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10.02.07 / Tot in der Provinz / Polizist erschießt Randalierer - Wer ist der Täter, wer das Opfer, eine Mediendiskussion

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-07 vom 10. Februar 2007

Tot in der Provinz
Polizist erschießt Randalierer - Wer ist der Täter, wer das Opfer, eine Mediendiskussion
von Harald Fourier

Tot liegt Sven G. nahe dem Bahnhof. Erschossen von einem Polizeibeamten, der aus Notwehr gehandelt hat, wie er sagt. Die drei Kumpels von Sven G. sehen das anders: Sie sagen, der Polizist habe aus größerer Entfernung auf die Gruppe geschossen und den 28jährigen dabei getroffen. Das Drama hat sich vor einer Woche in Nauen abgespielt.

Der Polizist schildert den Vorfall so: Er ist auf dem Heimweg in der Regionalbahn, trägt aber immer noch seine Uniform. Es ist 21 Uhr. Im Zug fallen ihm die drei oder vier Rabauken (dazu liegen abweichende Zeugenaussagen vor) auf: Lars (24), Christian (20), Jan (20) und eben Sven G. Die vier sollen bereits einen ganzen Kasten Bier getrunken haben.

Sie sind Rowdys - allesamt. Über Sven G., das spätere "Opfer", will der "Berliner Kurier" herausgefunden haben, daß er "bekannt für seine Gewaltbereitschaft" gewesen sei. Und das, obwohl er mit 28 der weitaus älteste der Vierergruppe war. Ein bißchen zu alt für Sachbeschädigung und ähnlich gelagerte Bagatelldelikte.

Gemeinsam steigen Polizist Thomas W. (24) und die Rabauken in der 16000-Einwohnergemeinde Nauen aus. Letztere machen sich mit den im Zug geklauten Notfallhämmern (auch so ein Delikt für pubertierende Teenager) an einem Telefonhäuschen zu schaffen. Das Telefonhäuschen ist schon von anderen Randalierern bearbeitet worden.

Thomas W. ruft - mutig und selbstlos, statt seinen Feierabend zu genießen - seine Kollegen über 110, versucht die Täter zu stellen. Er trägt eine Waffe. Auf der Tonbandaufnahme des Telefonats soll angeblich zu hören sein, wie die Randalierer ihm entgegnen: "Den machen wir platt". Doch die jungen Männer ergreifen die Flucht. W. hinterher. Eine Polizeisprecherin sagt später: "Als der Beamte sie aufspürte, eskalierte die Situation. Warum, ist noch nicht nachvollziehbar." Haben die Randalierer den Beamten angegriffen? Es sieht ganz danach aus.

So viel steht fest: Der Polizist gibt einen Warnschuß ab. Dann schießt er auf den 28jährigen Sven G., den vermeintlichen Rädelsführer. Zweimal in den Kopf, einmal in den Bauch. Der angeblich arbeitslose Koch Sven G. verstirbt am Ort des Geschehens.

Sven G. hinterläßt zwei Söhne und zwei Töchter. Freunde und Bekannte schildern ihn als freundlich. Aber er war auch nicht zimperlich. Oft lud er sich Kumpels ein, viele Jüngere darunter, mit denen er zum Ärger seiner Nachbarn feierte und lärmte. Die Hartz-IV-Dorfjugend ging bei ihm ein und aus. Seine Kumpels sagen hinterher, der Polizist habe aus 50, ja 80 Metern Entfernung geschossen. Dabei läßt sich so etwas kriminalistisch schnell aufklären. Der Polizist sagt, G. habe sechs bis acht Meter vor ihm gestanden. Immerhin waren er und seine Freunde auf dem Tonband der Polizei zu hören. Aus 80 Metern Entfernung müßten sie ziemlich gebrüllt haben, wenn sie auf dem Band zu hören sind.

Nach dem tragischen Vorfall begann eine bemerkenswerte Berichterstattung der Medien über den Fall. Lokale Radiosender berichteten nicht über die Umstände im einzelnen, sondern nur in folgendem, arg verkürzenden Tenor: Polizist erschießt Familienvater.

In Berlin gehört Gewalt in den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Alltag. Sprayer und andere Randalierer verunstalten die Wagen, bedrohen zuweilen zu später Stunde andere Fahrgäste. Was in einer Großstadt eben so passiert. Die Berliner Stadtbahn reagiert darauf seit einigen Monaten mit einer neuen, teuren Werbekampagne gegen Graffiti und Vandalismus. Mit mäßigem Erfolg.

Aber in Nauen? Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch (Thomas W. verrichtet seinen Dienst in der Hauptstadt) hat nach den Todesschüssen von Nauen sinkendes Rechtsbewußtsein und zunehmende Gewaltbereitschaft in Teilen der Gesellschaft beklagt. Dabei sänken auch die Hemmungen, Polizisten tätlich anzugreifen, so Glietsch.

Daß dies nicht nur in Berliner Problembezirken wie Neukölln geschieht, sondern anscheinend auch in der märkischen Provinz, hat doch einige überrascht. Tatsache ist natürlich, daß es eine wachsende Zahl von Frustrierten gibt, die nach jahrelanger Erwerbslosigkeit und angesichts mangelnder Lebensperspektiven, ihrem Unmut auf die Art und Weise Luft verschaffen, wie der Randalierer und seine Freunde es getan haben.

Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) war es, der in diesem Zusammenhang den Begriff der "Verproletarisierung" prägte. Wobei ein Schwerst-Alkoholiker ohne Job eher ein Prolet ist - denn ein Proletarier. Da nützt es auch nichts, daß das Wohngebiet von Sven G. "gepflegt wirkt" und daß das Haus "saniert ist" ("Spiegel online").

Die Täter haben es trotzdem geradezu darauf angelegt, mit "der Staatsmacht" in Konflikt zu geraten. "Da entwenden erwachsene Männer nach ein paar Glas Bier Nothämmer und zertrümmern Telefonzellen, obwohl sie gesehen haben müssen, daß ein Polizeibeamter in der Nähe ist. Es spricht alles dafür, daß sie ihn angriffen, weil er sie daran hindern wollte, ihr Zerstörungswerk fortzusetzen." So Glietsch weiter.

Es gibt im übrigen laut "Mitteldeutscher Zeitung" eine Übereinkunft zwischen der "Deutschen Bahn" und dem Potsdamer Innenministerium, daß Polizisten in Uniform kostenlos mitfahren dürfen. Der Grund ist die höhere Sicherheit der anderen Bahngäste.

Die "Märkische Allgemeine" schlägt sich auf die Seite von Sven G. In einem Leitartikel schreibt sie: "Polizisten wissen genau, daß sie mit der Waffe nicht einmal drohen dürfen, wenn kein Anlaß zum Einsatz der Schußwaffe besteht. Sachbeschädigung und Randaliererei sind kein solcher Anlaß." Mit anderen Worten: Der Polizist hätte sich lieber verkriechen sollen, hätte zu seiner Freundin in einen nahegelegenen Ort weiterfahren und die Straftäter gewähren lassen sollen. Von preußischer Pflichterfüllung und einer am Gemeinwohl orientierten Beamtenschaft scheint die "MAZ" nicht viel zu halten.

Tatort Nauen: Eine kleine 16000-Einwohnergemeinde nahe Berlin, wo bei vielen der Respekt vor der Polizei nachläßt Foto: pa


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