27.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.02.07 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-07 vom 24. Februar 2007

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

wieder einmal muß ich Dank sagen, ganz, ganz herzlichen Dank für die vielen Glückwünsche zu meinem Geburtstag, und wieder einmal mischt sich eine ganze Portion schlechtes Gewissen mit ein, denn ich wollte mich ja eigentlich für jeden, wirklich für jeden Glückwunsch persönlich bedanken, den ich zu meinem 90. Geburtstag bekommen hatte. Und nun ist schon der 91. verflossen, und die Gewissenslast wächst weiter, denn ich glaube, ich komme wieder nicht dazu, allen Gratulanten zu schreiben, denn dann sieht mich der große Berg "Familienpost" vorwurfsvoll an und sagt: Zuerst bin ich dran, ich dulde keinen Aufschub. Bitte, liebe Freunde, lewe Landslied, nehmt also dieses erste Dankeschön an und seid versichert, daß ich mich riesig über die Glückwünsche gefreut habe, die aus aller Welt kamen, aus Kanada wie aus Australien, und aus dem eisigen Chicago kam sogar ein herrlich heimatlich klingender Geburtstagsgruß - altes Herz, was willst du mehr! Wer hat schon zwei Familien: meine eigene, die mir einen wunderschönen Tag bereitete, und die große Ostpreußische Familie, die mir wiederholt wünschte, 100 Jahre alt zu werden.

98 wäre ja auch schon ganz schön, so alt ist nämlich Margarete Baum aus Kronberg. Und daß auch ihr Gedächtnis tadellos funktioniert, beweist sie mit ihrem - handgeschriebenen und fabelhaft leserlichen - Brief und der darin enthaltenen aufschlußreichen Auskunft über die Familie Hahn, Gut Kurschen. Nach der fragt nämlich Monsieur Robert Broisseau aus Perpignan, dessen Vater dort als Kriegsgefangener gearbeitet hat. Frau Baum hat Elfriede Bartel geborene Hahn, sehr gut gekannt, denn sie haben zusammen die Schulbank gedrückt. Die Klasse hielt auch nach der Flucht zusammen, die letzten von 15 Schülerinnen trafen sich noch 85jährig zu einem Klassentag. Aber nun, so meint Margarete Baum, sei sie wohl die Allerletzte. Auch Frau Bartel dürfte schon verstorben sein, sie wohnte zuletzt in einem Altenheim in Hofgeismar, weil ihre Tochter, Frau Fischer, in der hessischen Stadt lebte. Frau Baum besitzt noch eine Anschrift - Hofgeismar, Steinbruchstraße 4 B - und eine Telefonnummer. Als Frau Baum dort anrief, meldete sich ein Herr, der dort schon länger wohnt und nichts über die Frauen sagen kann. Es ist anzunehmen, daß dort die Tochter gewohnt hat. Frau Bartel-Hahn hat auch einen Sohn gehabt, über ihn weiß Frau Baum nichts. Aber sie kann sich an den von dem Franzosen erwähnten Eric erinnern, ein Flüchtlingskind aus dem Baltikum, Pflegesohn der Familie Hahn. Somit steht jedenfalls fest, daß wir mit Gut Kurschen, Kreis Ragnit richtig lagen, weil die ersten Angaben etwas vage waren. "Vielleicht sind Sie nun findiger als ich", beendet Frau Baum ihr Schreiben. Jedenfalls können wir dem Fragesteller aus Perpignan eine erste Auskunft geben, und er wird erstaunt sein, daß eine hochbetagte Zeitzeugin sich noch so gut erinnern und sogar bei der Suche helfen kann. Vielleicht kommen wir ja nun weiter, den Wegweiser hat Frau Baum gestellt! Ganz, ganz herzlichen Dank nach Kronberg!

In der selben Ausgabe unserer Zeitung erschien auch der Suchwunsch unserer Leserin Gerlinde Hensel aus Hannover - die Nr. 5 der PAZ / Das Ostpreußenblatt scheint eine Glücksnummer zu sein, denn Frau Hensel kann einen vollen Erfolg melden. Wir waren für sie der letzte Hoffnungsträger, weil sie bislang vergeblich versucht hatte, etwas über das Schicksal ihrer Kusinen Irmgard und Waltraud Spieh aus Gr. Jägersdorf, Kreis Insterburg, zu erfahren. Vier Tage nach der Veröffentlichung bekam Frau Hensel den Anruf von Herrn Kindler, der damals auch mit seinen Eltern in dem Treck war, als der von den Russen beschossen wurde. Die Eltern Spieh fanden dabei den Tod, das war Frau Hensel bekannt. Nun erfuhr sie von Herrn Kindler, daß auch die jüngste Tochter Waltraud nach dem Angriff verstarb. Er konnte Frau Hensel die Telefonnummer einer ehemaligen Nachbartochter der Familie Spieh geben, die als 15jährige auch auf dem Treck war. Diese, Frau Baer aus Neunkirchen, konnte auch den Tod der zweiten Kusine Irmgard bestätigen, die ebenfalls auf der Flucht verstarb, wahrscheinlich an Hunger oder einer Krankheit. Überlebt hat von der Familie Spieh nur die älteste Tochter Gertrud, die sich aber nie daran erinnern konnte, was mit ihren jüngeren Schwestern geschah. Nun gibt es zwar die Erkenntnis, daß die Kinder auch zu den Opfern des grausamen Geschehens gehören, aber damit hat auch die Ungewißheit ein Ende. Und es gibt dazu eine kleine, erfreuliche Geschichte. Frau Hensel besitzt noch fünf alte Fotos von der Hochzeit ihres Onkels Fritz Spieh mit Frieda Lapsien. Da Frau Baer auch nicht ein Foto von daheim retten konnte, war die Freude groß, als sie nun die Bilder bekam, auf denen sie als kleines Mädchen mit ihrem Bruder unter den Hochzeitsgästen zu sehen ist. Sie bringen ihr und ihrer Schwester sichtbar Kindheit und Heimat zurück - ein unerwartetes Geschenk!

Und um die Folge 5 als Glücksnummer zu bestätigen: Jetzt konnte auch Herr Franz Fleischer zufriedengestellt werden, denn der authentische Termin für die Eröffnung des Bahnhofs Mertenheim ist der 15. Mai 1935. Einen gleichnamigen Haltepunkt gab es vorher nicht, bei dem 8. Dezember 1868 - der Herrn Fischer genannt wurde und ihn zu der Leserumfrage bewog - handelte es sich lediglich um das Datum der Streckeneröffnung. Dies teilte mir nun der Vorsitzende des Regionalverbandes Süd des Bundes Junges Ostpreußen (BJO), Rainer Claaßen, mit und bat mich, auf das vom BJO herausgegebene Sonderheft zum Thema "Eisenbahnen in Ostpreußen" hinzuweisen, ein Wunsch, den ich hiermit gerne erfülle. Das sehr informative und nicht nur für Eisenbahnliebhaber interessante Heft ist über den Preußischen Mediendienst zu erhalten.

Ein kleiner Brief hat mich besonders bewegt, und Euch, lewe Landslied, wird es genauso ergehen. Die Schreiberin hat sich nach ihren eigenen Worten lange gequält, ehe sie ihr Anliegen zu Papier brachte, und nur wir können es wohl verstehen, warum dies so ist. Irmgard Schneiderat kam als Kind auf der Flucht kurz vor Fischhausen in russische Gewalt, hat Schreckliches und Unverständliches als noch nicht aufgeklärtes Mädchen erlebt, bis sie von älteren Frauen gerettet wurde, die ihr die Zöpfe abschnitten und sie äußerlich in einen Jungen verwandelten. Die gefangenen Frauen und Kinder wurden durch Eis und Schnee täglich 30 Kilometer weiter getrieben, bis sie nach Tilsit kamen. Als das Kind in einer verwüsteten Wohnung nach etwas Eßbarem suchte, fand es ein Evangelisches Gesangbuch, in dem der Name "Christel Kudßus" stand. Auch eine Jahreszahl war vermerkt: 1936, es dürfte das Einsegnungsjahr dieser Christel gewesen sein. Irmgard Schneiderat nahm das Buch mit. In den weiteren Jahren, so schreibt sie, hat es ihr das Leben gerettet, wohl weil es ihr Kraft gab, alles Schwere zu überstehen. Sie gab sich weiterhin als Junge aus und arbeitete bis September 1948 in der Sowchose Brakupönen. "Ich war oft so verzweifelt, aber das kleine Büchlein half mir immer weiter und tut es heute noch." Und dann schreibt sie die kaum faßbaren Worte: "Aber um der Ehrlichkeit willen muß ich Ihnen dies melden. Vielleicht leben ja noch Angehörige der Christel Kudßus, vielleicht auch sie selber!" Frau Schneiderat möchte sich also von dem Gesangbuch trennen, das ihr treuer Wegbegleiter von der zerstörten Kindheit bis heute war, und den rechtmäßigen Besitzern zurückgeben. Liebe Frau Schneiderat, Sie brauchen nun wirklich Ihr Gewissen nicht zu belasten, im Gegenteil: Danken Sie Gott, daß Sie das Gesangbuch fanden, das Ihnen half, das Furchtbare zu überstehen. Weil Sie es wünschen, veröffentliche ich hier Ihren Wunsch. Vielleicht melden sich die Angesprochenen, vielleicht nicht. Dann bitte: Behalten Sie das Gesangbuch, denn es wurde ja zu einem Teil Ihres Lebens und sollte es auch bleiben. Ich bin sicher, Sie werden von manchen Leserinnen und Lesern zustimmende Worte bekommen. Ich wünsche Ihnen alles erdenkliche Gute! (Irmgard Schneiderat, Teichweg 3 in 01829 Stadt Wehlen, Telefon 03 50 24 / 7 04 18.)

Diese Wintermonate lassen die Erinnerung an Flucht und Vertreibung wieder so lebendig werden, als sei es erst gestern gewesen, als das Unfaßbare geschah. Das spüre ich an den vielen Zuschriften, unter denen viele Suchfragen nach ehemaligen Schicksalsgefährten, vermißten Verwandten und verlorenen Freunden sind. Sie müssen sehr ausführlich behandelt werden und verlangen viel Platz. Deshalb heute nur noch ein kurzer Suchwunsch von meiner - gleichaltrigen - Heimatgefährtin Waltraut Kamm. Er betrifft ihren vermißten Bruder Walter Meyer, * 14. September 1908. Er war das erste Kind, das in der schönen Waldvillen-Kolonie Metgethen geboren wurde. Die Familie hat dort bis 1928 gewohnt, dann zog sie nach Königsberg auf die Hufen. Walter Meyer war im letzten Kriegsjahr als Soldat in Königsberg stationiert und hat sich freiwillig für den Einsatz in Metgethen gemeldet. Sein letzter Brief an die Angehörigen, deren Flucht in Aue / Erzgebirge endete, datiert vom März 1945. Frau Kamm interessiert sich nun für alle Dokumentationen über die Kämpfe bei Metgethen, die uns noch weiter beschäftigen werden. (Waltraut Kamm, Lübecker Straße 3-11 in 22926 Ahrensburg, Telefon 0 41 02 / 88 87 74.) Frau Kamm interessiert sich auch für das angekündigte Buch von Christel Wels, nun ist "Der unvergessene Weg" erschienen, eine Autobiographie, in der auch die durchlebten Horrortage in Metgethen geschildert werden. (Christel Wels: "Der unvergessene Weg - Eine ostpreußische Biografie", Frieling, Berlin 2007, broschiert, 112 Seiten, 12,90 Euro.)

Ein interessantes Angebot macht unser Leser Herr Ulrich Römer aus Reinbek. Aus einem Nachlaß ist die Familie im Besitz von alten Jahrgängen des Ostpreußenblattes. Es handelt sich um die Ausgaben 1954 bis 1974, die selten so geschlossen angeboten werden. Sicherlich dürften sich Leser dafür interessieren, auch für Heimatstuben oder Heimatforscher könnten sie wertvoll sein. Natürlich ist ein kleiner Haken dabei: 20 geschlossene Jahrgänge kann man schwer versenden, deshalb müßten sie abgeholt werden von Herrn Römers Bruder, der in Cuxhaven wohnt. Die Terminabsprache müßte telefonisch vereinbart werden. Hier die Telefonnummer von Wolfgang Römer: (0 47 23) 44 78.

Eure Ruth Geede


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren