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02.12.06 / Was ist geblieben, was verloren? / Die Heimatgruppe Insterburg in Darmstadt ging auf einer Ostpreußenreise der Frage auf den Grund

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

Was ist geblieben, was verloren?
Die Heimatgruppe Insterburg in Darmstadt ging auf einer Ostpreußenreise der Frage auf den Grund
von Klaus Marczinowski

Der Bus der Heimatgruppe Insterburg in Darmstadt fährt um 15 Uhr in den Grenzbereich Grunau ein. Herrliches Sommerwetter, welch ein Himmel! Und da ist es wieder, das Gefühl, nicht auf einer Urlaubsreise, sondern auf einer ganz besonderen Reise zu sein, auf einer Reise, bei der sich Vergangenheit und Gegenwart auf wundersame Weise vermischen werden. Da ist leider auch wieder die aufwendige, umständliche und langwierige Abfertigung beim Überschreiten der innerostpreußischen Grenze in das Königsberger Gebiet. Dann die ungeduldigen letzten Kilometer bis hin nach Insterburg, vorbei an einer den meisten schon vertrauten Landschaft mit mehreren sehr großen Feldern Weizen und Raps. Vorbei an den Erdölförderanlagen inmitten bunter Wiesen bei Tapiau, der Geburtsstadt von Lovis Corinth, hier und da Datschen in Gartenanlagen, umgeben von Wildwuchs, dann Taplacken, immer wieder tollkühn gebaute Storchennester auf Telegrafenmasten, Jungstörche bei Flugversuchen, und endlich das Ortseingangsschild von Insterburg. Der Empfang im Hotel "Zum Bären" erfolgt in russischer Tradition: Brot, Salz und Wodka.

Gleich am nächsten Morgen sind die vertriebenen Insterburger in ihrer Stadt unterwegs. Die Tour beginnt in der Tunnelstraße, an der das Hotel liegt. An der Kleinbahnstraße steht noch das alte Feuerwehrdepot und auf dem Bahnhofsgelände ein letztes einsames Häuschen. An der Ziegelstraße, von den Russen "Straße des Sieges" genannt, steht noch ein trauriger Mauerrest mit Strebepfeilern und Spitzbogenfenstern der zur Fabrik umgebauten Melanchthonkirche. Man erreicht den Garwehnschen Teich, überschreitet das Rinnsal des Tschernuppe-Baches und steigt treppaufwärts zum Neuen Markt, zum Theaterplatz. Der Springbrunnen ist ohne Wasser. Aber gefegt und sauber ist die Stadt jetzt. Bis auf wenige Ausnahmen sind die alten Häuser und Straßen mit ihrem Kopfsteinpflaster renovierungsbedürftig. In dieser Hinsicht und auch hinsichtlich des Unkrauts scheint sich nichts getan zu haben. Wohl auch zukünftig werden die Autos auf einigen Straßen Slalom fahren müssen. Weiter geht die Erkundung per pedes durch die Forchestraße, die Kalininstraße, vorbei am alten Gymnasium, das heute die Stadtverwaltung beherbergt, und der Frieda-Jung-Schule, in der mittlerweile ein Postamt untergebracht ist, über den Ulmenplatz zum Alten Markt, zum Leninplatz. Inmitten des Platzes zeigt auf einem Strommast ein großer bunter Werbe-Würfel neben dem neuen russischen auch das alte deutsche Wappen Insterburgs. Dort steht man, wie auch Lenin auf seinem Sockel, vor einer großen Leere. Nichts außer Erinnerungen ist geblieben von den alten Häusern und der Kirche des Alten Marktes, der Lutherkirche, dem Wahrzeichen von Insterburg. Über die Hindenburgstraße, heute Leninstraße, gehen die Deutschen ein wenig bergauf zurück zum Hotel, um die Stadtbesichtigung mit dem Bus fortzusetzen, der seine gesetzlich geforderte Stillstandszeit nun beendet hat.

Die Fahrt geht am Bahnhof vorbei. Im Wartesaal befindet sich heute eine Schautafel zur Chronik der Stadt bis 1945 samt Bildern aus dieser Zeit. Die Bogenbrücke über die Angerapp, die mit Spendengeldern von Insterburgern 1995 unter der Leitung des Insterburgers Gerhard Bichlapp restauriert worden war, bringt die Gruppe zum Gedenkstein für Ännchen von Tharau, die ihre letzten Lebensjahre in Insterburg verbracht hat. Von dort aus geht es über die große alte Angerappbrücke, vorbei an der Schloßruine und am Schloßteich, besser wohl "Poggenteich", zurück zum Bus. Mit ihm geht es die gesamte Göringstraße, jetzt Gagarinstraße, hinauf bis zum Neuen Friedhof, der kein Friedhof mehr ist. Reihen von großen Bäumen, umgeben von wildem Grün, weisen auf damalige Wege hin. Nach einigen ehrenden Worten für Frieda Jung fährt man über die alte stählerne Georgenburger Brücke über die Inster nach Georgenburg, wo das Mittagessen eingenommen wird.

Am Nachmittag dieses ersten Tages geht oder fährt jeder seinen Erinnerungen nach, auch bis weit außerhalb von Insterburg. Taxen für zehn Euro die Stunde machen größere Exkursionen möglich.

Den zweiten Tag, an dem Königsberg und Rauschen auf dem Programm stehen, beschließt ein abendliches Konzert des Insterburger Chores "Harmonie" unter der Leitung von Vera Babajewa in der katholischen Kirche. Viele Gäste sind der Einladung der Heimatgruppe Insterburg in Darmstadt gefolgt. Neben Vertretern der Stadtverwaltung, der Bibliothek, des Pädagogischen College und der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde sind auch viele russische Bekannte und Freunde unter den Gästen. Der Reiseleiter der Darmstädter Gruppe, Reiner Buslaps überbringt Grußbotschaften vom Bürgermeister der Stadt Rudi Moritz und vom Dekan der evangelischen Kirchengemeinde Martin Diehl. Die Beziehungen zu Egelsbach sind gut und intensiv. So fanden bereits vier von Jürgen Pantel organisierte Konzerte des Chores dort statt. Der Dolmetscher des Chores erwidert die Grüße und führt durch das Programm, zu dem auch deutsche Volkslieder gehören.

Am dritten Tag weilt die Gruppe zu einer Besichtigung im Gestüt Weedern und fährt über Angerapp und Nemmersdorf nach Gumbinnen. Hier werden die Elchskulptur und die Salzburger Kirche zu den meistfotografierten Objekten des Tages. Am Abend wird die Wilhelmstraße der Insterburger Neustadt "analysiert", wenn nicht die schönste, dann doch zumindest eine der schönsten Straßen der Stadt. Man steht vor allen Bankgebäuden und der ehemaligen Post, vor dem einst vornehmen Café Dünckel und dem Haus mit der Dienstwohnung von Dr. Gerd Wander, dem letzten Bürgermeister Insterburgs, vor der Haushaltungsschule, liebevoll "Klopsakademie" genannt, heute ein Gymnasium, und der schönen Reformierten Kirche. Den Dessauer Hof, den geschichtsträchtigen Gasthof in dem während des Ersten Weltkrieges sowohl Deutsche als auch Russen Kommandostellen unterbrachten, existiert nur noch in der Erinnerung der Älteren. Das Fazit der abendlichen Exkursion: Von den 34 deutschen Gebäuden, deren Standort aufgesucht wurde, haben 19 den Krieg und nachfolgende Zeiten überlebt.

Erinnerungen an alte und alle Zeiten dann wieder wie an jedem Abend im Hof des Hotels mit russischen Gästen. Zu den Erinnerungen gesellt sich Gegenständliches wie alte Postkarten, Familiendokumente, Fotos und Druckerzeugnisse. Sie wandern von Hand zu Hand und mit ihnen viele Informationen, die jeder begierig aufnimmt, besonders die Russen. Doch auch die Deutschen erfahren so einiges. Aus Anlaß der Jubiläen 670 Jahre Burg / Schloß, 423 Jahre Stadtrecht, 70 Jahre O-Busverkehr soll es unter der Schirmherrschaft der Stadtbibliothek "Deutsche Tage" in der Stadt geben. Eine Englischlehrerin des College verfaßt englische Lesetexte für ihre Studenten zum Themenkomplex Insterburg vor der Eroberung durch die Rote Armee. Ein Geschichtsbüchlein gibt es bereits, ein zweites über Insterburger Persönlichkeiten ist in Vorbereitung. Zur Malschule in der ehemaligen Dienstwohnung des Bürgermeisters sind erste Kontakte geknüpft. Andere Aktivitäten sind für das Jahr 2007 vorgesehen. Da sollen und wollen die Deutschen aktiv mitarbeiten. Mails können ja jetzt problemlos über Staatsgrenzen gewechselt werden. Die Russen zeigen ernsthaftes Interesse an der Vorkriegszeit.

Der letzte Tag in Insterburg steht zur freien Verfügung. Das Hotel "Zum Bären" ist tagsüber wie verwaist. Friedlich ist man ausgeschwärmt, jeder auf seinen ersehnten Spuren. Auch der Soldatenfriedhof am Rande der Stadt wird aufgesucht, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum begeht. Erleben in Gegenwart und Vergangenheit. Abends gibt es viel zu berichten.

Am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen von Insterburg. Erste Ziele sind unweit der Stadt der am 7. September 1913 als Aussichtsturm eingeweihte Bismarckturm bei Nettienen, und das 1821 bei Landwehr errichtete Barclay-de-Tolly-Denkmal (siehe Nummer vom 13. Mai). Der Bismarckturm wurde durch Verfugen des Mauerwerkes vor dem weiteren Zerfall gerettet. Weithin sichtbar steht er erhöht am Straßenrand. Das Denkmal für den General Michail Bogdanowitsch Barclay de Tolly steht da wie neu und bekommt zur Zeit ein neues, mit Gehwegplatten ausgelegtes, Umfeld. Ehre, wem Ehre gebührt. Ein kleiner benutzter Parkplatz belegt, hier kommt man her, auch russische Brautpaare zum traditionellen Hochzeitsfoto mit der ganzen Familie. Den Bismarckturm dagegen muß sich der Gast über einen schmalen Trampelpfad durch wildes Untergrün erobern, das werden nur die deutschen Besucher tun.

In Breitenstein werden die Deutschen vom Schuldirektor Juri Uzersow empfangen. Mit berechtigtem Stolz zeigt er den Gästen sein Ostpreußenmuseum, das im Königsberger Gebiet einmalig geblieben ist. Welch eine Fülle an Exponaten bietet dieses schon zu Zeiten der Sowjetunion gegen entsprechend große Widerstände errichtete Museum, das 1981 seine Tore öffnete. Nicht wenige Ostpreußen haben sich durch seine Dokumente noch weit nach Kriegsende finden können. Zum Abschied mahnt Juris, den Frieden der Welt zu bewahren.

Weiter geht es über Tilsit, Heydekrug und Memel auf die Kurische Nehrung nach Nidden. Hier standen die Pfarrkirche und der alte Friedhof, der Leuchtturm, das Thomas-Mann-Haus und das Hermann-Blode-Museum ebenso auf dem Programm wir die "Hohe Düne" und "Ephas Höhe". Doch auch die Tage in Nidden vergingen. Zurück in die Bundesrepublik Deutschland ging es dann über Pillkoppen und Rossitten sowie später nach dem Überschreiten der ostpreußischen Grenze über Danzig und Stettin.


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