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03.03.07 / Erinnerung an Narmel / Von Kiefernpassionsspinnern und Puppenräubern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-07 vom 03. März 2007

Erinnerung an Narmel
Von Kiefernpassionsspinnern und Puppenräubern
von Anne Bahrs

Als ich auf einer meiner Reisen durch das schöne Ostpreußen vom Memelland aus einen Abstecher nach Kahlberg am Frischen Haff machte und zusammen mit einer Freundin ein Sonnenbad am zweieinhalb Kilometer langen Strand genoß, fiel mir ein, was ein Freund aus Hannover, der Autor und Zoologe Dr. Richard Gerlach, meinem Mann und mir erzählte von seinem Urlaub, den er hier vor dem Zweiten Weltkrieg verlebt hatte.

Schon damals war Kahlberg, das heute Krynica Morska genannt wird, ein gern besuchter Badeort. Dr. Gerlach wohnte im nahen Dorf Narmeln und erlebte dort, daß eine aufgeregte Menschenansammlung die Formation einer Raupenwanderung beobachtete, die Kinder an den Händen hielt und sich von Einheimischen warnen ließ, auf gar keinen Fall barfuß oder nur in Sandalen hier zu laufen, denn die winzigen, borstigen Haare, die diese Raupen verlieren, seien enorm giftig. Man könnte davon Bronchitis bekommen, entzündete Augen und eine Nierenkrankheit, vor allem die Kinder auch hohes Fieber! Das Vieh müßte auf den Weiden bleiben.

Der Zoologe Dr. Gerlach schaltete sich ein, bestätigte die Gefahr und klärte die Leute auf, denn er wußte, daß es sich hier um die Raupen der Kiefernpassionsspinner handelte, jenen Nachtfaltern, die ihre Wirtsbäume im gegenüber liegenden Kiefernwäldchen leer gefressen hatten. Sie waren nun auf der Suche nach weiterer Nahrung oder bereits nach einem geeigneten Plätzchen zum Verpuppen. Möglich sei auch das, denn die Raupen waren schon ungefähr vier Zentimeter lang. "Sie mußten sehr hungrig gewesen sein, daß sie ihre Wanderung am Tage begannen, denn eigentlich sind sie nur nachts unterwegs!" erzählte er. "Diese Raupen spinnen einen Faden und hängen an diesem hintereinander, nebeneinander, und so folgen sie in langer Marschordnung ihrer Anführerin wie wir Menschen bei einer Passion dem Kreuzträger. Die wachsenden Raupen ruhen in ihren Spinnfäden-Klumpennestern tagsüber aus und fressen Kiefernnadeln, bis die Bäume kahl sind. Nachts wandern sie weiter und suchen sich eine neue ‚Speisekammer!'" erzählte der Freund. "In jenem Jahr - es soll 1933 gewesen sein - hatten sich die Passionskiefernspinner (Thaumatopoea) so sehr vermehrt, daß die Kurgäste auch aus Kahlberg flüchteten!"

Noch immer sind diese Nachtfalter gefährliche Feinde unserer Kiefernwälder. Sie kommen allerdings seltsamerweise fast nur nördlich der Elbe vor. Ihre Raupen suchen sich, wenn sie ausgewachsen sind, einen Platz in lockerer, sandiger Erde. Jede Raupe spinnt sich einen Kokon, verwebt auch Raupenhaar und Sand hinein und schläft in diesem Gemach manchmal mehrere Jahre lang. Wann sie die Metamorphose vollzieht, wann der Falter erwacht und in der warmen Frühlingssonne sein Gehäuse sprengt, hängt von der Luftfeuchtigkeit und Temperatur ab. Es kann mehrere Jahre dauern.

Kiefernprozessionsspinner haben einen ausgeprägten Geruchsinn, der Männchen und Weibchen bei Dunkelheit zueinander führt. Die Falter sind 25 bis 33 Millimeter groß. Die befruchtete Kiefernspinnerin baut ihr Gelege in Kegelform zwischen ein Nadelpaar hoch oben im Geäst des Baumes. Es enthält 80 bis 260 Eier und wird mit einer dicken Schleimschicht überzogen, die sich schnell verfestigt und auch im extrem kalten Winter die Eier schützt. Im April schlüpfen die Raupen, und die verlassenen Kegel sieht man auch noch im nächsten Jahr in den Kiefern hängen. Kiefernprozessionsspinner gehören wie Kiefernspanner und Nonnen zu den gefährlichen Feinden unserer Nadelbäume.

Zum Schutz der Kiefern setzt man gern auch Puppenräuber, eine fast drei Zentimeter lange Laufkäferart mit grünem, metallisch schimmerndem Panzer ein. Diese Käfer finden mit ausgeprägtem Geruchsinn vorwiegend die weiblichen Schmetterlinge, wenn sie am Tage sich ausruhend an die Kiefernstämme hängen. Puppenräuber klettern mit ihren langen Beinen auch gewandt und schnell zu den Nestern hoch, verbeißen sich in den Raupen und stürzen mit ihnen zu Boden. Diese aus Amerika stammenden Raubkäfer wissen auch die Puppen zu finden und zu knacken.

Wenn eine Kiefernprozessionsspinnerplage droht und die Raupen massenhaft gesichtet werden, setzt man im Labor gezüchtete Puppenräuber ein. Jeder dieser Käfer kann in wenigen Sommermonaten 400 Raupen vertilgen, ist also bei der Bekämpfung der Kiefernprozessionsspinner wirksamer als chemische Mittel.


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