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25.11.06 / Frankreichs neue Marianne / Die linke Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal erobert die Herzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. November 2006

Frankreichs neue Marianne
Die linke Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal erobert die Herzen
von Jean-Paul Picaper

Wird der nächste französische Staatspräsident nach Jacques Chirac eine Frau sein? Die von der Sozialistischen Partei (PS) als Präsidentschaftskandidatin gekürte Ségolène Royal könnte in den zwei Urnengängen am 22. April und am 6. Mai 2007 gegenüber ihrem neogaullistisch-liberalen Gegner Nicolas Sarkozy durch einen Doppeleffekt begünstigt werden: der "Merkel-Effekt", weil sie die erste Frau ist, die das höchste Staatsamt beansprucht, und der "Blair-Effekt", weil sie als Linke die Karten ihrer konservativen Gegner ausspielen wird.

Nach der Kandidatenkür innerhalb der PS am 16. November sah es aus, als wäre das Endziel vom 6. Mai 2007 bereits erreicht worden. Mit einem breiten Lächeln und sichtlich vor Glück strahlend nahm die Kandidatin das Abstimmungsergebnis der Vorwahlen in den Reihen ihrer eigenen Partei entgegen, das sie nach der internen Debatte zur Siegerin über ihre beiden innerparteilichen Kontrahenten und zur Repräsentantin der Linken im Kampf um die Präsidentschaft machte.

Die politische Inszenierung war perfekt. Freilich, ihre internen Kontrahenten Strauss-Kahn und Fabius haben ihre Vorstellung von Sozialismus aus innerer Überzeugung verteidigt. Dennoch haben sie, wissend, daß sie gegen die Frau nicht gewinnen würden, den Drahtziehern in die Hände gespielt. Jedenfalls entstand damit der Eindruck, daß es in der PS echte Debatten gibt, obwohl die drei Rivalen öfter aneinander vorbei als miteinander diskutierten. Darüber hinaus denken jetzt die PS-Mitglieder, daß sie stellvertretend für alle Franzosen Madame Royal gewählt hatten. Es spricht schon einiges dafür, weil "die Royal" bei den Franzosen laut letzter Umfrage mit 51 Prozent vor Sarkozy führt, der ihr mit 49 Prozent folgt. Aber es spricht auch einiges dagegen, weil der rechte Gegenkandidat trotz des Medienrummels zugunsten von Ségolène ihr auf den Fersen ist, und weil 51 Prozent Wahlabsichten für die linke Dame von ihrem deutlich über 60 Prozent liegenden innerparteilichen Ergebnis noch weit entfernt sind.

Doch die Medien sind auf ihrer Seite. Mit Notizblöcken und Kameras ausgerüstet erfuhren die internationalen Frankreich-Korrespondenten Royals bombastisches Ergebnis, sahen ihr engelhaftes Lächeln, hörten ihre warme, mütterliche Stimme. Das Drehbuch war vom PS-Vorsitzenden, Ségolènes Lebengefährten François Hollande, und von einigen PS-Funktionären aus dessen Umkreis, geschrieben worden. Über mehrere Wochen und immer wieder als ein "Event" angekündigt, hatte die mit eindrucksvollem Aufwand organisierte und übertragene innerparteiliche Debatte der drei PS-Matadore das ganze Land in Atem gehalten. Der Vorsitzende der neogaullistischen Partei (UMP), Sarkozy, geriet total in Vergessenheit. Die PS besetzte die ganze politische Bühne und die erste Seite der Zeitungen. "Ségolène" erschien minutenlang in den Nachrichtensendungen. Ein Mitglied der heutigen Regierung hat sie in Anspielung auf Dumas Roman "Die Kameliendame" die "Kameradame" genannt.

Frau Royal hat es geschafft, eine nicht nur charismatische, sondern auch messianische Figur abzugeben. Teile ihrer Sprache gehören in das Register der Offenbarung. Mehrmals hat sie gesagt: "je suis habitée ..." (in mir wohnt ...), sie spricht von einer "starken Erregung", von einem "großen Glück". Sie will mit den Wählern "den Berg erklimmen". Ihre Ankündigung der "gerechten Ordnung", die nach ihrer Wahl in Frankreich herrschen wird, stammt vom heiligen Augustinus. Anders als die Linken, deren Sprache bisher auf Konflikt ausgerichtet war, schmückt sie sich wie die Konservativen, und wie die Kirchen, mit Harmonie. Es heißt, sie habe die PS bereits weitgehend geeint, die seit der Niederlage ihres Chefs Lionel Jospin im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl am 21. April 2002 tief zerstritten war. Sie werde Frieden ins Land, insbesondere in die meuternden Ghettovorstädte, bringen, indem sie "den Bürgern zuhört" und der "kollektiven Klugheit der Menschen Rechnung trägt". Sie sei die Retterin, der Friedensengel.

Hinzu kommt, daß sie sich mit einem Opfergewand umhüllt hat. Mitgefühl für schwache, gedemütigte Frauen ist derzeit (schon zu recht) im Trend. Die beiden "bösen" Männer ihrer Partei, die ihr die Rolle der Präsidentschaftskandidatin streitig gemacht hatten, hätten sie "verletzt", "gekränkt", ließ sie wissen. Sie hat sie beide öffentlich des "Machismos" beziehungsweise "Sexismus" bezichtigt. Damit wird sie Frauen um sich scharen, die sonst, anders als manche Männer, gegen ihren Charme und ihre forsche Jugendhaftigkeit immun gewesen wären. Ist sie die Johanna von Orléans oder Marianne, die Frauengestalt, die die Republik verkörpert, wenn ihre schlanke Gestalt vorzugsweise in weißem Kleid daher schreitet?

Das Symbol hat eine Doppelfunktion. Die Marianne ist die holde, junge Heldin der Fahnen schwingenden Revolution, aber auch die Mutterfigur, die besänftigt und schützt. Ihr Alter, 53 Jahre, und ihr Aussehen erlauben Frau Royal beides zu sein. Die Mutter von vier Kindern hatte ihre Aufenthalte in der Entbindungsklinik medialisiert, insbesondere von der Illustrierten "Paris-Match" fotografieren lassen. Sie spielt jetzt die verdiente Mutter des Volkes, die ihren Kindern zuhört, sie vor Gefahren schützt, Menschenwärme und Suppe verteilt. Einige beaufsichtigt und bestraft sie wenn nötig.

So schlug sie vor, jugendliche Delinquenten in geschlossene Anstalten mit militärischer Führung einzusperren und die Sitzungen des Ministerrates von Gremien aus Bürgern und Bürgerinnen beaufsichtigen zu lassen. Beides hat, das eine links und das andere rechts, Kritik hervorgerufen. Sie wirft ab und zu mit solchen "neuen" Ideen um sich herum. Sie bezeichnet die Sorgen der Bürger, die in Umfragen dominieren, als ihre künftigen Arbeitsfelder. Sie hat es bisher geschafft, sich um ein Programm zu drücken. Sie ist fürs Zuhören, aber ihre Entscheidungen hat sie immer allein getroffen und in ihrer unmittelbaren Umgebung gilt sie als autoritär, diese Tochter eines Obersten der französischen Armee und Schwester eines Geheimdienstoffiziers, der an einem Anschlag gegen Umweltschützer beteiligt war. Sie zieht die Fäden. Eines ist ihr sicher: Jacques Chirac und Dominique de Villepin werden alles tun, damit Nicolas Sarkozy, den sie loswerden wollen, den zweiten Wahlgang nicht erreicht. Da hätte er nämlich eine dünne Chance, die Royal zu besiegen, denn der erste Urnengang bezieht sich auf das Image, der zweite auf Ideen und Programme der Kandidaten.

Foto: Ihre warmherzige Ausstrahlung paßt perfekt: Die Mutter von vier Kindern scheint voller Mitgefühl. (pa)


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