29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.03.07 / Die nächtlichen Amokläufe der Gewaltschläfer / Mehr als ein Prozent der Bevölkerung neigt im Schlaf zu Brutalität

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Die nächtlichen Amokläufe der Gewaltschläfer
Mehr als ein Prozent der Bevölkerung neigt im Schlaf zu Brutalität
von Corinna Weinert

Wer schläft, sündigt nicht", versichert der Volksmund. Doch für einige von uns gilt die Annahme immanenter Friedfertigkeit nicht: Mehr als zwei Prozent der Bevölkerung legen britischen und kanadischen Forschern zufolge mitten in der nächtlichen Ruhephase aggressive Verhaltensweisen an den Tag. Die Palette der Gewaltakte reicht vom drohenden Schreien bis hin zu Schlägen und Tritten gegen die Bettgefährten. Gewaltschläfer prügeln im Schlaf auf ihre Bettgenossen ein, würgen sie, ziehen sie an den Haaren. Oder sie inszenieren groteske Schattenkämpfe, hauen gegen die Wand, demolieren Bilder und Spiegel, springen mitunter in den splitternden Kleiderschrank. Die nächtlichen Schreckensfahrten dauern meist nicht länger als eine Minute und können mehrfach auftreten. Nach dem Ende der Amokläufe im Bett erinnern sich die Gewaltschläfer so gut wie nie an die Hiebe und Knüffe, die sie ausgeteilt haben. Statt dessen berichten sie von angsterfüllten Träumen, in denen es für sie um Leben und Tod ging: Männer fühlen sich bei diesem nächtlichen Horror nach Angaben des Regensburger Schlafmediziners Göran Hajak häufig von Monstern oder wilden Tieren bedroht - Frauen berichten eher von unheimlichen Schatten.

Frauen haben unter den nächtlichen Attacken am meisten zu leiden, denn die Gewalt geht in 80 Prozent der Fälle von Männern aus. "Wenn er anfing, nachts zu fluchen, konnte ich darauf warten, daß er gleich die Fäuste schwingt", erzählt ein weibliches Opfer, das ein jahrzehntelanges Martyrium durch den Ehegatten, der notorischer Gewaltschläfer war, erlebte. In ihrer Not versuchen sich manche der unschuldig Verfolgten durch brachiale Maßnahmen zu schützen: Sie flechten die zum Toben neigenden Bettgefährten nachts mit Riemen ans Bettgerüst - nur um in vielen Fällen festzustellen, daß die in größter Not agierenden Wüteriche mitunter auch die dicksten

Knoten knacken. Um die Gewalttäter selbst vor Schlimmerem zu bewahren, verschwinden nach und nach Bilder, Spiegel und gefährliche Möbelstücke aus den Schlafzimmern. Das Erstaunliche: Es sind häufig gerade die im Wachzustand Friedfertigen und Sanftmütigen, die sich nachts in Wüteriche verwandeln. Ein Drittel der Betroffenen verletzt sich selbst, zwei Drittel den Bettpartner. So erfahren viele erst von ihren nächtlichen Gewaltakten.

Ungewöhnliches Verhalten, das aus dem Schlaf heraus auftritt, ist keine Seltenheit. Man bezeichnet es als Parasomnie. Besonders häufig treten solche mysteriösen Handlungsweisen bei Kindern und Jugendlichen in Form von Schlafwandeln auf. Die meisten solcher Schlaf-Verhaltensstörungen haben ihre Ursache in gestörten Umschaltmechanismen beim Übergang von der Wachheit zum Schlaf und von einem Schlafstadium zum nächsten.

Herkömmlicher Lehrmeinung zufolge ist das Verhalten der Gewaltschläfer eigentlich unmöglich, denn in der als REM-Phase bezeichneten Traumphase ist die Körpermotorik lahmgelegt; bewegen können wir uns dann kaum. Nur die lebensnotwendigen Körperfunktionen arbeiten. Gesunde Menschen haben es diesem natürlichen Schutzmechanismus zu verdanken, daß sie auch ihre wildesten Alpträume friedlich schlummernd durchleiden. Bei einem Gewaltschläfer aber bleiben die Muskeln aktiv, und es kommt zu heftigen Körperbewegungen. Bereits vor einigen Jahren erkannte der US-Schlafforscher Carlos Schenck, daß bei einem Gewaltschläfer die vom Hirnstamm gesteuerte Bewegungshemmung nicht funktioniert und die Gliedmaßen in der REM-Phase heftig zucken. Da die Parasomnie in der REM-Phase auftritt, nennt man sie REM-Parasomnie.

Mediziner glaubten früher fälschlicherweise, daß die Menschen wach seien oder unter epileptischen Anfällen litten. Erst neuerdings haben Schlafforscher von der Universität München erkannt, weshalb die von der Natur als Selbstschutz vorgesehene Bewegungssperre nicht in allen Fällen greift: Durch spezielle Untersuchungen am Gehirn der Gewaltschläfer fand die Neurologin Ilonka Eisensehr heraus, daß es sich um eine Vorform der Parkinson-Erkrankung handelt. Schlafforscher entdeckten mittlerweile in bestimmten Hirnarealen Veränderungen, wie sie bei Parkinson-Patienten vorkommen. So war der Botenstoff Dopamin im Gehirn der Gewaltschläfer und der Parkinson-Patienten deutlich niedriger als bei gesunden Menschen. Die REM-Parasomnie ist damit jedenfalls teilweise auf Störungen im Transport von Dopamin zurückzuführen.

Schlaf-Verhaltensstörungen lassen sich in den meisten Fällen mit einfachen Mitteln behandeln. Das Antiepileptikum Carbamazepin und das Beruhigungsmittel Clonazepam verhindern die nächtlichen Gewaltausbrüche und bringen in neun von zehn Fällen eine friedliche Nachtruhe zurück. Doch die Gewaltakteure haben häufig Hemmungen, Außenstehende in die düstere Nachtseite ihres Wesens einzuweihen. Sie schämen sich wegen der Exzesse und quälen sich mit Schuldgefühlen. Es dauert oftmals sehr lange, bis Gewaltschläfer ärztliche Hilfe suchen.

Foto: Von wegen, wer schläft, sündigt nicht: Manche werden im Schlaf zum Schläger.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren