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25.11.06 / Lafontaine: Jederzeit zum Ausstieg bereit / Berliner Linkspartei beschließt unter Bauchschmerzen die Fortsetzung der rot-roten Rathauskoalition

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. November 2006

Lafontaine: Jederzeit zum Ausstieg bereit
Berliner Linkspartei beschließt unter Bauchschmerzen die Fortsetzung der rot-roten Rathauskoalition
von Markus Schleusener

Für die neue Linkspartei war die zentrale Frage des vergangenen Wochenendes nicht, ob und wie die Vereinigung mit der WASG stattfinden soll. Die für die einstige SED weit bedeutendere Frage wurde auf ihrem Landesparteitag in Berlin geklärt: Rot-Rot in der Hauptstadt - weiter oder nicht?

Nach der Wahlniederlage der Postkommunisten mit Einbußen von bis zu 20 Prozentpunkten im Ostteil stand die Koalition auf dem Spiel. Der Sparkurs von SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte die ultralinke Klientel schwer vergrätzt. Und es könnte noch schlimmer kommen: Das Karlsruher Urteil, nach dem Berlin auf seinen Schulden sitzen bleiben soll, könnte zu weiteren Sparbeschlüssen zwingen, die dann auch die SED-Erben erneut mitzutragen hätten.

Nach wochenlangen Verhandlungen legte der Linke-Vorstand den Delegierten einen mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag vor. Die Basis zeigte sich skeptisch.

Über fünf Stunden waren für die Aussprache vorgesehen. Die Mehrzahl der Diskussionsteilnehmer entpuppte sich als Bedenkenträger und warb für eine Ablehnung des Vertrags. Eine der ersten Rednerinnen lobte zwar seinen Inhalt, fügte aber hinzu, sie glaube, daß die SPD weiterhin mit der Linkspartei Schlitten fahren würde. Die Delegierte faßte es mit Johann Wolfgang von Goethe zusammen: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."

Andere Delegierte kritisierten insbesondere die "überhastete Freigabe" des Ladenschlusses. "Das ist doch unsozial, daß die Verkäuferinnen bei Dussmann jetzt nachts arbeiten müssen", meckerte ein Linkssozialist. Ein anderer Delegierter gab sich offen als Anhänger der Stasi-Offiziere zu erkennen, die gegen die Aufarbeitung des SED-Unrechts polemisieren. Im Koalitionsvertrag - behauptete der aufgeregte Genosse - stehe nicht drin, "wie wir berechtigte Kritik an der Gedenkstätte leisten können". Gemeint war die Gedenkstätte für SED-Opfer in Berlin-Hohenschönhausen, ein Dorn im Auge der Kommunisten.

So plätscherte der realexistierende Parteitag vor sich hin. Als Ex-Parteichef Lothar Bisky ans Mikrofon trat, war der Tiefpunkt erreicht. Er fragte: "Bleibt Rot-Rot als soziale Alternative - und nicht als machtpolitische Option - im Geschäft?" Als ob es bei einer Regierungsbeteiligung um etwas anderes ginge als vorrangig um Macht! Der Beifall hielt sich daher in Grenzen.

Erst Oskar Lafontaine weckte die Delegierten auf. Auch er hielt es mit Goethe und trug nach dem Motto "Das Gleiche läßt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht" eine Sowohl-als-auch-Rede vor.

Lafontaine sprach sich für drastischere Steuer- und Abgabenerhöhungen aus. Gleichzeitig aber kritisierte der frühere SPD-Chef die Koalitionsvereinbarung, weil sie eine Grund- statt einer Gewerbesteueranhebung vorsehe. Auch die Ladenschluß-Freigabe findet er nicht richtig: "Wenn in der Presse steht, daß Berlin jetzt die liberalste Regelung hat, dann schmerzt das die Linke."

Statt sich klar für den Koalitionsvertrag auszusprechen, forderte der Saarländer seine Berliner Genossen auf: "Wir dürfen das nur machen, wenn wir auch bereit sind, jederzeit wieder aus dem Senat rauszugehen." Zum ersten Mal erhielt ein Redner tosenden Beifall.

Soviel vorsorgliche Ausstiegsbegeisterung rief Gregor Gysi auf den Plan. Der Oskar habe sich - das müsse allen klar sein, so Gysi - natürlich für und nicht gegen den Vertrag ausgesprochen. Lafontaine und Gysi sind ein eingespieltes Team - einer für die Gefühle, der andere für den Machtinstinkt.

Mit ihrer Sowohl-als-auch-Strategie ist es den beiden gelungen, die Kritiker, unter ihnen auch der gerade geschaßte Kultursenator Thomas Flierl, im Zaum zu halten. Am Ende stimmte der Parteitag der nächsten rot-roten Koalition mit großer Mehrheit zu, so daß der Wahl des Regierenden Bürgermeisters nichts mehr im Wege stand.

Ab jetzt ernennt der Regierende Bürgermeister übrigens auch die Senatoren, die früher das Landesparlament wählen durfte. Wowereit ist durch die Neuregelung, die von SPD und PDS in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen worden war, noch mächtiger als zuvor. Egal, was die Basis der Linkspartei darüber denken mag.


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