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09.12.06 / Als Wissenschaftler noch Deutsch sprachen / Die Sprache der Dichter und Denker hatte einmal eine ähnliche Rolle wie vorher Latein und heute Englisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Dezember 2006

Als Wissenschaftler noch Deutsch sprachen
Die Sprache der Dichter und Denker hatte einmal eine ähnliche Rolle wie vorher Latein und heute Englisch
von Manuel Ruoff

Im Zuge der Aufklärung wurde in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Ländern, das Latein als Wissenschaftssprache durch die Landessprache ersetzt. Zum einen galt Latein als die "Pfaffensprache", die Sprache Roms, die Sprache des Papstes, und im Zuge der Aufklärung versuchten sich die Wissenschaften beziehungsweise die Wissenschaftler von der Vormundschaft der Kirche und deren Doktrinen zu befreien. Zum anderen entsproß der Wechsel zur Landessprache einem Ansatz von Demokratisierung. Viele Wissenschaftler wollten heraus aus dem sprichwörtlichen "Elfenbeinturm", Wissenschaft nicht mehr um ihrer selbst betreiben, sondern mit ihr der Allgemeinheit dienen, und da lag es nahe, in der Sprache der Landsleute zu lehren und publizieren. Das erklärt, warum Deutsch zur Wissenschaftssprache in Deutschland wurde. Doch sie wurde es nicht nur dort, wo sie Landessprache war, wo sich das Volk ihrer bediente. Vielmehr wurde sie zu einer internationalen Sprache der Wissenschaft, und das nicht ohne Grund in einem Jahrhundert, das man hier und da auch schon einmal als das deutsche bezeichnet, denn das 19. Jahrhundert brachte dem Land einen enormen Industrialisierungsschub und schließlich auch noch die nationale Einheit.

Wirklich nur exemplarisch sei hier auf das "Journal of the American Chemical Society" verwiesen. Während der vier Jahrzehnte vom Reichsgründungsjahr bis 1910 wurden in jener wichtigsten US-Chemie-Zeitschrift die deutschsprachigen Fachorgane "Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft", "Liebig's Annalen der Chemie" und "Zeitschrift für physikalische Chemie" 751mal zitiert. Das englischsprachige "Journal of the Chemical Society" bringt es dagegen gerade einmal auf 141 Zitate. Schon die Rolle einer Lingua Franca, einer wissenschaftlichen Verkehrssprache in der Tradition des Latein wird dem Deutschen eingeräumt, wenn 1910 im "Zoological Record" russische, norwegische oder portugiesische Veröffentlichungstitel zur Erläuterung nicht etwa ins Englische, sondern ins Deutsche übersetzt werden.

Diese herausgehobene Stellung verlor die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert, das nicht zu Unrecht als das US-amerikanische bezeichnet wird. Der Anfang vom Ende kam mit dem Ersten Weltkrieg. Das Gros der Wissenschaftler solidarisierte sich nicht nur in Deutschland mit seinem Staat und darüber zerfiel die Gelehrtenrepublik, die Gemeinschaft der Wissenschaft. Im Rahmen des großen Krieges gegen die Deutschen bekämpften deren Gegner auch deren Sprache in der Wissenschaft. Nach Deutschlands Kriegsniederlage wurden mit dem Land auch seine Wissenschaftler und seine Sprache als Parias diskriminiert. In den 20er Jahren löste das Englische das Deutsche als meistverwandte Sprache in den naturwissenschaftlichen Publikationen ab. Die NS-Herrschaft verstärkte diesen Trend noch, und das nicht nur wegen der vielen Wissenschaftler, die in die USA emigrierten und deren Sprache annahmen. Erneut spaltete sich Europa, und wieder ging Deutschland aus einem Weltkrieg als Verlierer hervor mit den entsprechenden Folgen für die Sprache. In den 40er Jahren überholte das Englische das Deutsche nun auch erstmals bei der Zahl der jährlichen Zitate in chemischen Fachzeitschriften. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht.


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