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10.03.07 / "Laß uns sein Fell versaufen" / Jede Kultur hat ihre eigene Art mit dem Tod umzugehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-07 vom 10. März 2007

"Laß uns sein Fell versaufen"
Jede Kultur hat ihre eigene Art mit dem Tod umzugehen
von Eva Pultke-Sradnick

Die Tür zur ausgeräumten guten Stube öffnete sich ganz leise. Die beiden Kerzen, rechts und links zu Häupten des Fleischermeisters Waldemar Pilott, flackerten leise. Mariechen, die fünfjährige Enkelin, wollte sehen, ob der Opa auch wirklich tot war. Sie konnte es nicht glauben, weil sie ihm doch erst gestern gesagt hatte, daß er der beste Opa auf der ganzen Welt sei. Er hatte so nach seiner Art geschmunzelt und ihr dann über den Kopf gestrichen. "Bist ja auch mein kleiner Racker", hatte er dabei gesagt.

Mariechen wußte schon, was richtig tot war. Da blieb man einfach so sitzen oder liegen und wurde dann ganz kalt und steif. Sie hatte es bei dem kleinen Guselchen, dem Gänschen, erlebt, und auch bei dem kleinen Spatz, der aus dem Nest gefallen oder geschubst worden war. Bei Wotan, dem alten Hofhund, wird es ähnlich gewesen sein. Papa hatte dann gesagt, daß der im Hundehimmel sei. Ob die beiden sich treffen würden? Mariechen lächelte: I wo doch, Opa war doch im Menschenhimmel. So recht konnte sie es sich da oben nicht vorstellen, aber über den Wolken mußte ja ganz viel Platz sein.

Morgen sollte die Beerdigung sein; heute war Wachabend. Vor vielen Jahren hatte sich die Oma vom Johann Wiebereit mitten im Gesang aufgebäumt und entsetzt gefragt: "Wat moak ju da mött mi?" Sie war nur scheintot gewesen! Jetzt kamen schon die ersten Nachbarn, allen voran Irmgard Semmelwitz und die Bäck-erfamilie Junoleit. Es wurde voll in der guten Stube, alle sahen traurig aus und so, als ob sie sich an ihrem Gesangbuch festhielten.

Jeder wollte dem Toten noch einmal die Ehre geben. Vielleicht spürte er es noch, denn es war ja ein weiter Weg bis zum Herrgott. Die Seele, ja, die hatte man gleich durch das geöffnete Fenster gelassen. Alle Spiegel im Haus waren mit schwarzen Tüchern verhängt worden; bei aller Trauer mußte so vieles bedacht werden. Man saß zu beiden Seiten des Sarges, und die flackernden Kerzen, Licht und Schatten, ließen es manchmal so erscheinen, als ob der Tote lächelte.

Der Schmied Gustav Rabe hielt so was wie eine kleine Rede. Oma hielt sie für zu lang und meinte, man sollte jetzt mit dem Gesang beginnen. "Jesu geh voran" schlug sie vor und danach "So nimm denn meine Hände".

Waldemar lag im geschnitzten Eichensarg und trug das von Amanda selbst genähte, gefältete Sterbehemd. Den Ehering wollte sie ihm nicht abnehmen. Treue bis über den Tod. Alle wußten sie etwas Gutes über ihn zu sagen. Da war seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, sein guter Rat und sein stets gut gewogenes Stück Fleisch, dem er meistens noch ein bis zwei Knochen beilegte.

Nachdem man den Ritualen Genüge getan hatte, war man, ohne es zu merken, bei den Spukgeschichten gelandet. Das Halbdunkel im Kerzenschein erzeugte eine gewisse Spannung. Immer drehte es sich beim Erzählen um Tod und Sterben. So waren bei der Beerdigung des Bauern Willuweit seine beiden Pferde plötzlich stehengeblieben. Sie schnaubten mit geblähten Nüstern. So mußte der Sarg schon vor dem Friedhofseingang heruntergehoben und getragen werden. Oder bei Perbandts Grete. Bei ihr war immer ein Skelett am Sarg mitgegangen. Gesehen hatte man es nicht, aber es hatte ganz fürchterlich mit seinen Knochen geklappert. Und nicht zu vergessen bei der Simoneitsche! Da soll doch der Tod vor dem Gespann gegangen sein. Der alte Schönerche wollte ihn gesehen haben und der hatte ja sowieso das zweite Gesicht. - Nach so einem Wachabend konnten die Frauen nicht schnell genug nach Hause kommen, fast beklemmten sie sich vor Furcht und Grauen noch den Rock in der Haustür.

Pfarrer Weißbaum hielt eine schöne Rede über Waldemars Leben, das von Anstand, Treue und Christentum geprägt war. Immer war er großzügig in der Kirchenkollekte gewesen, wollte aber nie genannt werden.

Lange weiße selbstgewebte Leichenhandtücher waren schon vorher unter den Sarg gelegt worden. Die Träger erfaßten sie jetzt und ließen den Sarg langsam hinab. "O Gottchen, jetzt jeht er auf ewig", sagte die alte Lina viel zu laut. Alle Frauen weinten ein bißchen, standen, sich leise unterhaltend, noch ein Weilchen herum, um dann zum gebetenen Leichenschmaus zu gehen. Alle, die am Grab waren, waren auch eingeladen.

Zuerst gab es mal einen Schnaps, das war auch nötig nach all der Trauer. Zwei Frauen aus dem Nachbardorf hatten auf langen Tafeln gedeckt und reichlich Fleisch, Kartoffeln, Schmor- und Sauerkohl und auch noch feines Gemüse gekocht. So hatte es sich der alte Fleischermeister gewünscht.

Man sollte später noch lange davon reden. Zwischendurch trank man immer wieder einen Bärenfang oder Korn und dabei kamen die Gemüter in Wallung. Da flog schon mal ein dröhnendes Lachen durch den Raum und fast vergaß man, warum man hier war.

Da wurden aus dem Stegreif Abschiedsverse auf den Verblichenen gemacht: "Waldemar Pilott, jetzt bist du tot, auf den Wohl, fahr wohl, fahr wohl. Prost." Oder: "So leb denn wohl, du alter Freund, du bist hinaufgefahren, wir kommen nach, sind dann vereint wie einst in all den Jahren."

Amanda, die Witwe, machte ihrem Sohn ein Zeichen, daß er etwas zurückhaltender mit der Schnapsflasche sein sollte. Das Fell versaufen ja, das mußte sein, aber doch alles mit Anstand und Würde. Sie lächelte dabei wehmütig, wußte sie doch, daß es ihrem Mann gefallen hätte.


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