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10.03.07 / Augenblicke / Das Augenlicht läßt im Alter leider nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

Augenblicke
Das Augenlicht läßt im Alter leider nach
von Renate Dopatka

Das wäre geschafft!" Mit schiefgelegtem Kopf mustert Johannes das Werk seiner Hände. Die Erde ist fein säuberlich geharkt, die große Pflanzschale steht exakt in Grab-Mitte. - Oder etwa doch nicht? Johannes kneift ein Auge zu, sieht dadurch aber auch nicht besser als zuvor. Na egal, es wird schon alles seine Ordnung haben.

Leise vor sich hin summend, zupft er ein letztes Stengelchen Unkraut aus dem Beet. Trotz seiner 70 Lenze ist es für ihn Ehrensache, das Grab seiner Frau selbst zu pflegen. Schließlich fühlt er sich so fit und elastisch wie ein junger Hüpfer. Auf seine Gesundheit und auf sein gutes Aussehen bildet Johannes sich schon was ein. Wenn er an die Galerie bebrillter Glatzköpfe in seinem Bekanntenkreis denkt, kann er ein selbstgefälliges Lächeln nur schwer unterdrücken. Daß er daheim kaum noch das Datum auf dem Abreißkalender erkennen kann, braucht ja kein Mensch zu wissen - "So, Mariechen, dann bis zum nächsten Mal!"

Johannes blinzelt nochmals in Richtung Grabstein, dann greift er zur Gießkanne und marschiert von dannen. An der Haltestelle braucht er keine fünf Minuten zu warten, als auch schon sein Bus um die Ecke biegt. Johannes ergattert einen Sitzplatz vis-á-vis einer gutaussehenden Dame mittleren Alters. Unwillkürlich streicht er sein volles Silberhaar in Form und ist angenehm überrascht, daß nicht nur sein Lächeln, sondern auch sein freundlich interessierter Blick erwidert wird. Ja, es scheint, als könne die Dame gar nicht mehr die Augen von ihm wenden.

Johannes wird ganz schwindlig vor Stolz und Verwirrung. Die Tatsache, daß dieses bildschöne weibliche Wesen, das doch mindestens 20 Jahre jünger ist als er selbst, ihm dermaßen intensiv in die Augen schaut, das versetzt Johannes in eine gast euphorische Stimmung. Rosarote Wolken umhüllen ihn, lassen ihn seine Umgebung ganz vergessen.

Jäh wird er aus seinen Träumen gerissen, als der Bus - sein Tempo verlangsamend - die nächste Haltestelle ansteuert und seine Sitznachbarin nach ihrer Handtasche greift. Schon im Aufstehen begriffen, schenkt sie ihm ein letztes Lächeln: "Verzeihen Sie die Indiskretion - aber waren Sie schon beim Augenarzt?"

"Beim Augenarzt?" wiederholt Johannes ganz verdattert. "Nun ja, mit dem grauen Star ist nicht zu spaßen. Und Ihre Pupillen sind schon ziemlich trüb. Ich weiß Bescheid, mein Vater hatte die gleichen Symptome." Ihr Lächeln wird noch eine Spur fürsorglicher: "In Ihrem Alter würde ich das Ganze nicht so tragisch nehmen. Wissen Sie, was der Arzt damals zu meinem Vater gesagt hat?"

"Wie sollte ich?" murmelt Johannes mit letzter Kraft. Die schöne Dame tätschelt aufmunternd seinen Arm: "Er sagte: ,Trösten Sie sich, das ist der ganz normale Greisenstar ...!"'


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