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24.02.07 / Gar nicht bieder / Eine Ausstellung in Wien rehabilitiert eine ganze Epoche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-07 vom 24. Februar 2007

Gar nicht bieder
Eine Ausstellung in Wien rehabilitiert eine ganze Epoche
von Silke Osman

Wie himmlisch es war im Zimmer. ,Seht, Kinder', erklärte Tante Paula, ,dieses ist ein echtes altes Biedermeier-Zimmer. Auch die Stickereien auf den Stühlen, am Klingelzug. Alles. Die Möbel, der Schrank, die Tassen. Alles. Werdet ihr euch das Wort merken? Biedermeier.'" Diese kleine Begebenheit schildert Charlotte Berend-Corinth, Malerin und Ehefrau des Malers Lovis Corinth, in ihren Erinnerungen "Als ich ein Kind war" (1950). Das Wort Biedermeier wird man sich gemerkt haben, klang es doch sehr anschaulich. Was sich allerdings dahinter verbarg, wird bis heute oft genug mißverstanden und belächelt. Biedermeier? Das ist doch bürgerliche Behaglichkeit, das ist doch Spießertum wie es leibt und lebt. So wird mancher denken. Übernommen wurde der Begriff Biedermeier nachträglich allerdings tatsächlich von einem heute als Spießer betrachteten Weiland Gottlieb Biedermaier, der als Dorfschullehrer in Schwaben sein Dasein fristete und in seinem kleinen Gärtchen, seiner engen Stube glücklich war. Dieser Biedermaier aber ist eine Erfindung von Adolf Kußmaul und Ludwig Eichrodt, die "seine" Gedichte von 1855 bis 1857 als Persiflage auf die damalige Zeit in den Münchner "Fliegenden Blättern" veröffentlichten.

Und wie war es wirklich? "Das Phänomen des Biedermeier", erläutert Laurie A. Stein im Katalog zu einer Ausstellung, die derzeit in der Wiener Albertina gezeigt wird, "entwickelte sich als Teil einer umfassenden kulturellen Neubestimmung ... Tatsächlich wurde die Verbreitung der Biedermeierkultur durch die eng miteinander verflochtenen familiären Beziehungen zwischen den herrschenden und politisch einflußreichen Kreisen Deutschlands und Österreichs gefördert. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde für einige junge Aristokraten die Kultur der Häuslichkeit zu einer Form des Rückzugs, im positiven wie im negativen Sinn."

1820 vergab Erzherzog Karl mit seiner Übersiedlung in das Palais der Albertina den umfangreichsten und zugleich radikalsten Modernisierungs- und Ausstattungsauftrag der Epoche in Mitteleuropa. Die Pracht des französischen Empire und die historisierende Antikenrezeption des Klassizismus waren nicht mehr gefragt. Der neue Dekorationsstil verzichtete auf Ornamente und bevorzugte geometrische Grundformen. Besonders interessiert war man am Glanz und an der natürlichen Schönheit der Materialien. Meisterhaft wurden Holzmaserungen verarbeitet. Maler und Zeichner verstanden es geschickt, porzellanhafte Spiegeleffekte herauszuarbeiten. Ein erstaunliches Beispiel findet sich im Werk des Malers Johann Erdmann Hummel (1769-1852), der 1831 das Schleifen, Polieren und die Aufstellung der riesigen Granitschale im Lustgarten vor dem Alten Museum in Berlin festhielt. Die polierte Außenwand der Schale reflektiert die Umgebung, seien es die Fenster der Halle, in der sie bearbeitet wurde, seien es die Spaziergänger im Lustgarten. Auch inhaltlich hatte Hummel mit diesem Werk Neuland betreten. Mehr als 40 Jahre vor Adolph v. Menzel, der 1875 die Arbeit in einem Eisenwalzwerk auf der Leinwand festhielt, wählte Hummel ein industrielles Motiv.

"Die Erfindung der Einfachheit - als Stil wie als ethische Haltung - wirkte nach dem Wiener Kongreß von der Haupt- und Residenzstadt aus in andere Kunstzentren Mittel- und Nordeuropas", erläutern die Veranstalter. "Dieser für den Aufbruch der Moderne um 1900 so einflußreiche Stil des frühen Wiener Biedermeier mit seiner Reduktion und Mate-

rialästhetik wird in dieser Großausstellung als internationales Phänomen präsentiert: mit den Parallelerscheinungen in Goethes Weimar, in München, Berlin und Kopenhagen." Mit 450 Exponaten erzählt die Ausstellung die Frühgeschichte des modernen Stils. Zu sehen sind Beispiele aller Kunstgattungen: Gemälde, Grafiken, Möbel, Glas- und Porzellanobjekte, Silberarbeiten, Mode und Raumgestaltung. Und immer wieder muß der Betrachter mit Erstaunen feststellen, wie modern so manches Exponat anmutet.

Die Ausstellung in der Wiener Albertina, Albertinaplatz 1, ist täglich von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr geöffnet; bis 13. Mai. Das Deutsche Historische Museum Berlin, Unter den Linden 2, zeigt die Ausstellung täglich von 10 bis 18 Uhr, vom 8. Juni bis 2. September. Im Musée du Louvre, Paris, ist die Ausstellung vom 15. Oktober 2007 bis 15. Januar 2008 zu sehen. Ein Katalog (440 Seiten, 415 farbige Abb., Leinen mit Schutzumschlag, 49,80 Euro) erschien im Verlag Hatje Cantz.

Foto: Typisch Biedermeier: Kopfbedeckung für die Dame, eine sogenannte Schute (Österreich, um 1841)


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