19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.01.07 / Wenn Mode unter die Haut geht / Tätowierungen und Piercings sind allen Unkenrufen zum Trotz immer noch beliebt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 20. Januar 2007

Wenn Mode unter die Haut geht
Tätowierungen und Piercings sind allen Unkenrufen zum Trotz immer noch beliebt
von Corinna Weinert

Was vor Jahren noch schockierend oder zumindest irritierend wirkte, ist längst gesellschaftsfähig geworden: Tattoos und Piercings - Schmuck, der unter die Haut geht. Hatten Tätowierungen ursprünglich in unserer Gesellschaft das Stigma des leichtlebigen Matrosen oder des Sträflings, erfreuten sie sich spätestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts - nunmehr unter der Bezeichnung "Tattoos" - großer Beliebtheit und wurden Ausdruck einer Gesellschaft, die im Rahmen ihrer auf das äußere Erscheinungsbild gestützten Identitätsfindung auch mit Techniken wie dem Piercing auf Praktiken vorzivilisatorischer Kulturen zurückgreift.

Der jüngsten Allensbach-Untersuchung zufolge verlieren Tattoos und Piercings bei den Deutschen allerdings an Popularität: Tätowierungen finden 41 Prozent der Deutschen inzwischen nicht mehr zeitgemäß; vor drei Jahren meinten das nur 29 Prozent. Auch Piercings verlieren an Popularität. Vor drei Jahren hielten noch 61 Prozent der Deutschen diese Art von Körperschmuck für modern, derzeit sagten das nur noch 41 Prozent. Sind Körperverzierungen bei den Deutschen wirklich nicht mehr angesagt?

"Das kann ich so nicht bestätigen", sagt Günter G. (52), dem seit 22 Jahren "Die älteste Tätowierstube in Deutschland" auf der Hamburger Reeperbahn gehört. "Es lassen sich weniger Leute tätowieren als früher", fügt er hinzu, "aber die es tun, die tun es bewußt." Die Körperregion sei Modesache, wie er meint, bei den Motiven wären chinesische Schriftzeichen, Engel, Herzen, Kreuze und Namen derzeit im Trend, und das sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

Olly K. (41), der mit der "Scindoctors Tattoo Company" in der Hansestadt vor 13 Jahren das erste Tattoo- und Piercingstudio außerhalb der Reeperbahn eröffnete, stimmt Günter zu. "Es gibt eine große Anzahl verschiedener Tattoostile, modern und sehr verbreitet sind derzeit Tribal-Tattoo-Motive und chinesische Schriftzeichen", so Olly. "Das ,Tribal' basiert auf alten Stammestraditionen und zeichnet sich durch seine verschlungenen Formen aus. Chinesische Schriftzeichen werden von Frauen und Männern gleichermaßen nachgefragt. Nacken und Wirbelsäule sind hierfür beliebte Stellen, Frauen lassen sich zudem gern in der Leiste und am Handgelenk tätowieren, Männer auf Oberarm, Unterarm und Wade", erklärt er.

Aktuell sind daneben die Tattoostile "Celtic" (knotenartige Symbole, aber auch Tiermotive mit verschiedenen Schattierungen meistens in einer Farbe), "Biomechanic" (Kombination aus mechanischem Aufbau und anatomischen Abbildungen), "Phantasy" (Fabelwesen, Magier), "Religion" (Kreuze sowie Abbildungen von Jesus), "Tiere und Pflanzen" (vor allem Hunde, Fische sowie Rosen und Orchideen), "Japan und China" (sehr farbenfrohe und traditionsbewußte Motive, oft als Ganzkörpertätowierungen oder von der Schulter bis zum Po), "Realistic und Portraits" (Abbildung nach einem Foto oder nach anderer Vorlage).

"Die Motive sind heute vielfach in schwarz-weiß", meint Werner S. (46), der seit 17 Jahren in der Branche tätig ist. Olly bestätigt: "Schwarz-weiß wird gerne genommen." Kristiane W. (19) hat sich gerade erst eine Rose von der Leiste bis zur untersten Rippe tätowieren lassen, in schwarz-weiß. "Die habe ich im Internet gefunden", sagt sie, "als ich Motive gesucht habe." Die Motive stammen von Günter; auf seiner Homepage hat der Tätowierer eine Reihe verschiedenster Vorlagen zusammengestellt, damit sich potentielle Kunden einen Eindruck verschaffen können (www.die-aelteste.de).

"Ungefähr die Hälfte der Kunden nimmt Vorlagen, sozusagen ein Tattoo ,von der Stange', die andere Hälfte möchte individuelle Motive", erklärt Olly. Günter weiß das zu bestätigen: "Die Kunden kommen mit einer Skizze, und ich zeichne daraus dann etwas, das ihrer Vorstellung entspricht. Die Motive sind dadurch auf die Kunden persönlich zugeschnitten, niemand sonst hat das Tattoo."

Was aber ist, wenn einem die Tätowierung irgendwann einmal nicht mehr gefällt, wenn Motive aus der Mode gekommen oder Farben verblaßt sind? "Dann kann man Nacharbeiten", meint Günter, der sich auf das Übertätowieren spezialisiert hat. "Unsere Hauptaufgabe ist es, unerwünschte oder unschöne Tattoos verschwinden zu lassen." Mit sogenannten "Cover ups" werden einzelne Tattoos, sie sich auf eine Körperregion wie Arm oder Rücken verteilen, durch Hinzufügen neuer Elemente zu einem Gesamtkunstwerk verbunden oder als Mosaik in ein neues Bild eingefügt, so daß die ursprüngliche Figur nicht mehr zu erkennen und somit überdeckt ist. Sollte allerdings nur noch die Entfernung eines Tattoos das Mittel der Wahl sein, so stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung: chirurgische Entfernung mit oder ohne nachfolgender Hauttransplantation, Abrasionsverfahren mit Salz, medizinischen "Sandstrahlen" oder hochtourigen Schleifmaschinen, tiefes Peeling, Nachstechen mit verschiedenen Substanzen, Abtragung der Farbpartikel mit Abtragungslasern oder Koagulation mit gepulsten oder getakteten Lasern. Einfacher hat es da jemand, der sein Piercing loswerden will. Der Schmuck - je nach Form als Banane, Hufeisen, Kugel, Ring, Stab oder Spike bezeichnet und aus Chirurgenstahl, Gold, Silber, Niob, Titan und neuerdings auch PTFE (einem speziellen Kunststoff, kurz: Teflon) bestehend - kann einfach herausgenommen werden und das Loch wächst über kurz oder lang wieder zu.

Generell ist - wie durch die Allensbach-Umfrage festgestellt - "ein Rückgang beim Piercing zu verzeichnen", meint Olly, "out ist Piercing aber nicht", versichert er. "Piercing" bedeutet in der Übersetzung durchstochene oder durchbohrte Haut. "Meistens benutzt man zum Einsetzen der Schmuck-stücke eine Venenverweilkanüle, mit der in der Medizin üblicherweise Medikamente intravenös appliziert werden", erklärt Olly, "die Nadel ist durch einen Kunststoff- oder Teflonüberzug geschützt. Man stößt die Nadel durch die Haut hindurch, dann entfernt man sie wieder, so daß lediglich die Hülle im Stichkanal verbleibt. Mit Hilfe der Hülle wird der Schmuck durch den Stichkanal gezogen." Es können auch Gewebeteile mit einer Hohlnadel herausgestanzt werden; dies erfolgt vor allem, um Schmuckteile in Knorpelgewebe einzusetzen.

"Ein Piercing lassen sich vor allem Frauen machen", erklärt Werner, "hier liegt der Anteil bei rund 80 Prozent." Claudia A. (38) kann nicht nachvollziehen, daß jemand ein Piercing in der Brustwarze trägt: "Egal ob bei Frau oder Mann, das gehört da einfach nicht hin", sagt sie. Gegen diese Art von Körperschmuck hat sie keineswegs grundsätzlich etwas, wie sie mit einem Piercing im Bauchnabel zu erkennen gibt. "Ich trage gerne bauchfrei und wollte damit einen Akzent setzten", erklärt sie.

Birte R. (38) hat mittlerweile ihren Piercing-Schmuck aus Augenbraue, Nase und Bauchnabel entfernt. Nicht, weil es nicht mehr "in" ist, sondern weil sie meint: "Es ist peinlich, wenn eine alte Mutti aussieht wie ein Nadelkissen." Nur gut, daß die Schmuckstücke ohne chirurgische Hilfe, Abrasionsverfahren oder Schleifmaschinen schmerz- und rückstandslos zu beseitigen sind.

Foto: Besonderer Schmuck: Mit sicherer Hand wurde dieses Motiv einer Leopardenmutter mit ihren Jungen (Nachahmung untersagt) in die Haut tätowiert.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren