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02.12.06 / Gesicht als Spiegel der Seele / Das Liebieghaus in Frankfurt am Main zeigt erstmals in Deutschland Büsten von Messerschmidt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

Gesicht als Spiegel der Seele
Das Liebieghaus in Frankfurt am Main zeigt erstmals in Deutschland Büsten von Messerschmidt
von Helga Steinberg

Sie grinsen, sie lachen lauthals, gähnen, ziehen scheußliche Grimassen, pressen die Lippen aufeinander, sind mißmutig, verdrießlich, finster, melancholisch, wenige Male auch edelmütig oder kraftvoll.

Mit sicherem Blick hat Franz Xaver Messerschmidt die (meist schlechten) Charakterzüge des Menschen eingefangen. Und wenn man genau hinschaut, entdeckt man das immer selbe Modell - kein Wunder, denn Messerschmidt hat stets sich selbst porträtiert. Vor dem Spiegel stehend hat er seine Typologie des Häßlichen entwickelt, die Modelle gestaltet, um sie anschließend für den Guß in Gips auszuführen oder in Alabaster zu schneiden. Entstanden sind keineswegs Karikaturen, sondern ernsthafte Plastiken, die einen Dialog mit dem Spiegelbild zeigen und die vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten offenbaren, die das Gesicht als Spiegel der Seele hervorbringen kann.

Erstaunlicherweise handelt es sich hier nun keineswegs um moderne Kunst - Messerschmidt zählt vielmehr zu den herausragenden, wenn auch eigenwilligsten Künstlern des Barock. In der Skulpturensammlung der Städtischen Galerie Liebieghaus in Frankfurt am Main sind nun zum ersten Mal in Deutschland seine Werke in einer Einzelausstellung zu bestaunen.

Neben Porträtbüsten sind es vor allem die 20 Charakterköpfe, welche die Aufmerksamkeit der Besucher erwecken.

Franz Xaver Messerschmidt wurde 1736 im schwäbischen Wiesensteig geboren und als Zehnjähriger zu seinem Onkel, dem Hofbildhauer Johannes Baptist Straub, nach München in die Lehre geschickt. 1755 gelangte er nach Wien an die dortige Kunstakademie, wo er sich in allerlei Bildhauertechniken weiterbilden ließ.

Der Schwabe machte in Wien Karriere, erhielt er doch von keiner Geringeren als Kaiserin Maria Theresia mehrere Aufträge. Porträts und Statuen des Kaiserpaars entstanden, auch Bildnisse weiterer Mitglieder des Adels. Er lehrte an der kaiserlichen Akademie in Wien, ohne allerdings zum ordentlichen Professor berufen zu werden, und war am Hof gern gesehen.

Um 1765 fand er zur neuen Form des höfischen Bildnisses und distanzierte sich von der überlieferten Herrscherdarstellung. Am besten zu sehen in den überlebensgroßen Porträtstatuen des Kaiserpaares. In der selben Zeit hielt sich Messerschmidt für einige Zeit in Rom auf, wo er die antike Kunst studierte.

Nach Wien zurückgekehrt entfernte er sich immer mehr von der traditionellen Kunst. Die Büste des Kunstschriftstellers Franz von Scheyb (1704-1777) zeigt erstmals ein selbstbewußtes Individuum ohne statusbezogenes Beiwerk. Eine erst im Jahr 2004 neu aufgefundene und Messerschmidt zugeschriebene Büste des Fürsten Joseph Wenzel I. von Liechtenstein stellt nach Ansicht von Kunsthistorikern einen Prototypen der nun entstehenden Charakterköpfe dar.

Etwa um 1770 begann Messerschmidt, ausschließlich seine Charakterköpfe zu schaffen, und galt bald als Sonderling. Nicht alle konnten mit seinen "Köpf-Stückhen", wie Messerschmidt sie nannte, etwas anfangen. Man sprach von einer "zweydeutigen Gesundheit" und "einer Verwürrung im Kopfe". Vorzeitig pensioniert, lebte er bis zu seinem Tod 1783 zurückgezogen in Preßburg. Seine Charakterköpfe wurden zunächst ausschließlich zur Belustigung des Publikums gezeigt, unter anderem auch im Wiener Prater. Erst die Expressionisten erkannten ihren Wert, so daß sie Aufnahme in Museen fanden.

Mit der Serie von diesen Charakterköpfen "radikalisierte Messerschmidt die Gattung der Bildnisbüste und brach gegen Ende seiner künstlerischen Schaffenszeit endgültig mit der traditionellen Darstellungsweise", so die Frankfurter Ausstellungsmacher. Wenn auch die Bewegung der einzelnen Gesichtsmuskeln realistisch wiedergegeben sind, wirken die Affekte oft übertrieben. "Der Wirklichkeitsbezug ging Messerschmidt verloren, aber die Ausdrucksfähigkeit seiner Kunst stieg beträchtlich." Sie weise zwar "weit über seine Zeit hinaus, dennoch stand er mit seinem Interesse am Menschenbild und vor allem an den Empfindungen des Menschen im Zeichen der Aufklärung und ließ sich von zeitgenössischen Diskussionen anregen. Die Frage nach der Beschaffenheit der Seele, das Mienenspiel als Ausdruck der Gefühle sowie medizinische und psychologische Erklärungen beschäftigten Naturwissenschaftler und Theologen ebenso wie Künstler." Persönlichen Kontakt hatte Messerschmidt zum Beispiel zu dem Arzt Franz Anton Mesmer, der davon ausging, daß der Kosmos, die Natur und die Menschen über ein universelles Fluidum miteinander verbunden seien. Eine Störung dieses Fluidums allerdings würde Krankheiten verursachen. Mit Hilfe von Magneten versuchte Mesmer, dessen Heilmethode heute als Mesmerismus bekannt ist, die Patienten zu kurieren. Der in Königsberg geborene Dichter E.T.A. Hoffmann übrigens ließ sich wie viele anderer seiner Zeitgenossen auch vom Mesmerismus gefangennehmen und verarbeitete die magnetischen Behandlungen sogar in seinem Werk.

Je tiefer man nun in das Rätsel der Charakterköpfe Messerschmidts eintauchen will, um so größer sind die Fragen, die sich nicht nur dem Laien stellen, denn selbst in der neuesten Forschungsliteratur sind nicht alle Rätsel gelöst. Die Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt aber offenbaren ohne Zweifel die große Kunst ihres Meisters und sprechen auch heute noch die Betrachter an - "irritierend, mehrdeutig, phantastisch".

Die Ausstellung im Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, am 25. und 26. Dezember sowie am 1. Januar von 10 bis 17 Uhr geöffnet, am 24. und 31. Dezember geschlossen, Eintritt 7 / 5 Euro, bis 11. März 2007.


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