hier geht das.

Im Boot immer wieder Kopfschütteln der Besucher, eine Mischung aus Ehrfurcht und Unverständnis macht sich breit. Durch ein rundes Schott, wie die wasserdichten Türen zwischen den Abteilungen des Boots heißen, schwingt sich die achtjährige Lena. "Ist das eng hier", stöhnt das Mädchen. Sie wird nicht die einzige bleiben, die das sagen wird.

"Unangenehm ist nicht die Enge, sondern die Nähe der Menschen", meint Lars Thomas. Der 36jährige Korvettenkapitän am anderen Ende der Telefonleitung ist der Kommandant von "U 16" - ein U-Boot der Bundeswehr. Nach drei bis vier Tagen habe man sich aber mit der Situation arrangiert, erklärt der Marine-Offizier. Er wollte nie woanders hin. "U 16" ist um knapp 20 Meter - das sind fünf Autos der Mittelklasse - kürzer als "U 995" und beherbergt 23 Mann Besatzung.

Lars Thomas liebt sein U-Boot trotz Gestank von Schweiß und Diesel. "Alleine führen, das ist für mich der Reiz." Wenn er abtauche, dann stünde kein höherer Offizier hinter ihm, erklärt der Kommandant von "U 16".

Die Mannschaft ist Familie, Intimsphäre gibt es sowenig wie ein Fenster, durch das der Blick sich hinaus ins Weite befreien könnte. Freud und Leid werden geteilt wie die "Kojen" und der Mief darin - über Wochen und Monate. Spannungen und ernsthafte Konflikte sind vorprogrammiert. Eine überbevölkerte Welt im Kleinformat, vollgestopft mit Waffen.

2005 hatte "U 16" an der norwegischen Küste Torpedos verschossen, eine Übung. Im Ernstfall kann es auch ihn treffen. Dennoch, Lars Thomas fühlt sich auf seinem U-Boot sicher. Den Krieg kennt er nicht. Aber Hess kennt ihn. Der heute 83jährige Wunstorfer hatte im Herbst 1944 mit nur 21 Jahren das Kommando der im norwegischen Narvik stationierten "U 995" übernommen. Er war einer der jüngsten unter den 50 Männern an Bord. Gegen Ende des Krieges, als alliierte Kriegsschiffe die meisten deutschen U-Boote versenkt hatten, war das so.

Hans Georg Hess sitzt im Wohnzimmer seines Einfamilienhauses. Biedermeier, Bücherregale, zahlreiche Gemälde mit Natur-Motiven prägen den Raum. Darunter aber auch U-Boot-Erinnerungen: Ein Ölgemälde auf dem sich "U 995" durch haushohe Wellen kämpft, eine Puppe in Ölzeug und Offiziersmütze sowie ein Bild mit allen Marinesoldaten von "U 995", darunter ein Querschnitt seines U-Boots filigran in Holz gearbeitet und gerahmt.

Hess sitzt auf einem mit grünem Samt bezogenen Sofa und schließt die Augen. Sein Teint ist von einem gesunden Braun, die Haut faltig, auf der Nase sitzt eine schlichte Hornbrille.

Müde wirkt er nicht, der Mann im braunen Sakko, eher konzentriert. Er kneift die Augen noch ein wenig mehr zusammen und faßt sich an die Schläfen.

"Verdammt, das stinkt hier!" platzt es plötzlich aus ihm heraus und er hat dabei die Augen noch immer geschlossen. Hans Georg Hess ist wieder auf "U 995" im eisigen Nordmeer, es ist Anfang 1945 und er ist der Kommandant.

Er hatte 60 Jahre vor dem Bundeswehroffizier Lars Thomas in den norwegischen Gewässern Torpedos verschossen, erfolgreich, aber den Tod stets im Nacken. Der Ritterkreuzträger führte sein Boot immer wieder nah an die Geleitzüge des Feindes heran. Anders als heutige U-Boote war "U 995" durch die damaligen Ortungssysteme der alliierten Zerstörer leicht zu entdecken. Die Jäger, als "Graue Wölfe" von den alliierten Geleitzügen einst gefürchtet, waren längst die Gejagten geworden.

Dennoch gelang es der Mannschaft um Oberleutnant Hess, etwa einer Gruppe von vier Zerstörern und ihren bedrohlichen Wasserbomben zu entkommen und dabei noch eines der Kriegsschiffe zu versenken. Ein anderes Mal hatte sich "U 995" fast selbst versenkt, da ein Torpedo außer Kontrolle geraten war. Der Tod umgab die U-Bootfahrer stets.

"Ich brauchte einige Tage, um sie zu beherrschen", erklärt Hess, "doch gegangen ist die Angst nie." Bewältigt habe er sie mit der Disziplin des Soldaten und der Hoffnung des Christen.

Martin Niemöller, im Ersten Weltkrieg selbst U-Boot-Kommandant und im Dritten Reich Mitglied der Bekennenden Kirche und eine Symbolfigur des kirchlichen Widerstands gegen das NS-Regime, hatte Hess in Berlin-Dahlem konfirmiert.

Der Glaube habe ihm geholfen, die Angst zu überstehen, erklärt Hess. Der Protestant spricht offen über Gott und den Erlösungsgedanken. "Mir konnte ja gar nichts passieren." Und mit einem Schulterzucken fügt er hinzu: "So oder so!"

Hess gehört zu den wenigen Überlebenden der deutschen U-Boot-Flotte des Zweiten Weltkrieges. Trotz aller Umstände und Gefahren ist für ihn aber eines keine Frage: "Ich würde wieder zu den U-Bootfahrern gehen!"

Foto: Technisches Museum in Laboe: Die Mannschaft von U 995 unter Kommandant Hans Georg Hess taufte das Boot im Winter 1944 nach dem damals beliebten Brettspiel "U Fang den Hut". Das Museum unterhalb des Marineehrenmals wird vom Deutschen Marinebund betrieben. In beiden Weltkriegen galten die U-Bootfahrer als totgeweiht. Diese Aura und die Enge des Boots lockt noch heute Millionen Besucher nach Laboe. (Knapstein)

 

Technik U-Boot

U 995 und U 16 im Vergleich

U 995:

Das U-Boot war zwischen 1943 und 1945 im Einsatz der Deutschen Kriegsmarine. Bei Kriegsende lag U 995 auf der Werft. In der Nachkrieszeit nutzte die norwegische Marine für einige Jahre das Boot.

Länge 67,23 Meter

Breite 6,20 Meter

Tauchtiefe: Für 120 Meter konstruiert.

Erreichte Tiefe: 240 Meter.

Geschwindigkeit 17 Knoten über Wasser / 7,6 Knoten getaucht

Besatzung: 50 Mann

Bewaffnung: 12 Torpedos / 3,7 cm Flak / 2 Stück 2 cm Flak-Zwilling

Heimathafen: Narvik

Letzter Kommandant: OLt. Hans Georg Hess, geb. 1923 Ritterkreuz 1945

 

U 16:

Das U-Boot vom Typ 206A ist seit 1973 im Dienst der Bundeswehr. Aus amagnetischem Stahl ist es vor Minen gut geschützt. Das Boot ist eines der kleinsten weltweit und bis 20 Meter tiefes Flachwasser manövrierfähig.

Länge 48,60 Meter

Breite 4,60 Meter

Tauchtiefe: Konstruiert für bis zu 100 Meter.

Geschwindigkeit: 10 Knoten über Wasser / 17 Knoten getaucht

Besatzung: 23 Mann

Bewaffnung: 8 drahtgesteuerte Torpedos / 24 Minen im Gürtel möglich

Heimathafen: Eckernförde

Kommandant: Korvettenkapitän Lars Thomas, geb. 1970


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