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27.01.07 / Was brachte die Osterweiterung? / In Berlin wurde Bilanz gezogen nach über zwei Jahren EU-Enklave Königsberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-07 vom 27. Januar 2007

Was brachte die Osterweiterung?
In Berlin wurde Bilanz gezogen nach über zwei Jahren EU-Enklave Königsberg
von Karlheinz Lau

Das 15000 Quadratkilometer große Königsberger Gebiet nimmt eine Sonderstellung unter den Verwaltungsbezirken der Russischen Föderation ein. Territorial vollständig von Rußland getrennt, grenzt es an die EU-Mitglieder Republik Polen und Republik Litauen sowie an die Ostsee. Königsberg selbst hat gegenwärtig rund 400000 Einwohner, im Umland leben weitere 600000 Menschen. Sie stammen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion. Sie bezeichnen sich häufig mit einem Anflug von Ironie als Treibsand der sowjetischen Geschichte.

Einer breiteren Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland wurde Königsberg "wieder" bekannt, als 2001 vornehmlich in der Region Brandenburg / Berlin des 300. Jahrestages der Krönung Friedrichs I. in der Stadt zum König in Preußen gedacht wurde. Zur Lachnummer aller Kenner der preußischen Geschichte wurde der offizielle Almanach zum Preußenjahr 2001 mit Vorworten der damaligen Regierungschefs Brandenburgs und Berlins, Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen, der Preußen in Geschichte, Wirtschaft, Kultur und anderem nur im heutigen Lande Brandenburg stattfinden ließ. Diese "Amputation" von etwa 70 Prozent Preußens veranlaßte polnische Historiker und Publizisten um die Kulturgemeinschaft Borussia in Allenstein nach 2001 zu einer Aufsatzsammlung über die Bedeutung Preußens für Polen und die polnischen Bürger. Zum Schmunzeln, vielleicht aber auch nur peinlich, daß Manfred Stolpe, als er anläßlich eines "Märkischen Gesprächsforums" im Haus Brandenburg in Fürstenwalde 2006 darauf angesprochen wurde, diese Tatsache überhaupt nicht bewußt war.

In den letzen Jahren ist Ostpreußen zu einem beliebten Reiseziel geworden, sicher keine Massenbewegung, aber immerhin beachtliche Zuwachsraten. Es werben nicht nur deutsche Veranstalter, sondern auch in nicht geringer Zahl polnische Anbieter. Das geschieht nicht selten durch Anzeigen in Zeitungen der Landsmannschaften oder Heimatkreise. Geschäftssinn oder Zeichen von Normalität? Sicher beides. Beliebte Ziele sind Masuren oder in der Republik Litauen die Kurische Nehrung mit Nidden und Memel, weniger das Gebiet Königsberg mit Ausnahme der Stadt selber.

Wer sind nun die aus der Bundesrepublik Deutschland anreisenden Touristen? An erster Stelle müssen ehemalige Bewohner genannt werden, die zwischen 1944 und 1947 aus Ostpreußen geflohen sind oder vertrieben wurden. In nicht wenigen Fällen werden sie von Verwandten, Kindern oder Enkelkindern begleitet. Viele von ihnen sind in der Landsmannschaft Ostpreußen organisiert. Es existieren inzwischen gewachsene Bindungen und Verbindungen zwischen ehemaligen und heutigen Bewohnern zahlreicher Orte. Als ein großartiges Beispiel müssen die kommunalpolitischen Kongresse der Landsmannschaft mit vielen ostpreußischen Gemeinden genannt werden. Aus den bekannten Gründen betrifft das aktuell nur den unter polnischer Souveränität stehenden Teil. Von diesen Aktivitäten deutscher Vertriebener ist bei uns im Lande beschämend wenig bekannt.

Die zweite Kategorie sind Bildungsreisende und Naturliebhaber, die die unvergleichliche Landschaft dieser Region kennenlernen wollen und sich gleichzeitig mit ihrer Geschichte und Gegenwart beschäftigen. Diese Interessenten fahren jetzt auch verstärkt in das Königsberger Gebiet. Schließlich müssen die vielen Autotouristen genannt werden, die sich in den masurischen Wäldern und Seen, aber auch auf der Kurischen Nehrung als Feriengäste erholen. Das Gastgeberangebot in diesem Teile der Republik Polen und der Republik Litauen ist bereits beträchtlich. Inzwischen ziehen die Russen auf dem von ihnen verwalteten Teil der Kurischen Nehrung nach, Cranz, Sarkau oder Rossitten.

Es überrascht also nicht, daß eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa im November 2006 in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin zum Thema "Das Kaliningrader Gebiet zwei Jahre nach der EU-Osterweiterung - Bilanz und Perspektiven" hervorragend besucht war von Interessenten aller Altersgruppen, also nicht nur der berühmten Erlebnisgeneration. Das Podium war hochkarätig besetzt: zwei Vertreter der neuen politischen Führung der Königsberger Gebietsadministration, der deutsche Generalkonsul, ein Vertreter der deutschen Wirtschaft in der Region und der Leiter des Deutsch-Russischen Hauses in Königsberg.

Die einleitenden Kurzvorträge brachten - fast erwartungsgemäß - bekannte Fakten. Die Vertreter des Gebietes, nunmehr von einer EU-Außengrenze umgeben, beklagen eine erhebliche Einschränkung von Freizügigkeit, zum Beispiel keine Öffnung des EU-Marktes für Produkte und Dienstleistungen aus dem Königsberger Gebiet oder die Probleme des Transits zum über 400 Kilometer entfernten Hinterland der Russischen Föderation. Dem steht seit einigen Jahren ein erhebliches wirtschaftliches Wachstum gegenüber; vornehmlich kommen Investoren aus Großbritannien, Polen, Litauen, deutsche Unternehmer sind bisher sehr vorsichtig wegen der unklaren politischen Zukunft.

Das Interessante war aber die sich anschließende Diskussion. Vom Auditorium wurden kritische Punkte angesprochen: der kulturelle und zivilisatorische Niedergang des Hinterlandes, die Versteppung einer ehemals blühenden Kulturlandschaft, der Verfall von Bausubstanz und wichtigen Baudenkmälern aus deutscher Zeit, die fehlende Wirtschaftsgesinnung und bedrückende Mentalität vieler Menschen auf dem Lande - das wichtigste Werkzeug sei die Wodkaflasche. Dem wurde von den russischen Teilnehmern nicht widersprochen. Man gewann den Eindruck, daß die neue Administration tatsächlich willens ist, vorhandene Defizite energisch abzubauen. Ein weiteres Problem sind die bis heute unzumutbaren Grenzkontrollen zwischen der Republik Polen beziehungsweise der Republik Litauen und dem Königsberger Gebiet. Sie erinnern an dunkelste Praktiken an der damaligen deutsch-deutschen Grenze. Bei dieser Frage wurde im Publikum applaudiert, eine Lösung aber nicht einmal angedeutet, vielmehr bezichtigt man sich wechselseitig der Korruption.

Ein für die russischen Teilnehmer offensichtlich heikles Thema war beziehungsweise ist der Name "Kaliningrad". Bekanntlich wird gerade unter der Königsberger Studentenschaft diese Frage immer wieder diskutiert, es kursieren Vorschläge zur Rückbenennung in Königsberg oder Umbenennung in Kantstadt. Klare Position der Königsberger Politiker: Dieses Gebiet ist Kriegsbeute, an der Rußland festhält, am Namen "Kaliningrad" wird nicht gerüttelt.

Den Schlußpunkt der Diskussion setzte Andreas Kossert, Autor diverser Bücher zum Thema Ostpreußen. Er sei zuversichtlich, daß sich in den nächsten Jahren eine langsame Identifikation mit der ostpreußischen Kulturlandschaft, die durch Deutsche, Polen, Russen und Litauer gestaltet worden sei, beginnen werde. Der seit 1989 einsetzende Transformationsprozeß, verstärkt durch die Osterweiterung der EU, der zunächst nur den Ballungsraum Königsberg erfaßt habe, werde sich fortsetzten, die normative Kraft des Faktischen, nämlich die völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen, würden ihre Zeichen setzen. Eines muß für uns Deutsche allerdings klar bleiben: Ostpreußen war bis 1945 Teil der preußisch-deutschen Kultur- und Geschichtslandschaft. (KK)

Foto: Königsberger Dom: Deutsche Gebäude wie dieses Wahrzeichen Ostpreußens künden davon, daß die Exklave Kriegsbeute, aber nicht Bestandteil Rußlands ist.


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