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16.12.06 / Macht-Roulette in Rußland / FSB-Auftragsmorde sollen Gegner in aller Welt abschrecken

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Dezember 2006

Macht-Roulette in Rußland
FSB-Auftragsmorde sollen Gegner in aller Welt abschrecken
von M. Rosenthal-Kappi

Ist es der Kampf einer noch im Dunkeln operierenden Opposition um Machtgewinn, die mittels aufsehenerreger Auftragsmorde den russischen Geheimdienst FSB als kriminelle Organisation erscheinen lassen will, oder geht es um den Machterhalt der Regierung? Soll Putins "gelenkte" Demokratie diskreditiert werden, indem er gegenüber dem Westen als Zar mit Herrschaftsanspruch dargestellt wird, oder sind es gar Kräfte innerhalb des Geheimdienstes FSB selbst, die um ihre Macht und Stellung fürchten müssen, sollte Putin 2008 nicht mehr Präsident sein. Oder sitzen die Drahtzieher der Anschläge im Ausland, wollen Rußlands Aufstieg zur Großmacht mit allen Mitteln verhindern? Spekulationen wie diese geistern durch die russische Presse.

Um die Gegenwart zu verstehen, muß man sich den Beginn des Demokratisierungsprozesses Rußlands vor Augen führen: Gorbatschow schuf die Voraussetzungen für den Übergang zur Demokratie. Boris Jelzin erklärte 1991 die Sowjetunion für aufgelöst und verbot die KPdSU. Unter seiner Ägide, die von Schwäche und Krankheit geprägt war, entwickelte sich ein wild wuchernder Kapitalismus, Kriminalität und Korruption trieben das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise. Dies erlaubte einem Kreis von altkommunistischen Kadern aus Partei und Militär, der sogenannten Nomenklatura einerseits und privaten Wirtschaftsbossen des neu entstandenen Business, den sogenannten Oligarchen, andererseits, Macht und Einfluß zu erlangen.

Als Wladimir Putin Anfang 2000 die Macht im Kreml übernahm, sah er sich diesen bereits etablierten Gruppen im Kreml gegenüber: Zu den nationalistisch gesinnten Elementen zählten Stabschef Alexander Woloschin und Ministerpräsident Michail Kasjanow, die ihre gewonnene Macht und ihren Einfluß in Putins Regierung erhalten wollten. Die Oligarchen - auch "Familie" oder "Jelzin-Clan" genannt - hatten Jelzin nahegestanden und von dessen Amtszeit profitiert. Zu ihnen zählten Boris Beresowskij und Michail Chodorkowskij.

Weil Putin den Ausverkauf des Landes durch skrupellose Geschäftsleute und amerikanische Investoren auf russischem Staatsgebiet befürchtete, sagte er den Oligarchen den Kampf an. Das erste Opfer staatlicher Übergriffe wurde Wladimir Gussinskij, dessen Medienkonglomerat "Media-Most" (Fernsehsender NTW) zerschlagen und 2001 von "Gasprom" übernommen wurde. Boris Beresowskij gilt als Staatsfeind Nummer eins in Rußland. Er, als Autohändler bei "Avto-Was" (Lada) reich geworden, gilt als undurchsichtiger Geschäftemacher, gegen den Haftbefehle in mehreren Ländern ausgeschrieben wurden. Er nahm politischen Einfluß auf die Medienlandschaft (Fernsehsender ORT), den er bis heute nicht verloren hat, auch wenn er sich ins Londoner Exil flüchtete. Michail Chodorkowskij war durch den Aufkauf bankrotter Staatsunternehmen durch die von ihm gegründete Bankengruppe "Menatep" zum Milliardär geworden. Diese ersteigerte auf dubiose Weise den Ölkonzern "Jukos", dessen Chef er wurde. Politische Ambitionen sowie seine in Aussicht gestellte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl führten 2003 zu seiner Verhaftung. Putins Gegner war zuvor wegen der Unterstützung für Bildungseinrichtungen und Medien in Mißkredit geraten. Aus Protest gegen die Verhaftung trat Stabschef Woloschin, der zur "Familie" gerechnet wird, zurück. Dies ermöglichte Putin, den Posten mit Dmitrij Medwedew zu besetzen, "Gasprom"-Geschäftsführer und enger Vertrauter Putins.

Zu Beginn seiner Amtszeit besetzte Putin Schlüsselpositionen der Regierung mit Weggefährten seiner KGB-Zeit aus St. Petersburg. Zu diesen Getreuen gehören neben Medwedjew auch Alexej Miller, seit der Gründung 1989 Vorstandsvorsitzender des "Gasprom"-Konzerns.

Die Stützung auf "Gasprom"-Funktionäre und auf Kräfte in den Spitzen des Sicherheitsdienstes FSB helfen Putin in dem Bestreben, Rußlands Status als Großmacht wieder auszubauen. "Gasprom" ist das Zugpferd, da der Konzern Rußlands einziges wichtiges Exportgut Energie erwirtschaftet. "Gasprom" hat einen Anteil von 85 Prozent an der russischen Erdgasproduktion und verfügt über das Monopol für den Erdgasexport aus Rußland. Mit "Gasprom" ist Rußland weltweit der größte Gasexporteur.

Ob die Morde vom FSB verübt wurden, ist nicht sicher. Gesichert ist nur, daß die Polonium-Spur nach Rußland führt. Wer immer sie nach Deutschland und England gelegt hat, will seinen Anspruch auf die Macht untermauern und abschrecken. Im russischen Macht-Roulette ist jedes Mittel recht, auch wenn es moralisch verwerflich ist.

Zeitzeugen

Boris Beresowskij - Er gilt als einer schillerndsten und reichsten "Oligarchen" Rußlands. Beresowski war enger Unterstützer von Boris Jelzin. Heute lebt er im Londoner Exil und wird in Rußland, Brasilien, der Schweiz und Israel wegen diverser Delikte per Haftbefehl gesucht. Manche sehen in dem 60jährigen ein wahrscheinliches Ziel weiterer Polonium-Anschläge, andere hingegen als einen möglichen Drahtzieher des Litwinenko-Mordes.

Wladimir Putin - Hat er seine Finger in den Morden? Kritiker werfen dem 1952 geborenen russischen Präsidenten vor, mit alten KGB-Methoden jede Opposition zu unterdrücken. Andere halten Putin zugute, in Rußland nach den wilden Jelzin-Jahren wieder eine gewisse Ordnung geschaffen zu haben. Eine Verwicklung des Kreml in Mordtaten schadet überdies vor allem ihm selbst.

Michail Chodorkowskij - In den späten 80er Jahren kommunistischer Jugendfunktionär, begann der wirtschaftliche Aufstieg des 1963 geborenen Chodorkowskij schon in der Gobatschow-Ära. Durch gute Kontakte zu Jelzin und dessen Umgebung stieg er in den 90ern zu einem der reichsten Männer Rußlands auf. 2003 verhaftet, sitzt er seit 2005 eine achtjährige Haft wegen Steuerhinterziehung und Betrugs in Sibirien ab. Manche sehen in ihm einen Vorreiter der Marktwirtschaft, andere einen Nutznießer der "Raubritterphase" unter Jelzin.

Gennadij Sjuganow - Der Altkommunist gründete mit anderen nach dem Untergang der UdSSR die "Kommunistische Partei der Russischen Föderation" (KPRF), deren Vorsitzender er seit 1995 ist. Mit ihrer harten Kritik an den Wirtschaftsreformen gilt die KPRF heute als die stärkste Oppositionspartei Rußlands.

Sergej Iwanow - Der russische Verteidigungsminister ist ein Jahr jünger als sein Präsident und Förderer Wladimir Putin, beide kennen sich aus gemeinsamer KGB-Zeit. Da Putin laut geltender Verfasung 2008 nicht für eine dritte Amtszeit hintereinander kandidieren darf, vermuten Insider in Iwanow den möglichen Thronfolger. Denkbar wäre sogar, daß er nur vier Jahre den Platz freihält, denn danach dürfte sich Putin abermals ums höchste Amt bewerben.


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