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03.03.07 / Darf's etwas mehr sein? / Wenn Tantchen auf dem Markt einkaufen geht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Darf's etwas mehr sein?
Wenn Tantchen auf dem Markt einkaufen geht
von Christel Bethke

Wenn Mutter etwas vom Markt mitgebracht haben wollte, falls sie selbst verhindert war, schickte sie die Kinder mit einem Zettel zu ihrer Schwester, die am anderen Ende der Stadt wohnte, auf dem sie ihre Wünsche notiert hatte. Tantchen erledigte alles aufs beste, niemand kam ihrem Geschmack und Urteil gleich. Sie hätte jeden Geschmacksverstärker beim Schmecken herausgeschmeckt. Warum die Kinder lieber mit der Tante nach Übermemel auf den Markt gingen als mit ihrer Mutter, hätten sie ohne weiteres begründen können. Doch wer kränkt schon gern seine Mutter, die

es immer eilig hatte, nicht schmeckte, gleich kaufte ohne zu handeln, sich an keinem Stand länger als notwendig aufhielt, keinen Blick für die Pferde hatte, die aus ihren umgehängten Hafersäcken ihr Futter kauten - und überhaupt war es mit Tantchen viel schöner. Nicht nur wegen des Dittchens, der zum Abschluß beim Eismann umgesetzt wurde. Der hatte unter seinen silbernen Glocken schon drei Sorten im Angebot.

Der Marktgang fing schon bei den Vorbereitungen zu Hause an. Erst den Korb, darein kamen verschiedene leere Schraubdeckelgläser, Packpapier, das Tantchen bei anderen Einkäufen gesammelt hatte. Die Hauptsache war nicht zu vergessen: der Schmecklöffel, dazu ein weißes Tuch, um ihn nach der Benutzung säubern zu können. Dann Aufbruch zur Luisenbrücke, auf deren anderer Seite Übermemel begann mit seinem angestrebten Markt, das Einkaufsparadies der Tilsiter.

Auf der Brücke, jedesmal Halt in der Mitte mit Blick auf den Strom und die Weltgeschichte: das Treffen des Zaren Nikolaus mit Napoleon. Auf einem Floß! "Vor 130 Jahren war das", erläutert das Tantchen und dann natürlich noch die Geschichte der "armen" Königin Luise, nach der die Brücke ihren Namen trug. "Warum arm, Tantchen?" "Weil ihr Mann, der König, ein schwacher Mensch war und seine Frau Luise die Verhandlungen mit dem Kaiser der Franzosen führen mußte. Leider ohne Erfolg", sagte das Tantchen. "Der König, ein schwacher Mensch, Tantchen?" Bißchen wie der Onkel Gustav, Tantchens Mann, der sie schalten und walten ließ zu seinem besten, aber etwas duschackig war, wie jeder wußte. Weil man keine Familiengeheimnisse ausplaudern soll, geht es nun weiter auf den Markt. Hier soll von Tantchen berichtet werden, die fast keinen Stand ausließ, kein Fuhrwerk, von dem herab etwas angeboten wurde, was sie interessieren konnte.

Seitdem sie einmal trotz Schmeckens zu Hause ein ranziges Stück Butter aus dem Rhabarberblatt gewickelt hatte, mußte sie noch mehr als gewöhnlich auf dem Quivive sein. Alles wurde probiert: Schmand, süß und sauer, Butter, sogar von der Glumse ließ sie sich an verschiedenen Ständen auf den nicht zu kleinen Löffel tun. Man betitelte sie mit Madamche und das war sie auch. "Judche, nimm de Händ ausse Kann", pflegte sie einen Händler zu ermahnen, der seine Hände zu tief in das Gefäß mit den Beeren gesteckt hatte, um das Volumen zu vermehren.

Natürlich mußte auch ein Stück Tilsiter gekauft werden, nicht ohne zu probieren. Wie viele Sorten es davon gab! Nicht zu glauben. Wenn die Händlerin fragte: "Darf es ein bißchen mehr sein", erwachte ihr Mißtrauen verstärkt, und sie paßte auf, daß der Zeiger an der Waage auch still stand, bevor das gekaufte Stück von der Waage genommen wurde. Von den elektronischen Waagen heute wäre sie begeistert gewesen, die unbestechlich bis aufs Gramm ausrechnen können. Auch der Speck mußte gekostet werden. Fest mußte der sein und dick sowieso. Gut geräuchert. Auch da Begutachtung an mehreren Ständen, weil auch der Rauch verschieden war.

Als Tantes Tochter noch im Kinderwagen saß, erzählte die Mutter, hätte das Tantchen am Zöllner nicht nur das Baby in seinem Wagen an ihm vorbei geschoben, Kopf hoch und ganz Madame ...

Tantchen war eine fabelhafte Köchin und ging in ihrer Wirtschaft auf. Mit welcher Freude kochte und bewirtete sie. "Hast all gegessen", begrüßte sie den Ankommenden. Selbst wenn der bejahte, sie: "Macht nuscht, ißt nochmal." Daß man noch etwas eingepackt bekam, war selbstverständlich. Die Frage nach der Frauenemanzipation stellte sie sich nie. War das etwa nichts, eine Wirtschaft zu führen mit allem drum und dran?

Als das Leben nach der Flucht neu eingerichtet werden mußte, verlangte sie auf dem ihr fremden Markt immer noch zu schmecken, bevor sie kaufte und der Zeiger an der fremden Waage wurde keinen Moment aus den Augen gelassen, eher verlangte sie nur 400 Gramm, wenn sie 500 wollte, denn es war meistens etwas mehr. Vorgekochte Pansen für ihre berühmte Königsberger Fleck verachtete sie. Die kamen frisch in den großen Topf, zusammen mit viel Suppengrün aufgesetzt. "Bring ne Kann mit", hieß es später, als das Telefon Einzug gehalten hatte. Sie kochte immer reichlich und hätte zu jeder Zeit einen Hungernden sattmachen können. Was heißt einen! Auch zwei oder drei. Egal wohin sie das Leben verschlug, um sie war immer Fülle, selbst in den dürftigsten Zeiten.


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