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02.12.06 / Das Problem heißt Pakistan / In dem eigentlich als prowestlich geltenden Land bereiten die Taliban ihre Attentate vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

Das Problem heißt Pakistan
In dem eigentlich als prowestlich geltenden Land bereiten die Taliban ihre Attentate vor
von Jörg Schmitz

Könnte man diese Gegend doch immer nur aus der Luft betrachten, aus dem Transportflieger, aus 2500 Meter Höhe. Hier, an den Ausläufern des Hindukusch. Der fast baumlose, zerklüftete Boden könnte auch eine Marslandschaft sein. Über lange Strecken hinweg ist kein Dorf zu sehen. Je weiter man von der afghanischen Hauptstadt Kabul wegfliegt, je näher man der Stadt Kandahar kommt, desto mehr sieht das Land wie eine seit Jahrtausenden unberührte Urlandschaft aus.

Natürlich ist dieser Eindruck falsch. Dazu muß man nur durch Kandahar fahren. Dieses staubige, gut 300000 Einwohner zählende Nest, wo es eine Ausnahme ist, daß ein Taxifahrer keine Kalaschnikow bei sich hat. Wo man in keinem Lokal ungestört seinen Tee trinken kann, weil überall die schwer bewaffneten Leibwächter kleiner afghanischer Provinzpolitiker und Geschäftsleute sitzen.

Hier ist die "Irakisierung" Afghanistans in vollem Gange. Laut einem Bericht der britischen Zeitung "Sunday Times", die sich auf afghanische und westliche Geheimdienstquellen beruft, bereiten die "Taliban" - wie der Sammelbegriff für extrem unterschiedliche Widerstandsgruppen lautet - eine neue Kampftaktik vor: Weil ihre bisherigen Versuche, die ausländischen Truppen aus dem Land zu drängen, nicht erfolgreich waren, setzen die islamistischen Kämpfer demnach nun verstärkt auf Anschläge und Selbstmordattentate. Einzelne Kämpfer bildeten Zellen in afghanischen Städten und bereiteten dort die Attacken vor. Der Süden Afghanistans könne sich "in einen zweiten Irak verwandeln", zitiert das Blatt einen Diplomaten in Kabul.

Im Süden Afghanistans, wo Amerikaner, Briten, Kanadier und Niederländer sich in ihren Festungen einbunkern, wird die zunehmende Aggressivität der Taliban nur durch massiven Einsatz der US-Luftwaffe mühsam in Schach gehalten.

Erst am Wochenende waren bei schweren Kämpfen und einem Selbstmordanschlag mehr als 70 Menschen getötet worden. Gefechte in Südafghanistan - darunter auch Kämpfe im Distrikt Pandschwai, wo Deutschland eine Straße bauen will - kosteten nach Angaben der Internationalen Schutztruppe Isaf rund 55 radikal-islamische Rebellen und einen Isaf-Soldaten das Leben. Bei einem Selbstmordanschlag riß der Attentäter am Sonntag in der südostafghanischen Provinz Paktika nach offiziellen afghanischen Angaben 15 Menschen in den Tod. Unter den 24 Verletzten waren ein hoher afghanischer Offizier und ein Distriktleiter, denen mutmaßlich der Anschlag galt, sowie mehrere Soldaten.

Im Sommer übernahm die Nato-geführte Isaf-Friedenstruppe hier das Kommando von den USA. Seit dem Sturz der Taliban 2001 sind in Afghanistan rund 350 US-Soldaten getötet worden, Kanada und Großbritannien beklagen jeweils über 40 Tote, die meisten davon in den vergangenen Monaten. Von den Bundeswehr-Soldaten kehrten bislang 18 von ihrem Einsatz nicht zurück.

Gegenwärtig stehen rund 40000 ausländische Soldaten, darunter rund 23000 aus den USA, am Hindukusch. Das ist zu wenig, um die Taliban-Milizen im zerklüfteten und unübersichtlichen Afghanistan im Zaum zu halten. Und trotzdem erfüllen die Staaten, die sich an der Internationalen Sicherheitstruppe Isaf beteiligen, nur 85 Prozent ihrer militärischen Zusagen.

Mit etwa 2800 Soldaten ist die Bundeswehr im Norden vor allem beim Wiederaufbau der Region im Einsatz. Nach dem bestehenden Bundestagsmandat sind allenfalls kurzfristige Einsätze in anderen Gebieten des Landes möglich. So sind derzeit 25 Fernmelder

der Bundeswehr in Kandahar stationiert; zudem hat die Luftwaffe über 70 Flüge in den Süden absolviert, hauptsächlich zu Transportzwecken und medizinischen Evakuierungen.

Eine dauerhafte Verlegung von Truppen zu Kampfeinsätzen aber ist nach dem Mandat ausgeschlossen - genau das aber wird gefordert. Amerikaner und Kanadier werfen den Deutschen vor, im Norden als Entwicklungshelfer zu arbeiten, während ihre eigenen Soldaten im Süden sterben. Die Stabilisierung Afghanistans gilt als Test für die Funktionsfähigkeit der Nato. Sollte der größte Einsatz in der Geschichte der Allianz scheitern, wäre die Organisation möglicherweise am Ende.

Dementsprechend haben die Staats- und Regierungschefs der 26 Nato-Staaten am letzten Dienstag und Mittwoch in Riga eine Zwischenbilanz des Nato-geführten Isaf-Einsatzes in Afghanistan gezogen. Doch die wesentliche Ursache für die Verschlechterung der Sicherheitslage am Hindukusch ist in Riga nicht zur Sprache gekommen.

Denn das Problem, an das sich weder Amerikaner noch Europäer herantrauen, heißt Pakistan. Barnett R. Rubin, einer der weltweit besten Afghanistan-Kenner, nannte gegenüber dem Auswärtigen Ausschuß des US-Senats Ende September erheblich verstärkten internationalen Druck auf Pakistan als den wichtigsten Schritt, um eine Niederlage des Westens noch zu vermeiden.

Von pakistanischem Gebiet, namentlich von der Stadt Quetta im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aus, werde der Aufstand der Taliban gesteuert. Daß Pakistans Regierung unter dem vermeintlich prowestlichen General Pervez Musharraf nicht einmal versuche, die Kommandostruktur der Taliban zu zerschlagen, stelle "eine ernste Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit dar".

1841 fielen 16000 britische Untertanen ihrer Majestät beim Rückzug aus Kabul der Wut der Afghanen zum Opfer. Der sowjetische Eroberungsfeldzug endete 1989 im totalen Fiasko. Und jetzt steht auch das Nato-Unternehmen am Hindukusch vor einem verheerenden Mißerfolg.


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