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16.12.06 / Unser Lehrer-Status quo / Pisa-Studien zeigen die Realitätsferne deutscher Bildungspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Dezember 2006

Unser Lehrer-Status quo
Pisa-Studien zeigen die Realitätsferne deutscher Bildungspolitik
von Sverre Gutschmidt

Wenn an den Schulen vorwiegend aktive oder disziplinorientierte Lehrkräfte unterrichten, ist die Leistungssteigerung erkennbar höher", heißt es in der neusten Pisa-Erhebung vom November. Der Tenor ist klar: Disziplin ist wieder gefragt an deutschen Bildungseinrichtungen. Lehrer sollen sich stärker engagieren. Pisa ("Program for International Student Assessment"), das im dreijährigen Turnus angewandte Programm der weltweiten Schülerbeurteilung, kam 2001 erstmals als Schock über die Deutschen - wegen schlechter Ergebnisse. Seither bestimmt der Test unser Bildungsdenken. Schulpolitische Fehlentscheidungen der jüngeren Vergangenheit bleiben jedoch in Kraft.

Allen Verbesserungsmeldungen der aktuellen Studie zum Trotz steht es um den Bildungssektor nicht gut. Investitionen sind vergleichsweise mager und wirkungsarm, Eltern wie Lehrer sind ratlos, fühlen sich von der Schulpolitik im Stich gelassen. Um die Zukunft der Hauptschule und die des spezifisch deutschen vielgliedrigen Schulsystems streiten sich Politiker, Lehrer und Eltern. Bei allen Debatten um Zuwandererkinder, soziale Benachteiligung durch Schule, Verrohung und Bildungsnotstand bleibt außen vor, wie die Schulbürokratie auf Zustände hinarbeitete, über die Pisa als Schock hineinbrach.

Pädagogen, besonders solche, die es selbst nicht erlebt haben, träumen von der besseren Zeit, als Schüler Respekt vor Lehrern hatten. Damals wußte Schule, was sie wollte. Die Schularten waren verläßlicher, Hauptschüler durchweg fähig, eine Lehre zu starten. Vergleichende Untersuchungen zu schulischen Leistungen verliefen vor Pisa daher ohne öffentliche Aufmerksamkeit.

Es gab keine vergleichbar umfassenden Kontrolldaten aller Fächer - sei es auf nationaler oder internationaler Ebene. Bei dezentralen deutschen Tests fragten Behörden nicht nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag in der Bildung. Seit den 50er Jahren wird zwar im internationalen Rahmen geprüft - aber bis Pisa nur in Teilbereichen. So gab noch in den 90er Jahren lediglich die Timss-Studie über den Stand deutscher Schüler im Vergleich zu dem in 45 anderen Ländern Auskunft: Deutsche Schüler waren demnach naturwissenschaftlich bestenfalls mittelmäßig. Über Folgen der Untersuchung diskutierten fast nur Pädagogen. Was Schüler tatsächlich lernen, hat Deutschland somit lange zu wenig geprüft. Das erklärt, warum Pisa als Schock kam. So sehr, daß 2002 die Bundesregierung Pisa-E als rein deutschen Vergleich zwischen den Bundesländern nachschob. Das Ergebnis: Es gibt gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Wie schulische Leistungen von Hamburg zu Bayern oder Baden-Württemberg zu Berlin zu vergleichen waren, überblickten selbst Behörden lange vor Pisa nicht mehr. Die Kultusministerkonferenz (KMK) spiegelte den Dissenz, spendierte dem Bildungswesen obendrein die Rechtschreibreform als fast unendliche Geschichte. Auch die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) brachte, seit sie in den 70ern erstmals tagte, keinen Gesamtplan hervor.

Anders als in anderen europäischen Staaten überwand die föderale deutsche Politik bis heute nicht den Kulturkampf auf dem Rücken der Schüler: Gesamtschule beziehungsweise Einheitsschule versus Gymnasium plus Real- und Hauptschule. Abgesehen vom Zentralabitur entwirft sich jedes Bundesland sein eigenes Schulrecht mit bevorzugtem System.

Ein ständiger Kampf, der zum heutigen Stillstand beitrug: Pädagogische Moden der 70er und 80er Jahre halten sich, obwohl bei vielen die Einseitigkeit erwiesen ist. Wie zum Beispiel Noten, die nicht vorher festgelegten Leistungsstandards entsprechen, sondern auf eine "Normalverteilung" in den Klassen getrimmt werden.

Auswirkungen für die staatliche Praxis gibt es kaum. Immerhin können Gymnasiasten seit ein paar Jahren in der Oberstufe nicht mehr zentrale Fächer abwählen, wie nach der Oberstufenreform der 70er. Daß hiesige Schulen im Vergleich zum Ausland teils bis heute Friedens-, Umwelt-, und Europaerziehung bevorzugen, schlägt sich in mangelnder Kompetenz der Schüler im Umgang mit Medien, genereller Ablehnung von Gentechnik und anderen modernen Technologien nieder.

So ruft Pisa bei Verantwortlichen reflexartig die Modelle der 70er bis frühen 90er zur Lösung aktueller Krisen hervor. Linke Pädagogen preisen skandinavische Schulen als Pisa-Dauersieger. Dieselben blockieren seit Jahren ihre Umsetzung hier und ignorieren zudem die gänzlich anderen Voraussetzungen der nordischen Länder. Daß Schulbürokraten den Wünschen der Betroffenen, geschweige denn den Erfordernissen der Arbeitswelt nicht nachkommen, zeigt sich in der Berufsschule. Dort mangelt es an Lehrerfortbildung. Der einst von Betrieben anerkannte Bildungseffekt des theoretischen Unterrichts fern der Ausbildungsstätte schwindet. Der Wunsch der 80er Jahre, berufliche Bildung aufzuwerten, führte vielerorts zur Entwertung der traditionellen deutschen Qualitätsvorteile dieses Bildungsweges.

Statt Schule also als Dienstleistung für junge Menschen zu begreifen, arbeitet sich eine überalterte, verbeamtete Lehrerschaft frustriert an ihren Klassen ab. Nicht Leistung und bewährte Traditionen, sondern Nivellierung und Ideologie bilden die Säulen deutscher Schulpolitik. Solange das so bleibt, wird auch Pisa Thema bleiben.

Foto: Wider die Einstufung: Schülerdemonstration


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