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17.03.07 / Vom Staatschef zum Staatsfeind / Der türkische Ex-Staatspräsident Kenan Evren fordert ein föderales System wie in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

Vom Staatschef zum Staatsfeind
Der türkische Ex-Staatspräsident Kenan Evren fordert ein föderales System wie in Deutschland
von Mariano Albrecht

Die sich in regelmäßigen Abständen selbst innenpolitisch durchschüttelnde Türkei wird dieser Tage erneut von einem Skandal heimgesucht, der wieder vom gespaltenen Selbstverständnis des Vielvölkerstaates zeugt. Ausgerechnet ein Ex-General und Anführer des Militärputsches von 1980 sieht sich nun durch das eigene Nationalistenlager angegriffen.

Kenan Evren hat mit seinen Äußerungen in der türkischen Tageszeitung "Sabah" zur Einführung eines föderalen Systems in der Türkei eine Lawine von Anfeindung losgetreten.

Der 89jährige General und ehemalige Staatspräsident (1982-1989) hatte der Zeitung erklärt, daß die damalige Militärregierung die Einrichtung von acht Regionalverwaltungen mit parlamentarischen Befugnissen verordnet hatte. Die nachfolgende Zivilregierung unter Turgut Özal kippte die Verordnung. Wie ein ehemaliger Minister erklärte, glaubte man damals an einen "Fallstrick" der Militärs um mit dem Vorwurf, die Nation spalten zu wollen, erneut die Macht an sich zu reißen. Evren, der als knallharter Nationalist gilt, konkretisierte seinen Vorschlag aus den 80er Jahren nun auch im türkischen Fernsehen und forderte die Einführung von Bundesländern ähnlich wie in Deutschland und versetzte das gesamte konservative Lager in Alarmstimmung. Autonomieähnliche Zustände in dem multiethnischen und von Ankara zentralistisch regierten Land sind für Vertreter der Atatürkdoktrin von der unspaltbaren Nation unvorstellbar. Ähnlich wie in der ehemaligen Sowjetunion befürchtet man die Emanzipation einzelner der 47 religiösen und ethnischen Gruppen, die in der Türkei leben. Ein Dauerproblem stellt dabei die zirka 30 Prozent ausmachende kurdische Bevölkerung dar. Die Türkei betreibt seit ihre Gründung im Jahre 1923 gegenüber Minderheiten eine Assimilierungspolitik, die jeden türkischen Staatsbürger kulturell und ethnisch als Türken ansieht. Auf besonders heftigen Widerstand stieß dies in der Geschichte des Landes bei den Kurden, deren Guerillakrieg gegen den türkischen Staat in den 90er Jahren seinen Höhepunkt erreichte.

Der konservative Kemalist Evren ist mit seinen föderalen Visionen so weit über das Ziel hinausgeschossen, daß sich nun Staatsanwälte, die sich für gewöhnlich mit ihren Ermittlungen auf Intellektuelle und Journalisten stürzen, mit ihm beschäftigen.

Kenan Evren drohen Ermittlungsverfahren wegen Aufrufes zur Spaltung der Nation, ja sogar wegen Hochverrat wird ermittelt. Während Evren glaubt, daß durch die Einführung von Bundesländern das Land "inneren Frieden" finden könne, sehen Nationalisten das Land ins Chaos rasen.

In Militärkreisen galt Evren schon immer als Hitzkopf, der bereits in seiner Amtszeit als General und Staatspräsident durch unüberlegte Äußerungen auffiel. So locker sehen es die kemalistischen Hardliner allerdings nicht. Evrens Vision mutet aus ihrer Sicht an, als würde sich der Höllenschlund auftun. Besonders im Südosten des Landes könnte Evrens Tabubruch Begehrlichkeiten wecken. Die Regionen zur irakischen Nordgrenze bis nach Zentralanatolien könnten durch den mehrheitlichen Einfluß kurdischstämmiger Bevölkerung und politischer Bewegungen abtrünnig werden. Auch andere ethnische Minderheiten könnten ihre politische Einflußnahme und Ansprüche geltend machen. Das kommt der Türkei zu einem Zeitpunkt, in dem die USA mit der Kurdenführung im Nordirak und der irakischen Regierung über mehr Autonomie für die irakischen Kurden spreche, ungelegen.

Seit der Gründung der Republik Türkei sieht sich das Land Angriffen von inneren und äußeren Feinden ausgesetzt.

Kenan Evren rudert derweil zurück. Seine Idee wäre durch einen Besuch in Deutschland angeregt worden. Dort hätte bei seiner Reise nach Bayern, die bayerische Fahne neben der deutschen geweht.

Die Regierung in Ankara hält sich mit Reaktionen diskret zurück. Zu einem Zeitpunkt erstarkenden Nationalismus kann es der islamischen AK-Partei von Ministerpräsident Erdogan nur recht sein, wenn sich der Gegner selbst zerfleischt. Erdogan kann nun zusehen, wie das rechte Lager selbst Opfer eigener kemalistischer Gesinnungsgängelei wird.

 

Kemalismus

Kemalismus ist die nach dem Gründer der Republik Türkei, Mustafa Kemal, benannte Ideologie. Die Hauptmerkmale des Kemalismus sind Laizismus (Trennung von Politik und Religion) und Nationalismus. Weitere Eckpfeiler sind die Wahrung der republikanischen Staatsform, die Gleichstellung der Frau und der Einfluß des Staates auf die Wirtschaft. Der Kemalismus bestimmt das gesamte politische, kulturelle und religiöse Leben in der Türkei. Als Wächter des Kemalismus verstehen sich die türkischen Streitkräfte mit dem Ziel, die Einhaltung der Verfassung und der kemalistischen Prinzipen zu garantieren. Der Beiname Atatürk (Vater der Türken) wurde dem Begründer und ersten Präsidenten der Republik Türkei 1934 vom türkischen Parlament verliehen.

Foto: Nationalist und trotzdem für mehr Rechte für die Kurden: Kenan Evren (Mitte) mit Erdogan (r.)


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