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17.03.07 / Einfach nur peinlich / SPD ist selbst in der einstigen Parteihochburg Hamburg nicht mehr zukunftsfähig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

Einfach nur peinlich
SPD ist selbst in der einstigen Parteihochburg Hamburg nicht mehr zukunftsfähig
von Sverre Gutschmidt

Nach draußen die Klappe halten und intern die Lösung machen - diesen Rat gibt Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) den Hamburger Sozialdemokraten mit auf den Weg. Inzwischen schliddert die Partei in ihrer einstigen Hochburg in eine Dauerkrise. Die SPD verliert parallel dazu in Umfragen deutschlandweit an Zustimmung. Eine Findungskommission für den hanseatischen Nachwuchs der dort einst staatstragenden Arbeiter- und Kaufleutepartei kreiste. Selbst die dritte und vierte Politiker-Garnitur möglicher Nachfolger der in der Kandidatenwahl kurios gescheiterten Hamburger Landesparteispitze fiel dabei aus. Mit Entsetzen ahnen die Genossen, daß geeignetes Personal fehlt, daß jahrzehntelang die Falschen gefördert wurden. Mit dem Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann hat sich jetzt doch noch ein altgedienter Funktionär erbarmt. Mehrheitstauglich ist er nicht.

Zwei lange Gesichter zeigten am Ende der Spitzenkandidatenwahl vom 25. Februar, wie es um die Partei bestellt ist. Knapp 1000 Briefwählerstimmen waren an jenem Tag in einer beispiellosen Panne einfach verschwunden. Die SPD-Mitglieder des Stadtstaates sind um ihr Votum, wer im nächsten Bürgermeisterwahlkampf die Partei als Herausforderer anführen soll, betrogen worden. Die Parteispitze brachte nicht einmal die Wahlorganisation über die Bühne. Die Stimmenauszählung wurde abgebrochen. Bald darauf sah der Landesvorstand keinen Ausweg: geschlossener Rücktritt.

Eines der langen Gesichter in jenem Wahldebakel gehörte dem inzwischen zurückgetretenen Landesvorsitzenden Mathias Petersen. Das andere Dorothee Stapelfeld (50). "Kriminell manipuliert" sei die Wahl, so Stapelfeld - sie kann es sich nach eigenem Bekunden immer noch nicht vorstellen. Die promovierte Kunsthistorikerin ist in dieser Realsatire um verschwundene Wahlurnen und entschwundene Handlungskompetenz noch mehr als ihr Konkurrent Petersen zur Symbolfigur einer gescheiterten Genossengeneration geworden.

Auch nach dem Wahldebakel wollte zuerst keiner der beiden nachgeben. Seit Januar schwelt der Streit. Zu der Zeit erklärte die ehemalige Hamburger Bürgerschaftspräsidentin, daß sie in einer Mitgliederabstimmung um den Bürgermeisterposten gegen Petersen kandidieren wolle. Nun sind beider Träume zu Ende, auch wenn Stapelfeld sich noch nach ihrem Rücktritt aus dem Landesvorstand auf ihrer Internetseite als "künftige Erste Bürgermeisterin" feiern läßt, Petersen sich zum Abstimmungssieger erklärt.

Der Besuch vom Generalsekretär der Bundes-SPD, Hubertus Heil, zeigt den Ernst der Lage. Selbst der kann nach der verpatzten Wahl keine Ordnung mehr in den roten Stall bringen. Heillose Zerstrittenheit: Die Mehrzahl der aktiven Landespolitiker scheint kaum praktische Politik- geschweige denn Lebenserfahrung zu haben. Petersen und Stapelfeld blockieren in den Gremien weiter einen Neuanfang. Die Berliner Zentrale ringt damit, ihr Entsetzen zu den Vorgängen zu verbergen: "Man ist sprachlos", so Müntefering.

Zu lange hat man im Kurt-Schumacher-Haus nahe der Elbe auf die reinen Funktionärsbiographien gebaut. Stapelfeld kam über den äußersten linken Flügel, den Allgemeinen Studierendenausschuß (Asta), dessen Vorsitzende sie war, 1978 zur SPD. 1980 bis 1984 war sie Mitglied im Landesvorstand der Jusos. Danach promovierte die Kunsthistorikerin, Literaturwissenschaftlerin und Sozialhistorikerin.

Eine lupenreine Funktionärskarriere folgte. In den 80ern arbeitete sie für die Behörde für Wissenschaft und Forschung, ab 1997 als parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Gut versorgt wird sie seit zwei Jahren zudem bei der Volksfürsorge mit einer Halbtagsstelle. Der Posten "Kooperation zwischen Vertrieb und Marketing" scheint ihr wie auf den Leib geschneidert. Als Netzwerkerin der modernen Sozialdemokratie hegt sie beste Kontakte unter Kunstliebhabern. Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volksfürsorge, der die Branchenunkundige in den Versicherungskonzern lotste, ist Kunstfreund.

Nicht nur die Netzwerker bringen die Partei in Bedrängnis. Auch der jetzt zum Frontmann gekürte Ex-Kulturstaatsminister und Medienmacher ("Zeit") Michael Naumann bereitet Kopfzerbrechen. Hartz IV kennt er nach eigenem Bekunden nur aus den Medien. Zu gern predigt er Verzicht und sieht dabei nach Golfplatz aus. Bei der Basis wie beim Wähler versprüht er so den Charme ausgeprägten Snobismus. Aus der SPD-Wahlniederlage 2004 und erst recht der von 2000, als die CDU die Stadt nach 47 Jahren SPD-Herrschaft gewann, die unbekannte Schill-Partei zudem bürgerliche Kräfte von mehr als 20 Prozent gegen Rot-Grün mobilisierte, hat er nichts gelernt. Eine erneute Wahlpleite ist daher wahrscheinlich. Weil er den Solidarpakt Ost angriff, mußte die Bundespartei ihren frischgekürten Hamburger Rettungsanker gleich aufs Trockene setzen, sprich zurechtweisen. Seine Beleidigungen politischer Gegner - einen Staatsanwalt bezeichnete er gar als "durchgeknallt" - kommt bei den Hanseaten ohnehin nicht an. Für den Parteitag am 24. März sind also genug Stolperfallen ausgelegt.

Die SPD Hamburg, einst Sprungbrett und Reservoir der Partei, ist nun Stiefkind, das nicht mal lokal Perspektiven bietet. Olaf Scholz, bis 2004 Landesvorsitzender, will nicht aus Berlin an die Elbe zurück. Thomas Mirow bleibt ebenfalls in der Hauptstadt, Johannes Kars vom Seeheimer Kreis schlägt lieber andere vor. Die SPD-Altbürgermeister wie Hans-Ulrich Klose, Henning Voscherau und Klaus von Dohnanyi wenden sich mit Grausen ab. Die Hamburger SPD ist inzwischen alles andere als hamburgisch.

Foto: Hamburgs "neues" SPD-Gesicht: Der 65jährige Michael Naumann soll nun gegen Ole von Beust (CDU) antreten, nachdem die jüngere Dorothee Stapelfeldt parteiintern gescheitert ist.

 

Zeitzeugen

Mathias Petersen - Der wegen des desaströsen innerparteilichen Urnengangs zurückgetretene Landesvorsitzende (51) erhielt von der Parteibasis lange Unterstützung. Mit den Funktionären kam er nie klar, wirkte angesichts der Wahl-Krise dann ratlos. Zudem wird ihm die entgültige Absage Henning Voscheraus sowie Populismus zur Last gelegt.

Klaus von Dohnanyi - Der SPD-Altbürgermeister (78, 1981-1988) hält nichts von Festlegungen auf Rot-Grün. Über den amtierenden CDU-Bürgermeister sagt er gar: "Wir werden derzeit gut regiert vom Senat Ole von Beust, das muß fairerweise jeder sagen." In Dohnanyis Amtszeit fielen die heiße Phase der Antikernkraft-Demonstrantionen ("Hamburger Kessel") sowie die Konflikte um die besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße. Als "Elder Statesman" half er unlängst bei der Föderalismusreform des Bundes.

Henning Voscherau - Der Notar und SPD-Politiker (65) war von 1988 bis 1997 Erster Bürgermeister. Als solcher strahlte er auch im Bundesrat hanseatische Liberalität und kaufmännische Gediegenheit aus. Interne Gegner kritisierten das als Arroganz. Sein Rücktritt 1997 geschah aus Ablehnung eines rot-grünen Koalitionsbündnisses. Im Januar hatte Voscheraus Umfeld seine Rückkehr als SPD-Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt vorgeschlagen - Petersen blockte ab.

Paul Nevermann (1902-1979) - Der Rechtsanwalt und KZ-Insasse hatte als politischer Weggefährte und Konkurrent Max Brauers schon vor dem Krieg wichtige Positionen inne. 1961 wurde er zum Ersten Bürgermeister (bis 1965) gewählt. In seine Regierungszeit fällt die Sturmflut von 1962.

Max Brauer (1887-1973) - 1924 SPD-Oberbürgermeister von Altona, kehrt er 1946 aus dem Exil zurück, wird im selben Jahr Erster Bürgermeister von Hamburg (inzwischen mit Altona). Er gilt als starke, zupackende Führungspersönlichkeit, bewältigt als dreimaliger Erster Bürgermeister (1946-50, 50-53, 57-60) den Wiederaufbau, gerät jedoch in den 60er Jahren in der eigenen Partei aus der Mode, muß herbe interne Abstimmungsniederlagen einstecken.


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