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23.12.06 / "Laßt mir meine Würde" / Die vergessenen Christen im Libanon / Wie elf Frauen den Ärmsten der Armen helfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Dezember 2006

"Laßt mir meine Würde"
Die vergessenen Christen im Libanon / Wie elf Frauen den Ärmsten der Armen helfen
von Jürgen Liminski

Es sind die Ärmsten der Armen hier im Libanon, aber keiner spricht von ihnen", Fadia stockt. Sie kann den Anflug von Schmerz nur mühsam verbergen. Sichtbar kommen ihr die Gesichter der Familien, die die Rechtsanwältin und ihre zehn Freundinnen betreuen, in den Sinn. Da ist der Vater mit den neun Kindern, die Mutter war plötzlich an Herzinfarkt gestorben, er selber hat Krebs. In einer Hausruine schlafen sie auf dem Boden, die Maueröffnungen sind mit Plastikfolien verklebt, der Winter im Libanon ist hart. Da ist die Familie mit sieben Kindern, drei davon behindert. Oder die Mutter mit sechs Kindern, der Vater gestorben, ein Kind gelähmt. Niemand sonst sieht sie, "sie schämen sich", sagt Fadia, "sie tragen ihre Armut mit Würde". 49 Familien sind es im Moment. Als ein lokaler Fernsehsender eine Serie über die Ärmsten der Armen drehen wollte, um Spenden zu sammeln, weil das ohnehin magere Sozialsystem im Libanon seit Jahren schon nur die muslimische Bevölkerung im Süden von Beirut und im "Hisbollah-Land" versorgt, fragte Fadia "ihre" Armen, ob sie bereit wären, vor der Kamera etwas zu sagen. Nur zwölf Familien waren bereit. Georges sagte mit seinem matten Gesicht: "Ich lebe arm, ich bin blind, ich habe nur meine Würde. Laßt mir meine Würde."

Fadia und ihre zehn Freundinnen haben einen Verein gegründet. Sie sind "Les Dames de Secours", die "Ladies Help Group", die "helfenden Frauen". So steht es in der offiziellen Liste der Hilfsorganisationen des Innenministeriums. Das Dekret 10057 vom 17. April 2004 autorisiert sie zu dieser Hilfe. Vorher haben alle elf in anderen Organisationen mit angepackt. Aber immer wieder stießen sie auf Fälle ohne Hoffnung, auf die vergessenen Armen im Libanon, denen niemand hilft. Es sind Christen, die aus anderen Regionen vertrieben wurden oder die vom Schicksal heimgesucht wurden. "Wir helfen nur mit Sachspenden, Lebensmitteln und Medikamenten", sagt Fadia und führt den Besucher in den Keller ihres Hauses. Dort lagern die Ladies ihre Schätze für die Armen: Reis, Speiseöl, Milchpulver, Mehl, Nudeln, Dosen mit Bohnen und Erbsen, alles abgepackt in großen Tüten. Jede Tüte enthält bestimmte Mengen. Sie kaufen die Ware im Großhandel zum Einkaufspreis oder manchmal noch billiger, eine durchschnittliche Lebensmitteltüte hat einen Wert von rund 40 Euro. "Damit müssen die Familien einen Monat auskommen. Manchmal kommt ein Paket Windeln dazu, nicht nur für Babies, sondern auch für behinderte oder ältere Menschen. Es ist wenig, aber unser Budget ist schmal. Wir haben ja selbst kaum was."

Fadia und ihr Mann Antoine arbeiten hart, um die Schulgelder für ihre vier Kinder und die Zinsen für den Hauskredit bezahlen zu können. Ähnliches gilt für die anderen. "Vielleicht müssen wir hier ausziehen," sagt sie mit einem Lächeln, "aber die Arbeit für die Armen werden wir nicht aufgeben. Sie haben sonst niemanden." Es sind nicht immer nur dieselben Familien. Wenn die Not gelindert ist, hört die Hilfe auf. "Auf jeden Fall geben wir nicht mehr als 200 Dollar pro Monat und Familie aus. Das ist das Maximum, nur so können wir auch anderen Menschen helfen. Fadia weiß auch von Erfolgen zu berichten. Dori war plötzlich arbeitslos geworden, seine Frau krank, die zwei Kinder sehr klein. Da begannen sie, Teile der Möbel zu verkaufen. "Als wir sie besuchten, hatten sie noch eine Couch und zwei Stühle." Die "Dames de secours" fanden eine Arbeit für den Familienvater. Daraufhin brachte Robert die Lebensmitteltüte zurück. Er habe jetzt Arbeit und die Zeit bis zum ersten Gehalt könnten sie irgendwie überbrücken, sie hätten ja noch die Couch und es gebe jetzt ärmere Menschen als sie. Nur das Milchpulver würden sie gern noch behalten für das Baby. "Das schreit schon, und wer weiß, ob wir die Couch bald verkaufen."

Fadia ist die Sekretärin des Vereins. Sie hebt fein säuberlich jede Quittung, jeden Beleg auf. Nichts geht verloren, jeder noch so kleine Betrag ist nachweisbar. "Es ist einfach. Wir haben ja keine Verwaltungskosten und auch keine Personalkosten. Jeder Cent geht direkt in die Hilfe." Auch die selbstgemachte Marmelade, die sie auf ihren Spendertreffen verkaufen, ist aufgeführt. Zweimal im Jahr veranstalten sie solche Treffen. Es ist die Haupteinnahmequelle. Aber von den paar tausend Euro bekommen sie ihre Armen nicht mehr satt, geschweige denn Medikamente für die chronisch Kranken unter ihnen. Denn der letzte Krieg zwischen Israel und der Hisbollah hat auch die Christen hart getroffen. Der aufkommende Tourismus wurde jäh gestoppt, viele sind jetzt arbeitslos und können anderen selbst nicht mehr helfen. Hilfsgelder aus dem Ausland werden in den Süden geschleust. Das gilt auch für die Mittel der europäischen und amerikanischen Hilfsorganisationen, denn die großen Organisationen arbeiten mit dem Staat zusammen und dessen Stellen im Sozialsystem sind in den letzten Jahren mit Nichtchristen besetzt worden. Muslimische Hilfsorganisationen helfen sowieso nur ihren Glaubensbrüdern. Wer von den Christen nicht vorsorgen konnte oder keine Familie mehr hat, der ist im wahrsten Sinn des Wortes arm dran.

Auf einem kleinen Tisch im Wohnzimmer von Fadias Haus steht das Bild des barmherzigen Jesus. Es ist die Darstellung, wie die heilige Schwester Faustyna sie sah und die auch Johannes Paul II. so sehr bewegte. "Ja", sagt sie, "ja, das ist unser Leitmotiv. Wie sind keine Kongregation, wir sind einfache Christen." Zwei bis dreimal im Jahr ziehen sich die elf Damen zu Besinnungstagen zurück und stellen einem Priester, Pater Fady Bou Chebl, der sie geistlich in ihrer Arbeit begleitet, die Fragen, die im Laufe der Zeit auftauchen. "Wissen Sie, wir wollen die Lauterkeit der Absicht leben, wir müssen uns immer prüfen, ob wir den Menschen helfen, weil wir sie lieben oder ob wir das nicht doch auch für uns tun." Pater Fady hat ein von seinem Bischof approbiertes Gebet für die Damen verfaßt. Darin bitten sie Gott, die Tiefe der christlichen Botschaft zu verstehen. Als Patronin haben sie die heilige Mutter Teresa von Kalkutta auserkoren, "weil das offizielle Dekret am selben Tag ihrer Heiligsprechung erlassen wurde und weil sie in der Arbeit für die Ärmsten der Armen auch für uns ein Vorbild ist".

Fadia weist auf ein anderes Bild auf dem kleinen Tisch. Es zeigt Mutter Teresa, den Gekreuzigten und die Gottesmutter neben dem Kreuz. Ein Satz (in arabisch) verbindet Jesus mit Mutter Teresa. Er lautet: "Komm, sei mein Licht." Es sei immer besser, ein kleines Licht zu sein, als über die Dunkelheit zu klagen. Deshalb ist Fadia überzeugt: "Jedes Zeichen des Mitgefühls und der tätigen Nächstenliebe gibt den unglücklichen Familien Hoffnung. Unser Traum ist es, ihnen zu ermöglichen, in Würde zu leben."

Das ist heute im Libanon für die Christen schwieriger denn je. Die Weltöffentlichkeit schaut auf die Schiiten, sie hat die Christen vergessen. Aber hier liegen viele Christen geschlagen im Graben und Leviten, Pharisäer und andere gehen achtlos vorbei, die Welt geht vorüber. Und wenn, gerade in Deutschland, über die Christen im Libanon berichtet wird, dann oft mit Häme und Verachtung. Aber diese Menschen ringen um die Existenz in ihrer Heimat. Manche sind zu schwach für dieses Ringen, die Kräfte reichen gerade noch, um die Armut zu verbergen. Für diese Christen gilt: Samariter gesucht! Ihr Elend ist, so hätte der Gründer von "Kirche in Not", Pater Werenfried van Straaten, fordernd gesagt, eine Chance für uns, unser Christsein unter Beweis zu stellen. Denn es gibt zwar viele Arme auf der Welt, aber nicht alle liegen auf unserem Weg.

Foto: Bomben trafen Christen und Moslems: Ein Junge in den Trümmern seines Elternhauses (AFP)


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