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30.12.06 / Rußlands Aufstieg zur Super-Atommacht / Duma stimmt Gesetzesänderung zu - Bis 2030 einige Dutzend neue Kernkraftwerke geplant

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. Dezember 2006

Rußlands Aufstieg zur Super-Atommacht
Duma stimmt Gesetzesänderung zu - Bis 2030 einige Dutzend neue Kernkraftwerke geplant
von M. Rosenthal-Kappi

Die russische Atomenergiewirtschaft wird reformiert. Die Regierungspartei "Einiges Rußland" hat vor, sie teilweise zu privatisieren, wobei die Zulassung zum Atomsektor zur Chefsache erklärt wird, sprich interessierte Firmen müssen sich zuvor auf eine Ausschreibungsliste setzen lassen, aus der Präsident Putin höchstpersönlich diejenigen auswählen wird, die den Zugang erhalten sollen.

An einer umfassenden Modernisierung und Wiederbelebung der Atomenergiewirtschaft arbeitet Sergej Kirijenko, der Chef von "Rosatom" (Föderale Agentur für Atomenergie der Russischen Föderation) schon seit 2005. Da immer mehr Atomkraftwerke älteren Typs in Zukunft ausfallen werden, plant Kirijenko bis zum Jahr 2030 den Bau einiger Dutzend neuer Reaktoren. Bis dahin sei ein Minimum von zwei neu zu errichtenden Atomkraftwerken pro Jahr mit erhöhter Effizienz notwendig. Gleichzeitig will er den Anteil der Kernenergie an der russischen Stromerzeugung von 16 auf 25 Prozent erhöhen. Zur Zeit seien die Förderkapazitäten in Rußland nicht ausgeschöpft, ein Großteil des Urans werde aus sowjetischen Vorräten gewonnen.

Die noch nicht erschlossenen Uran-Vorkommen schätzen "Rosatom"-Experten auf 600000 Tonnen, während die Atommacht Rußland in den kommenden 25 Jahren voraussichtlich 25 Tonnen Uran jährlich verbrauchen wird.

"Rosatom" drängt es auf den Weltmarkt. Der Anteil russischer Kernenergie soll bis 2030 auf bis zu einem Fünftel der friedlich genutzten Atomindustrie gesteigert sowie die Expansion russischer Unternehmen auf den Außenmärkten gestärkt werden. Rußlands Drang, als Atommacht anerkannt zu werden, fand in Verhandlungen über Uranverkäufe zwischen Putin und Bush beim G-8-Gipfel in St. Petersburg Ausdruck, ebenso in China durch die Teilnahme Rußlands bei der Ausstellung "Atomindustrie China 2006" im März dieses Jahres, auf der über eine Zusammenarbeit der beiden Länder im Atomsektor verhandelt wurde. "Rosatom" hat inzwischen das Angarsker Uran-Kombinat von der Liste strategischer Unternehmen gestrichen, um hier ein internationales Zentrum für Urananreicherung entstehen zu lassen.

Ein erster Reform-Schritt ist die beschlossene Umwandlung der staatlichen Agentur "Rosatom" in eine Holding "Atomenergoprom", eine Aktiengesellschaft, die als Dachorganisation für alle an der Atomenergie teilnehmenden privaten Firmen, aber auch für bisherige Bergbaufirmen dienen wird. Die Aktiengesellschaft wird zu 100 Prozent staatliches Eigentum bleiben. Sie ist als Großunternehmen mit vollständigem Produktionszyklus gedacht. Das betrifft die Uranförderung, die Herstellung von Brennelementen, die Erzeugung von Strom, den Bau von Atomkraftwerken in Rußland und im Ausland, den Maschinenbau für die Atomindustrie sowie Forschungseinrichtungen.

Sergej Kirijenko begründet seinen Reformeifer mit der erwarteten innerrussischen Stromerzeugungskrise, die seiner Auffassung nach schon 2007 statt 2008, wie von den Kraftwerkbetreibern prognostiziert, eintreffen wird. Deshalb sei Eile geboten. Bis 2030 wird der Stromverbrauch in Rußland voraussichtlich auf über das Doppelte ansteigen, was bei den bisherigen Kapazitäten zu einem ungeheuren Defizit führen würde.

Kritik an den Reformen übt die russische Umweltschutzorganisation "Ekosaschita". Sie befürchtet, daß Atommaterial, das nach der Reform legal in die Hände von Privatpersonen gelangen könne, zur politischen Instabilität im Lande führe. Daß Firmen oder Privatpersonen, die eine Tätigkeit im Bereich der Nutzung von Atomenergie ausüben, eine Lizenz hierfür erwerben müssen, garantiere noch nicht, daß der Staat sie lückenlos kontrollieren könne. Schließlich wären sie befugt, Atommaterial direkt zu erhalten, atomare Anlagen zu betreiben und Lager für Atommaterial einzurichten.

Die Umweltschützer glauben, daß "Rosatom" schon länger geheime Gespräche über den Bau von Atomkraftwerken führt, die im Zielprogramm der Regierung zur Förderung der Atomwirtschaft nicht aufgeführt sind. Als mögliche Orte werden Tscheljabinsk, Tomsk und zwei weitere im fernen Osten genannt, an denen "Rosatom" bereits Verhandlungen mit den Mächtigen der Region führt. Die Gefahren einer Privatisierung der Atomwirtschaft liegen auf der Hand: Bis heute fehlt eine soziale Garantie für Bürger, die durch Strahlen geschädigt wurden. Ein Entschädigungsgesetz für Strahlenopfer muß erst noch erarbeitet werden. Bislang blieben die Opfer in Rußland stets sich selbst überlassen.

 

Umweltorganisation "Ekosaschita" mahnt vor leichtfertigem Umgang

Die russische Umweltschutzorganisation "Ekosaschita" ging 1990 aus der "grünen" Fraktion der Kaliningrader Anarchiebewegung "Solidarnost" hervor, die eine grundlegende Veränderung der postkommunistischen Gesellschaft beabsichtigte. Einen ersten Erfolg konnte die Gruppe 1991 in Königsberg mit einer massiven Kampagne für die Schließung der Zellulosefabrik erzielen. In den Folgejahren bildete sich eine Untergruppe, die für Öffentlichkeitsarbeit und Informationsservice zuständig ist. In ihren Publikationen riefen die Umweltschützer immer wieder zu Anti-Atomkampagnen auf. Insbesondere wandten sich die Umweltschützer gegen die Entsorgung von europäischem Atommaterial in Rußland. 2002 erzielte "Ekosaschita" einen Erfolg im nördlichen Ostpreußen, als es ihr gelang, den Bau der Ölbohrinsel "D 6" für ein Jahr aufzuhalten. Inzwischen gibt es Büros von "Ekosaschita" auch in Moskau, Woronesch und Jekaterinburg. Wenn auch die Teilnehmerzahl an den Protestaktionen selten 20 übersteigt, nimmt man sie dennoch in den Medien wahr. MRK


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