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27.01.07 / Das Leben als alter Knacker / Hellmuth Karasek über den Charme und die Macken des Alterns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-07 vom 27. Januar 2007

Das Leben als alter Knacker
Hellmuth Karasek über den Charme und die Macken des Alterns

"Gott, was habe ich mich über den älteren Herrn geärgert, neulich beim Bäcker! Wie er umständlich in Taschen und im Portemonnaie nach den Cents fingerte, die er immer noch Pfennige nannte ... Wie er mit der jungen Verkäuferin zu flirten versuchte. Irgendwas von knackig und frisch in Bezug auf Brötchen sagte und sie dabei angrinste ... Diese älteren Leute, dachte ich schon, aber da merkte ich, daß ich es war, über den ich mich geärgert hatte und den der Jüngere in mir beiseite schubsen wollte." Hellmuth Karasek versucht, sein Altern mit Humor zu nehmen, auch wenn er dabei durchaus immer wieder sehnsüchtig mit der Jugend liebäugelt. Dabei greift das eine Viertel vom einst bekannten literarischen Quartett in "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten" durchaus nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen zurück, sondern schildert auch aus dem Leben bekannter Literaten. Außerdem kommen regelmäßig alternde Bekannte vor, die kurz vor dem Renteneintritt oder schon danach mit beinahe noch kindlichen Geliebten liebäugeln und mehr.

Karasek geht jedoch keineswegs nur auf Schrullen und Wünsche alternder Menschen ein, sondern nimmt sich auch ihrer Ängste an. "Je heller es wurde, desto deutlicher geriet ich in Panik, weil ich immer mehr von der Furcht befallen war, über Nacht taub geworden zu sein ... ,Ich bin wahrscheinlich taub.' Nach einer Pause: ,So ist das im Alter! Es überfällt einen! Über Nacht! Nie mehr die Vögel hören!'" Auch wenn sich später herausstellte, daß es nur ein sich gelöster Pfropfen Ohrenschmalz war, der dem Autor das Hören fast unmöglich machte, so hat er die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn man nicht mehr so kann, wie man will. Voller Selbstironie schildert er seine verzweifelten Versuche, sein offenes Schuhband auf der Straße zu schließen, ohne irgendwelche peinlichen Verrenkungen machen zu müssen, da er nicht mehr automatisch beim Bücken seine Schuhe greifen kann.

"Ja, ja, lang leben will halt alles, aber alt werden will kein Mensch." Zitate wie dieses von Nestroy würzen Karaseks eigene Gedanken zum Altern. Ausführlich nimmt sich der Autor auch einen Teil der Geschichte "Gullivers Reisen" vor, in dem dieser die Strudbrugs besucht, Wesen die nicht sterben, aber mit den Jahren immer abstoßender werden. Also warum Angst vorm Tod, wenn das die Alternative ist, so der Tenor dieses Kapitels. Auch kritisiert Karasek, daß Altern bei vielen irgendwie den Anstrich von Krankheit hat. So berichtet er von einem Chirurg, der seine Lebensgefährtin alterslos operiert hat. Doch dieses alterlose Gesicht zeige doch nur ein vom Leben getilgtes Gesicht, absolute Leere.

"Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten" ist durchaus unterhaltsam, doch irgendwie fehlt der Biß. Auch die vielen Verweise auf das Altern in der Literatur entschädigen nicht wirklich, zumal man diese von einem Karasek erwartet. R. Bellano

Hellmuth Karasek: "Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten", Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, geb., 271 Seiten, 18,95 Euro, Best.-Nr. 6037


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