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09.12.06 / Immer noch empfehleswert / Überarbeitete Fassung von Franz Uhle-Wettlers deutscher Militärgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Dezember 2006

Immer noch empfehleswert
Überarbeitete Fassung von Franz Uhle-Wettlers deutscher Militärgeschichte

Das Werk fesselt. Wer die Ausgaben 1984 und 2000 von "Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte - Von Leuthen bis Stalingrad" kennt, müsse nur noch das neue Kapitel über die Skagerrak-Schlacht lesen, dachte der Rezensent, doch diese überarbeitete Auflage des promovierten Historikers und Generalleutnant a. D. Franz Uhle-Wettler zog ihn erneut ganz in ihren Bann. Nicht nur wegen der Schlachten und Feldzüge Leuthen (1757), Valmy (1792), Waterloo (1815), Vionville, Mars-la-Tour, St. Privat (1870), Tannenberg (1914), Skagerrak (1916), Westfeldzug (1940), Kreta (1941) und Stalingrad (1942/43). Ihr Ablauf wird in knapper, sehr anschaulicher Sprache deutscher Militärtradition geschildert, anekdotisch gewürzt durch Heroisches und Schwaches, Grausames und Amüsantes.

Der hervorragende Wert dieses Buches liegt in dem, was es an Erkenntnissen zum Verstehen der Zeit vermittelt, warum die preußische oder deutsche Seite auch dann gewann, wenn sie, wie meist, an Kräften unterlegen war.

Der Sieg von Leuthen mit einer kurz zuvor mehrfach besiegten, an Zahl weit schwächeren Armee, hätte laut Napoleon genügt, Friedrich II. "unsterblich" zu machen. Dessen geniale Menschenführung und Taktik griff aber nur, weil die preußische Armee die fortschrittlichste war. Ihre Soldaten wurden viel vernünftiger ausgebildet, menschlicher behandelt und diszipliniert als sonst allgemein üblich ("So schnell schießen die Preußen nicht!" bedeutet: Sie füsilierten viel seltener). So zeigten sie selbstbewußten Stolz auch gegenüber dem König, der ihr Lager und ihre Gefahren teilte. Eigeninitiativ und mutig geführt, war diese Armee einmalig, auch im Erdulden der fürchterlichen Not des Siebenjährigen Krieges. Wenn Valmy, später Jena, Auerstedt und die Folgen ihre Wende- und Tiefpunkte markieren, so nicht deshalb, weil das friderizianische System grundsätzlich überholt gewesen wäre - weder Bewaffnung noch Taktik hatten sich wesentlich gewandelt -, sondern weil die Armee zur Paradearmee verschlampt, ihre Führung unfähig und feige geworden war. Die Erfolge des Befreiungskriegs und schließlich in Belle-Alliance verdanken mehr dem Volkszorn über die napoleonische Ausplünderung und der wiedergewonnenen Führungskraft als den preußischen Reformen.

Im Kriege 1870/71 trat eine deutsche Armee an, deren Kontingente kurz zuvor noch erbitterte Gegner gewesen waren, die aber in der Empörung über die französische Anmaßung geeint, unter preußischer Führung einen einmaligen Angriffsgeist entwickelte. Der zum Teil tollkühne, befehlswidrige Vorwärtsdrang von Brigaden, Divisionen und Korps zeitigte nur deshalb überwältigende Erfolge, weil sie sich ganz selbstverständlich gegenseitig aus desaströsen Lagen heraushauten, die Führung tapfer vorweg kämpfte, und bei den massenhaften Ausfällen von Offizieren Feldwebel, Unteroffiziere, sogar Mannschaften die Führung bis zum Bataillon übernahmen. Offenbar dazu befähigt und ermutigt, folgten sie selbständig dem Vorbild ihrer Offiziere aus der gesellschaftlichen Führungselite.

Im Ersten Weltkrieg kämpften Deutschland und Österreich gegen eine anderthalbfache, sich vergrößernde Übermacht, was nebenbei belegt, daß der "Griff nach der Weltmacht" ein absurder Vorwurf ist. Armee und Flotte leisteten aus ungünstigsten Lagen sehr viel mehr, als das Kräfteverhältnis eigentlich hergab. Auch in Stalingrad stemmte sich eine Armee bis zuletzt in übermenschlichem Kampf vergebens gegen die Folgen strategischen und operativen Versagens.

Die deutschen Streitkräfte des Ersten und Zweiten Weltkrieges gelten, durch weltweite Befragung statistisch gesichert, in Martin van Crevelds "Kampfkraft" genau erklärt, als die besten ihrer Zeit. Neben viel militärisch Wichtigem beruht dies auf einer Besonderheit, die der Autor durch einen amerikanischen Offizier und Militärhistoriker ausdrücken läßt: "Bei näherer Betrachtung entwickelt sich das Bild einer Armee, die einander offensichtlich widersprechende Eigenschaften wie Gehorsam und Initiative, Drill und Kreativität, Autorität und Selbständigkeit erfolgreich auf einen Nenner zu bringen vermochte. ... Dieser Ausgleich ist nur in einer Institution möglich, die Charakterstärke fördert, hohe intellektuelle Maßstäbe setzt und genau das richtige Maß an Toleranz praktiziert."

"Höhe- und Wendepunkte" ist ein spannender und tiefgründiger Kompaktkurs in vergleichender deutscher und fremder Militär- und politischer Geschichte. Wie sehr die unsrige ins Negative verbogen ist, offenbart Uhle-Wettler nachvollziehbar anhand gern unterschlagener, doch entscheidender Fakten - sein nüchternes Urteil ist meist überraschend, weil politisch inkorrekt.

Das Buch ist daher allen sehr zu empfehlen, die mit Geschichte argumentieren oder aus ihr noch heute gültige Lehren ziehen wollen. Manfred Backerra

Franz Uhle-Wettler: "Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte - Von Leuthen bis Stalingrad", Ares Verlag, Graz 2006, zahlr. Abb., 416 Seiten, 19,90 Euro, Best.-Nr. 5964


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