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20.01.07 / Sklaverei im Hotel / 2,46 Euro Stundenlohn - und die Politik sieht zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 20. Januar 2007

Sklaverei im Hotel
2,46 Euro Stundenlohn - und die Politik sieht zu
von Sverre Gutschmidt

Passanten blieben im Februar 2006 vor Hotels und Firmen stehen als 1200 Polizisten, Zöllner, Steuerfahnder und Staatsanwälte die bisher größte Razzia gegen Schwarzarbeit in Hamburg durchführten. Beobachter glaubten an Einsätze gegen Schwerkriminelle. Ziel der Razzia waren jedoch Reinigungsfirmen und 40 Hotels - darunter praktisch alle Luxusherbergen der Stadt. Nach einjährigen Ermittlungen gegen bandenmäßig organisierte Schwarzarbeit in Hotellerie und Reinigungsgewerbe war das Ergebnis nicht zu übersehen. Das Problem konnte weder der Hotellerieverband noch die Gebäudereinigerinnung länger wegdiskutieren. Es zeigte sich, daß in vielen der durchsuchten Unternehmen ausländische Mitarbeiter illegal beschäftigt wurden, zu Löhnen weit unter Tarif. Sozialbeiträge und Steuern entrichteten die Arbeitgeber nicht - Ausbeutung nannten Ermittler das System.

Ähnliches passiert jetzt wieder, denn die Verantwortlichen haben aus ihren Fehlern gelernt. Ihr neues System könnte von Hamburg aus zum bundesweiten Vorbild mancher Branche werden. In den damals verdächtigten Branchen arbeitet jetzt kaum noch einer schwarz, doch die Löhne sind gleich niedrig geblieben, und das funktioniert so: Eine Hotelkette beispielsweise schließt einen Pauschalvertrag mit einem Reinigungsunternehmen ab. Damit sind die Putzkräfte nicht ihre Vertragspartner - was sie verdienen, interessiert das Hotel nicht, das Reinigungsunternehmen schon. Es kalkuliert knallhart und zahlt Stundenlöhne von 2,46 Euro, teilweise auch darunter, um möglichst viel Profit zu machen. Doch von 393 Euro im Monat kann kein Arbeitnehmer leben. Also muß der Staat, kurzum alle Steuerzahler, dazuzahlen. Das Kombilohnmodell der Agentur für Arbeit öffnet dafür eine willkommene Hintertür. Mit diesem Programm sollen Arbeitslose etwas dazuverdienen dürfen, wenn sie arbeiten - ohne Abstriche. Statt Anreiz zum Vollzeitjob bietet das Modell in solchen Mißbrauchsfällen aber eher Arbeitgebern die Chance, unerträgliche Löhne zu bezahlen. Die Differenz übernehmen alle, die in die Sozialkassen einzahlen: Die Wenigverdiener bessern ihren unangemessen schlechten Lohn mit vollen Hartz-IV-Bezügen (Arbeitslosengeld II) auf. Und die Verantwortlichen der Branchen stellen die gleiche Überraschung zur Schau wie letztes Jahr. Nennenswerte Konsequenzen haben sie nicht zu befürchten.

Um solchen Mißbrauch zu bekämpfen, fordern viele Politiker, daß ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Die Berliner Regierungskoalition will am 29. Januar erneut darüber beraten. Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es zwar offiziell noch nicht, doch ist er in manchen Branchen schon Realität. Grund dafür ist das Entsendegesetz. Seit 1996 soll es mißbräuchlicher Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer einen Riegel vorschieben. Es regelt Bedingungen, zu denen diese am hiesigen Arbeitsmarkt als "Entsandte" von Firmen ihrer Heimat arbeiten dürfen. Inzwischen betrifft das Gesetz auch Deutsche, denn es schreibt am Tariflohn orientierte Mindestlöhne für bestimmte Branchen gesetzlich vor. Bisher sind es das Baugewerbe, Dachdeckerhandwerk, Maler- und Lackiererhandwerk, Abbruch- und Abwrackgewerbe und die Seeschiffahrt, die so verbindliche Mindestlöhne zahlen müssen.

Das Entsendegesetz ist somit ein Werkzeug der Politik gegen Lohn-Dumping. Kein allzu wirksames, denn in Hamburg liegen zahlreiche Hinweise vor, wie deutsche Mitarbeiter im großen Stil weit unter Tarif bezahlt werden.

Anonyme Aussagen von Friseuren und Reinigungskräften häufen sich bei Gewerkschaften, Ämtern und Verbänden. Pflegedienste, Spediteure, Zeitarbeitsfirmen und sogar Sicherheitsfirmen nutzen demnach das Lohn-Dumping-System. Das System funktioniert so, daß Mitarbeiter gemäß Vertrag unrealistisch hohe Umsätze erwirtschaften müssen.

Bei einer großen Friseurkette ist das in Hamburg zur Regel geworden. Der Grundlohn reicht nicht, die geforderte Arbeitsnorm, bei deren Erfüllung allein der Lohn steigt, ist unerreichbar. Bei Nichterfüllung droht zudem jederzeit die Kündigung, so eine Filialleiterin.

Das System ermöglicht Preise, mit denen kein ehrlich wirtschaftendes Unternehmen mithalten kann. Josef Katzer, Obermeister der Hamburger Gebäudereiniger-innung spricht daher von "Schweinerei". Firmen hätten extra viele Leute eingestellt "mit der Aussicht, daß einige Angestellte gegen die schlechte Bezahlung klagen und sowieso entlassen werden". "Man hätte das Problem schon früher anpacken müssen", sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) - es fällt in seinen Zuständigkeitsbereich. Mit Appellen an Vertreter des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes sowie die Gebäudereiniger versucht er die Wogen öffentlicher Empörung zu glätten. Ergebnis eines Treffens zwischen Senator und Verbänden: Ein Arbeitskreis der Innung soll bis April Vorschläge unterbreiten, unter anderem, wie mehr Angestellte in Vollzeit-Arbeit gelangen können.

Weitere Gegenmaßnahmen: Die Arbeitsagentur prüft, ob ihre Fördermodelle wie das Kombilohnmodell mißbraucht werden. Ansonsten herrsche kein Handlungsbedarf, so Uldall.

Das klassische Tarifwesen, nach dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber verbindliche Tariflöhne für ihre Branche aushandeln, scheint somit in diesen Berufszweigen unterlaufen.

Die vielen verzweifelten Jobsuchenden sind Opfer und Täter zugleich. Sie akzeptieren Klauseln, die ihnen sittenwidrig das volle unternehmerische Risiko aufbürden und sie in Armut abdrängen.

Nach Uldalls Willen sollen Zertifikate die Lösung bringen, sprich die Berufsinnungen sich selbst prüfen und sich sauberes Gebaren bescheinigen. Selbstkontrolle, die nicht zum Ziel führt, wenn bereits selbst angesehene Unternehmen am Pranger stehen.

Auch der allgemeine Mindestlohn bringt kaum eine Lösung, schon gar nicht, wenn dafür der Kündigungsschutz aufgeweicht wird, wie zuletzt im Bundeswirtschaftsministerium diskutiert. Statt dessen sind harte Strafen für Unternehmen gefragt.

Ab 1. April könnte das der Fall sein. Dann wird das Entsendegesetz auf weitere Branchen ausgeweitet. Dann könnten womöglich auch Zoll und Arbeitsagentur konsequent gegen Lohndumping vorgehen. Maximal 500000 Euro Buße und Freiheitsstrafen wären dann auch für solche bisher angesehenen Unternehmer möglich, die sich bisher mit Verweis auf ihre Subunternehmen herausreden konnten.

Foto: Schuften für einen Hungerlohn: Zimmermädchen in Hamburger Luxushotels


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