20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.03.07 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

manchmal denke ich, wenn ich einen an unsere Ostpreußische Familie gerichteten Brief öffne und ihn zu lesen beginne: Das kann es nicht geben, das darf doch nicht wahr sein. Aber die Schicksale, die da geschildert werden, sind es - ich glaube wirklich, daß es keine vergleichbare Kolumne gibt, die soviel Unfaßbares enthält wie diese. Das wurde mir wieder einmal so richtig bewußt, als ich das Schreiben von Frau Rosemarie Kotthaus las. Ich will es möglichst wortgetreu wiedergeben, denn dann werden Sie genau so empfinden wie ich. Frau Kotthaus schreibt:

"Im Juni 2004 ist meine Mutter wegen einer beginnenden Demenz in ein Heim gekommen. Die Betreuer und Ärzte kamen nicht an sie heran, sie war stur und bockig und gab keine Auskunft. Sie hat nur immer wieder erwähnt, daß da was ist, aber sie wollte und konnte nicht darüber sprechen, das hat auch die Neurologin bestätigt. Als ich ihren Bericht las, fiel mir eine Todesanzeige ein, die ich irgendwann in unserer Zeitung gelesen hatte - deshalb, weil sie mein Geburtsdatum - 27. Mai 1940 - und meinen Geburtsort - Langendorf, Kreis Sensburg - enthielt. Ich bin zur Stationsleitung gegangen und habe von meiner Vermutung berichtet, daß ich eine Zwillingsschwester hatte, die jetzt tot ist. Am nächsten Tag habe ich meine Mutter daraufhin angesprochen, aber sie wollte nicht reden. Ich habe gefragt: Gibt es mich im Doppelpack? Keine Antwort. Dann habe ich gesagt: ,Wenn du mich nicht verstehst, frage ich anders. Gibt es mich zweimal?' Wieder lange keine Antwort. Bis es auf einmal aus ihr herausbrach: ,Dich gibt es nicht zweimal, dich gibt es ...' Ich bin ihr ins Wort gefallen und habe gerufen: ,Also gibt es uns dreimal?' Sie erzählte nun immer wieder davon, daß sie diese drei Kinder nach der Geburt in den Armen gehalten hätte."

So weit der Bericht von Frau Kotthaus, die im Alter von 65 Jahren erfahren mußte, daß sie noch zwei Schwestern - ja, hatte, jedenfalls ist die eine verstorben, aber vielleicht lebt ja noch die andere Schwester, die wohl ebenso wenig weiß, daß sie als Drilling zur Welt gekommen ist. Da bei der verstorbenen Schwester Geburtsort und -datum angegeben waren, dürfte auch die noch unbekannte Schwester diese Angaben besitzen. Die Mutter Edith Keßler geborene Pupanski war bei der Geburt der Drillinge erst 16 Jahre alt und ledig. Sie mußte wohl deshalb zwei der Kinder abgeben. Es war eine Hausgeburt. Die Hebamme war eine Frau Naß, sie war eine Freundin der Mutter von Edith Keßler, die übrigens auch vorehelich geboren wurde. Mutter Martha Pupanski heiratete dann Johann Bouwain. Vielleicht kannten alte Langendorfer die Familie Bouwain und können sich vielleicht auch daran erinnern, wer die beiden Schwestern von Rosemarie adoptiert hat. (Rosemarie Kotthaus, Am Lockvogel 4 in 58452 Witten, Telefon 0 23 02 / 6 32 89.)

Eine Kindheits-Odyssee hat Waltraud Ast erlebt und sie nie vergessen, im Gegenteil: Je älter sie wird, desto stärker werden die Erinnerungen. Nun möchte sie die einzelnen Stationen dieser Irrfahrt ausloten und hofft, durch unsere Ostpreußische Familie Weggefährten von damals zu finden, - wo und wie denn sonst? Frau Ilse Bannick hat sich auch schon bemüht und mir ihre Unterlagen übersandt. Ich will nun versuchen, aus den vielen Angaben die wesentlichsten herauszusuchen, um die Kindheitserlebnisse von Frau Ast verständlich wiederzugeben. Waltraud Ast, * 25. Oktober 1935, ist eine geborene Hesse, die Familie lebte in Karlshof, einem Vorwerk vom Rittergut Klein Gnie, Kreis Gerdauen. Das große Unglück brach herein, als im Januar 1945 die sechs Kinder der Familie Hesse im Alter von vier bis 13 Jahren vor den Russen fliehen mußten. Ohne Eltern, denn der Vater war an der Front, die Mutter im Gefängnis. Waltraud Ast schreibt: "Wir sind von fremden Leuten mit auf die Flucht genommen worden und bis Bartenstein gekommen. Am anderen Morgen waren die anderen Flüchtlinge weg. Als wir aus dem Gebäude kamen, wurde furchtbar geschossen, wir sind gelaufen, gelaufen, gelaufen, aber irgendwann haben die Russen uns eingeholt. Dann wurde gesagt, wir sollten alle nach Hause gehen. Wir haben Monate gebraucht, bis wir wieder in Karlshof waren, aber das war abgebrannt. So kamen wir in Neusorge, einem anderen Vorwerk von Klein Gnie unter. Es war immer eine Frau bei uns, aber keiner weiß genau, wer sie war." Es dürfte - nach Frau Bannicks Unterlagen - Frau Helene Schröder aus Karlshof gewesen sein, deren Nichte den Lebenslauf ihrer Tante verfolgt hat, aber da driften die Angaben erheblich auseinander. Sicher ist, daß in Neusorge die kleine Schwester Anneliese verhungerte, ebenso Frau Schröders Tochter Erika. Weihnachten 1945 waren die Kinder allein, sie wurden dann von anderen Mitbewohnern zu einer Sammelstelle - wahrscheinlich in Bartenstein - gebracht, wo sie bis zum Frühjahr blieben. Waltrauds ältere Schwester Ursula war eines Tages fort, sie war zum "Wolfskind" geworden. Die nächste Unterkunft war wahrscheinlich ein Forsthaus. Im Herbst 1946 kamen die vier Geschwister in ein größeres Gebäude, vermutlich ein Herrenhaus, in dem sie von einer deutsch sprechenden Russin versorgt wurden. Es gab zum Weihnachtsfest sogar einen Weihnachtsbaum! Nach einem halben Jahr wieder Wechsel, diesmal in eine größere Wohnanlage, die aus einem größeren Gebäude und mehreren kleineren Häusern bestand. Es gab auch eine Schule, die aber von den deutschen Kindern nicht besucht werden durfte. Ende Oktober 1947 wurden die Kinder auf einen russischen Laster gebracht. Auf die Frage, wohin es denn gehe, wurde gesagt: Sibirien. Dahin ging es zum Glück nicht. Auf einem Bahnhof wurden die Geschwister zusammen mit vielen anderen Kindern in einen Güterzug verladen. Nach einer Woche waren sie an der Ostsee. Erste Station nach der Ausweisung war dann das Umsiedlerlager Agneshof in Falkensee, Kreis Nauen, in dem die Geschwister Hesse am 14. November 1947 aufgenommen wurden. Soweit die Angaben, die - wie man sieht - doch sehr vage sind. Es wäre schon ein kleines Wunder, wenn Frau Ast Schicksalsgefährten von einst aus diesen Kinderheimen und Sammelstellen findet, die wohl in den Kreisen Gerdauen und Bartenstein lagen. Waltraud Ast würde sich um jedes Mosaiksteinchen freuen, das sie in ihr Lebensbild einfügen kann. (Waltraud Ast, Johannastraße 44 in 13581 Berlin, Telefon 0 30 / 3 32 26 55.)

Auch Rudi Frank sucht solch ein Puzzlestückchen für seine Erinnerungen, die ebenfalls in das Schicksalsjahr 1945 zurückführen. Er flüchtete mit seiner Mutter Eva Frank und seinem Bruder am späten Abend des 24. Januar mit einem Reichsbahnfährschiff von Pillau bis Danzig-Neufahrwasser, wo sie bei Tagesanbruch ankamen. Die nächste Nacht verbrachten die Flüchtlinge in einer großen Halle in Hafennähe, die folgende in einer Baracke. An Schlaf war nicht zu denken, denn es gab einen fürchterlichen Bombenangriff, die Baracke hob und senkte sich. Am Abend des 28. Januar fuhren sie - zu 65 Personen eingepfercht in einen Waggon, der an einen Lazarettzug gehängt wurde - in Richtung Westen, bis sie nach fünf Tagen in Pasewalk ankamen. Der Fluchtweg endete am 27. Februar in Schönberg / Holstein. Die Frage, die Herr Frank an unsere Leserinnen und Leser stellt, betrifft das Fährschiff. Trotz sorgfältiger Recherchen ist es ihm nicht gelungen, festzustellen, ob es die "Preußen" (BRT 2954) oder die "Deutschland" (BRT 2972) war - letztere nicht zu verwechseln mit dem Passagierschiff gleichen Namens. Herr Frank hat hier zwei unterschiedliche Auskünfte vorliegen. Es könnte sein, daß beide Fährschiffe am 24. Januar in Pillau waren. Aber welches lag am Beginn des Hafenbeckens, genannt "Graben", am Platz vor dem Seedienstbahnhof und verließ Pillau am späten Abend mit Ziel Danzig-Neufahrwasser? Hilfreich wäre eine Fotokopie aus dem Log- / Schiffsbuch von einem dieser Schiffe oder ein anderer stichhaltiger Nachweis. Aber vielleicht erinnern sich auch andere Flüchtlinge oder Besatzungsmitglieder an diese Fahrt. So wie Herr Frank: "Als wir in Pillau an Bord gingen und unsern Platz mittschiffs einnahmen, sah meine Tante Luise Rücker einen Soldaten, der einen Berg Postsäcke für die Kurlandfront bewachte. Er sagte verzweifelt, daß er schon lange hin und her im Zickzack auf der See gefahren, aber nie zu seinem Ziel gelangt sei. Und nun ginge es wieder nach Westen. - Herr Frank würde sich über jede Zuschrift freuen. (Rudi Frank, Theodor-Heuss-Straße 10 in 97877 Wertheim-Reinhardshof, Telefon 0 93 42 / 91 25 66.)

Das Thema "Flucht über See" greift auch Frau Susi Dahlke-von Terzi auf, aber hier muß der Kreis der möglichen Informanten wohl enger gezogen werden. Denn die Mutter der Fragenden kam mit ihren drei jüngsten Söhnen - Manfred sieben, Jürgen zwölf und Wolfgang 14 Jahre alt - mit einem U-Boot von Pillau heraus. Sie wurden nach Gotenhafen gebracht, wo sie auf das MS "Lappland" kamen, mit dem sie sicher Swinemünde erreichten. Ihr angeschlossen hatte sich eine etwa 20jährige, die auf der Flucht sozusagen den Platz von Tochter Edeltraud einnahm. Diese wollte ihre Brüder Eberhard und Helmut, die als ältere Söhne der kinderreichen Mutter nicht mit auf das U-Boot gedurft hätten, bei der Flucht über die Frische Nehrung nicht alleine lassen. Auch die junge Dame, Ellen Nierling, hätte alleine zurückbleiben müssen. Sie trug einen Pelzmantel, in dessen Futter sie Würfelzucker versteckt hatte. Als der Jüngste, Manfred, auf der "Lappland" am 16. Februar seinen achten Geburtstag erlebte, schenkte sie ihm zwei Stückchen, was er bis heute nicht vergessen hat! Was ist aus Ellen Nierling geworden? Wer war auch auf den angegebenen Schiffen, wobei die Zahl der Flüchtlinge auf dem U-Boot, nach dessen Nummer auch gefragt wird - ja sehr begrenzt war. (Susi Dahlke-von Terzi, Siemensstraße 26 in 71636 Ludwigsburg.)

Und nach langer Zeit wieder einmal die Frage nach einem Gedicht, das ich leider nicht im Archiv habe, auch nicht kenne. Frau Karla Weyland mußte es während der Kriegszeit oft sprechen, wenn sie mit ihrer Schulklasse Verwundete in einem Lazarett bei Wirsitz / Westpreußen besuchte. Es ist "Mütterleins Feldpostbrief" betitelt und hat die kranken und verwundeten Soldaten immer sehr berührt. Leider kennt sie nur noch eine Textzeile und deshalb hofft sie, daß jemand aus unserem Familienkreis das Gedicht in seiner Gänze kennt. (Karla Weyland, Robert-Koch-Straße 24 in 35282 Rauschenberg.)

Eure Ruth Geede


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren