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03.02.07 / Ein Leben zwischen HipHop und Taliban / Murat Kurnaz eignet sich nicht als Opferfigur und Ankläger gegen Guantanamo

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-07 vom 03. Februar 2007

Ein Leben zwischen HipHop und Taliban
Murat Kurnaz eignet sich nicht als Opferfigur und Ankläger gegen Guantanamo
von Sverre Gutschmidt

Kampfsport und Kampfhunde - mit diesen Hobbys verließ er Bremen, heute ist Murat Kurnaz (24) ein anderer Mensch. "Sie haben mich mit dem Kopf unter Wasser getaucht, haben mit dem Gewehr gedroht und sie haben mich auch mit Elektroschocks an den Füßen gefoltert", sagt der als "Bremer Taliban" bekannt gewordene Türke zu seiner Haft im US-Gefangenenlager Guantanamo. Bewiesen ist nichts, auch wenn Medien allzugern die Behauptungen Kurnaz als Tatsachen wiedergeben. Er will in US-Haft gefoltert worden sein und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Kurnaz sagt, die Haft hätte von deutscher Seite verkürzt werden können, deutsche Soldaten hätten ihn gar in Guantanomo mißhandelt. Doch wer ist der Koranschulbesucher und was für Umstände führten ihn in amerikanische Gefangenschaft? Murat Kurnaz ist mehr als einer, der zur falschen Zeit am falschen Ort war.

Bremen in den 70er Jahren: Murats Vater, ein Monteur, arbeitet als Gastarbeiter bei "Mercedes" in Bremen - bis heute. Rabiye Kurnaz kommt als seine Braut aus der Türkei nach Deutschland. Die beiden Türken der ersten Zuwanderergeneration sind westlich orientiert. Sie wirkt mit ihrem blonden Haar heute wie ein Fremdkörper neben dem bärtigen Sohn Murat. Der kommt im März 1982 in Bremen als türkischer Staatsbürger zur Welt. Er wächst mit seinen drei Geschwistern im Bremer Arbeiterstadtteil Hemelingen auf. Ein schmuckloser Ort im Süden der Stadt, geprägt von Gewerbegebieten und Hochhäusern irgendwo an der Autobahn und nahe an Papas Fabrik.

Vor dem 11. September 2001, dem islamistischen Terror gegen das New Yorker World Trade Center, lebt Murat als einer von Tausenden türkischen Jugendlichen Bremens. Er hat den Hauptschulabschluß gemacht, hört gern HipHop-Musik und arbeitet aushilfsweise im Kraftsportstudio. Er beginnt eine Lehre zum Schiffbauer. Einen gemischten Freundeskreis soll er damals gehabt haben. Es gibt kein Anzeichen dafür, daß Politik ihn interessiert hätte. Einen deutschen Paß beantragt er nicht, obwohl es für ihn eine Formalität gewesen wäre. Vielleicht hatte er es vor, irgendwann, um den berüchtigten türkischen Militärdienst zu umgehen.

Doch im Sommer 2001 reist Murat aus einem speziellen Grund in die Heimat seiner Eltern, die er auch religiös als die seine wählt: Er heiratet seine Verlobte. Zurück in Deutschland besucht er häufig die Bremer Abu-Bakr-Moschee. Vorbeter dort ist ein gewisser Ali Miri, bekannt für eine fundamentalistische Auslegung des Koran. Dann der 11. September: Moslems auf der ganzen Welt zeigen mehr oder weniger verhohlene Sympathie für die Attentäter - auch in Bremen. Murat ist seit seiner Türkei-Reise am Islam interessiert, wie er heute sagt. Doch am 11. September wird aus Interesse mehr. Sein Freund Sofyen Ben Amor hat Kontakte zu radikalen Taliban und kennt Ali Miri gut. Viele junge Moslems werden durch Moschee-Kontakt radikalisiert. Mit einem weiteren Freund, Selcuk Bilgin, beschließen sie am 3. Oktober, keinen Monat nach dem Anschlag, eine Reise nach Pakistan zu machen. Sie wollen in das Land, das für radikale Koranschulen bekannt ist. Sofyen zahlt Murats Ticket. Auf einen Rückflug legt Murat keinen Wert. Er will diese Schulen aufsuchen, dort lernen, wo schon führende Mitglieder der Taliban-Regierung Afghanistans ihr Rüstzeug erhalten hatten, dem Ausbildungsland der Attentäter des 11. September.

Diese "Pilgerreise", so nennt Kurnaz das heute, endet für Bilgin bereits am Frankfurter Flughafen. Er wird verhaftet, da er wegen eines Vermögensdelikts zur Fahndung ausgeschrieben ist. Bilgins Eltern werden später ihren eigenen Sohn anzeigen, weil der in Afghanistan gegen Amerikaner habe kämpfen wollen, das wiederum startet Ermittlungen gegen Murat. Doch noch reist er - allein. Der Krieg in Afghanistan steht unmittelbar bevor. Kaum in der ersehnten Region und der Koranschule angekommen, fällt Kurnaz im November 2001 pakistanischen Sicherheitskräften bei einer Routinekontrolle auf.

Aus einem Bus heraus wird der auffällig rothaarige, blauäugige Mann festgenommen - die USA bitten zu der Zeit ihre pakistanischen Verbündeten um Hilfe bei der Suche nach Ausländern die sich, wie die Attentäter, in Pakistan in Islamismus und Terror schulen lassen. Und die pakistanischen Behörden sind froh, den Verbündeten einen Erfolg zu präsentieren - Murat. Die Amerikaner stufen ihn als "ungesetzlichen Kämpfer" ein. Im Januar 2002 bringen sie den verhinderten Taliban aus einem Häftlingslager in Afghanistan in das berüchtigte Lager Guantanamo auf Kuba. Gleichzeitig laufen in Deutschland über den Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen Kurnaz, die jedoch nicht vorankommen, weil der in Guantanamo nicht aussagen kann. Dafür macht 2003 die Abu-Bakr-Moschee und ihr radikales Umfeld nochmals von sich reden. Ein 17jähriger Libanese, der dort wie Kurnaz häufig ein und aus geht, entführt einen Bremer Linienbus und beruft sich dabei auf Osama bin Laden. Auch dieser Jugendliche war wenige Wochen nach dem 11. September nach Pakistan zur Koranausbildung geflogen.

Erst 2004 kommt Bewegung in den Fall Kurnaz: Dessen Anwalt Bernhard Docke reist mit einer internationalen Delegation nach Washington, hofft auf Kurnaz' baldige Freilassung. Inzwischen dürften die US-Behörden gewußt haben, daß Kurnaz nichts Hintergründiges vom Terror weiß: Er spricht besser Deutsch als Türkisch, Arabisch beherrscht er nicht. Doch niemand scheint sich für Kurnaz zu interessieren, die Türkei jedenfalls setzt sich für ihren Bürger nicht ein. Und auch der hat plötzlich kein Interesse mehr an dem für seine religiöse Sinnstiftung maßgeblichen Staat. Im selben Jahr verkündigt Bremens Innensenator Thomas Röwenkamp (CDU), Kurnaz' Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland sei erloschen - Bremen will ihn nicht zurück, soviel ist klar. Anfragen der Bundesregierung in Washington haben bis dahin nicht zur Freilassung geführt - kaum einer in Deutschland interessiert sich für Kurnaz, und das bleibt so bis zum August 2006, als Kurnaz freikommt und schwere Vorwürfe erhebt - ein Mann der auszog, den Terror zu lernen, und scheiterte.


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