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30.12.06 / Krise ohne Ende / Viele Einzelinteressen und das Vetorecht im Rat blockieren die Eurokraten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. Dezember 2006

Krise ohne Ende
Viele Einzelinteressen und das Vetorecht im Rat blockieren die Eurokraten
von Bernhard Knapstein

Kleinmaischeid im Westerwald darf zittern. Zum 1. Januar 2007 wird die Europäische Union wieder einmal um einige Staaten größer. Bulgarien und Rumänien werden der Gemeinschaft der 25 beitreten. Erneut werden sich die Mathematiker an die Aufgabe machen, den geographischen Mittelpunkt der EU zu errechnen, der zumindest bis zum 31. Dezember Kleinmaischeid heißt. Ein Faktum, an das in der Mitte des 1300-Seelen-Dorfes ein 3,50 Meter hoher Zirkel aus Stahl erinnert.

27 Staaten - Nationen mit den unterschiedlichsten historischen und politischen Erfahrungen und kulturellen Werten - und in Brüssel denkt man schon über die nächste Erweiterung nach. Ist dieses Staaten-Konglomerat überhaupt noch regierbar?

Immerhin, ab dem 1. Januar 2007 verfügt die EU mit ihren 491 Millionen Einwohnern über 27 Kommissare, 785 Parlamentarier und 25000 Beamte für Kommission und Parlament. Hinzu kommen ein Gerichtshof und verschiedene kleinere Behörden. Klingt machbar, doch die Herren im Haus der EU sind noch immer die Mitgliedsstaaten. Haupthindernis für eine Regierbarkeit der EU ist deren Vetorecht.

Jeder Mitgliedstaat hat gegen jede Entscheidung im Europäischen Rat beziehungsweise im Ministerrat ein Vetorecht. Da genügt theoretisch schon ein rhetorischer Lapsus eines Diplomaten und schon steht ein Vertreter des Nachbarstaates auf der Veto-Bremse. Das Einstimmigkeitsprinzip fördert zwar den Konsens, aber zu welchem Preis?

Polen machte von seinem Vetorecht jüngst gegen Partnerschaftsverhandlungen mit Rußland Gebrauch, da Rußland ein Einfuhrverbot gegen polnische Fleischprodukte ausgesprochen hatte. Rußland ist der wichtigste Gaslieferant und nicht minder wichtiger Absatzmarkt der EU. Eine Partnerschaft zur Vermeidung eigenwilliger russischer Entscheidungen, wie seinerzeit der überraschende Lieferstop für die Ukraine erscheint unbedingt geboten.

Polen hatte schon häufiger mit dem Vetorecht im Rat gedroht und so die Gemeinschaft ins Schwitzen gebracht. Die Gemeinschaft ist dann gezwungen, nach Kompromissen zu suchen, die nicht immer den Sachanforderungen entsprechen. Das Einstimmigkeitsprinzip hat bisher immer wieder zu "Sonderkonditionen" - finanzielle Zuwendungen oder günstige Ausnahmeregelungen - für den das Vetorecht Ausübenden geführt - ein System der Erpreßbarkeit.

Die EU befindet sich damit in einer ernsthaften Krise. Eine Krise, die durch die neue Verfassung behoben werden sollte. Doch in Frankreich und Holland hatte man ganz basisdemokratisch das Volk über die Verfassung entscheiden lassen - das Votum dort lautete "Nein!". Das Dilemma wäre wohl noch größer, würden in allen EU-Staaten Referenden über die künftige Verfassung durchgeführt.

Ein Ergebnis, das die Eurokraten und die künftige EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel nicht hinnehmen möchten, weil in den 448 Artikeln des Verfassungsentwurfs, die satte 480 Seiten füllen, auch jene Normen enthalten sind, die das Vetorecht zugunsten der "qualifizierten Mehrheit" aufheben.

Sollte der Verfassungsentwurf mit höchstens minimalen Änderungen in einem neuen Beschlußverfahren doch noch durchgesetzt werden, so gilt folgende Regelung: 55 Prozent der Ratsmitglieder, die wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, bilden eine qualifizierte Mehrheit.

Die Beschlüsse solcher Mehrheitsentscheidungen können nur noch dadurch gestoppt werden, daß vier oder mehr Mitglieder durch ihr "Nein" eine Sperrminorität bilden. Bislang genügt ein einziges "Nein!" im Rat - von wem auch immer -, um ein Verfahren zu stoppen. In sensiblen Bereichen - dazu gehören Äußeres, Inneres, Justiz, Wirtschaft und Finanzen - sollen mindestens 72 Prozent der Mitglieder zustimmen müssen. Lediglich im Steuerrecht und in Teilbereichen der Außen- und Sicherheitspolitik bleibt das Vetorecht auf britisches Betreiben hin erhalten.

Die Zahl der Kommissare soll bis 2014 reduziert, die Entbürokratisierung fortgesetzt, die EU-Parlamentarier auf 750 begrenzt und das Mandat des Ratsvorsitzenden von sechs Monaten auf zweieinhalb Jahre verlängert werden.

Angela Merkel will nun die 27 Mitgliedsstaaten auf die Eckpunkte der neuen Verfassung einschwören. 15 Monate sind für das Ratifizierungsverfahren vorgesehen. 2009 soll die Verfassung dann stehen.

 

Zeitzeugen

Angela Merkel - Die Bundeskanzlerin ist ab dem 1. Januar für ein halbes Jahr Präsidentin des Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs. Die promovierte Physikerin setzt auf Pragmatismus und will mit der Verfassung vor allem das Vetorecht im Rat kippen.

 

José Manuel Durao Barroso - Der Präsident der Europäischen Kommission ist seit dem 22. November 2004 der "Manager", der die EU weiterentwickeln und vertiefen soll. Der Portugiese war zuvor in seinem Land Ministerpräsident, als der er die Invasion in den Irak unterstützte. In der Kommission fördert er den Kurs der Entbürokratisierung. In dem Verfahren gegen die Subventionierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland drängte Barroso wohl aus taktischen Gründen auf einen schnellen Abschluß.

 

Javier Solana de Madariaga - Ausgerechnet dem spanischen Physiker - einst ein prominenter Nato-Gegner - wurde, nachdem er sich in der Regierung Felipe Gonzalez die diplomatischen Sporen verdient hatte, 1999 der Oberbefehl über die Nato-Truppen auf dem Balkan übertragen. Im März 1999 ordnete er Luftangriffe gegen serbische Ziele an. In der EU ist Solana seit 1999 Hoher Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp). Seit 2004 ist er inoffizieller "Außenminister" der EU. Die Position ist im gescheiterten Verfassungsentwurf vorgesehen.

 

Günter Verheugen - Der deutsche Industrie-Kommissar hatte einst die EU-Osterweiterung vorangetrieben. In Brüssel wird er wenig geliebt. Sein Ziel: Die Entbürokratisierung der EU. Seine Gegner lancierten FKK-Bilder von ihm und seiner Kabinettschefin Erler an die Presse.

 

Olli Rehn - Der finnische Kommissar für die Erweiterung der EU hat Verheugen im Amt abgelöst. Er zeichnet für die Erweiterung der EU um Rumänien und Bulgarien und die Verhandlungen mit der Türkei verantwortlich. Er befürwortet auch den Beitritt Kroatiens zur EU. Die Erfüllung der Stabilitätskriterien sind die Hürde. Rehn kennt sich aus: Der Wirtschaftsexperte wurde 1996 in Oxford zum Thema "Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Länder" promoviert.

 

Herzlich willkommen: Plakat in Brüssel begrüßt die beiden Neumitglieder. Foto: ddp


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