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17.03.07 / Vom ältesten Gewerbe / Die Tradition der Weberei ist Jahrtausende alt und hat viele Gesichter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

Vom ältesten Gewerbe
Die Tradition der Weberei ist Jahrtausende alt und hat viele Gesichter
von Silke Osman

Das älteste Gewerbe der Welt - nein, nicht das was der geneigte Leser jetzt vermutet - ist das Handwerk der Töpfer und Weber. Lange bevor man ein Alphabet entwickelte, konnte man spinnen und weben. Schon in den Grabkammern der alten Ägypter fand man Gewebereste von Gewändern. Die Assyrer, die Babylonier und später die Phönizier verdankten ihren Reichtum dem Handel mit Stoffen. Manche Stoffe waren so wertvoll, daß die sagenhafte und reiche Königin von Saba damit ihre Freunde erfreute.

Im Lexikon findet man unter "Weben" folgende Erläuterung: "Die Weberei ist eine der ältesten Techniken der Herstellung von textilen Flächengebilden, bei dem mindestens zwei Fadensysteme, die Kette und der Schuß rechtwinklig verkreuzt werden, wobei die vorgespannten Kettfäden den Träger bilden, in den sukzessiv die Schußfäden von einer Webkante zur anderen durch die gesamte Webbreite eingezogen werden. Das Erzeugnis wird in der Fachsprache als Gewebe bezeichnet, ein Begriff, der sowohl Tuche (umgangssprachlich: Stoff) als auch andere Produkte umfaßt wie beispielsweise gewebte Teppiche oder Tapeten."

Seit der Jungsteinzeit kannte man Webstühle, die allerdings nicht wie heute flach waren, sondern bei denen die Kettfäden mit einem Gewicht an einem horizontalen Balken befestigt wurden. Als Material benutzte man Flachs oder Wolle, aber auch der Rindenbast von Eiche, Linde und Ulme ließ sich verwenden. Die Gewichtswebstühle wurden bis ins Mittelalter hinein benutzt.

Nicht nur die Germanen, auch die alten Griechen kannten schon die Kunst des Webens. Auf Vasenbildern der schwarzfigurigen Zeit finden sich Abbildungen des Gewichtswebstuhls. Wolle wie auch Leinen wurde verwebt, manches Mal sogar kostbare chinesische Seide.

Es waren die Frauen, die für die Textilherstellung zuständig waren. Sie pflanzten und ernteten Hanf und Leinen, sie bearbeiteten das Material, spannen den Faden und färbten Flachs oder Wolle. Die Grundfarben wurden vor allem aus einheimischen oder exotischen Pflanzen gewonnen, seltener von Tieren. Die Herkunft der Färbstoffe brachte beträchtliche Preisunterschiede mit sich, was bei den Färbern seit dem Mittelalter zur Unterscheidung zwischen "Schönfärber" und "Schlechtfärber" führte.

Apropos, Schönfärberei. Viele Ausdrücke aus der Webkunst wurden in die Alltagssprache übernommen. Man denke nur an den "Lebensfaden", der durchschnitten wird, an den seidenen Faden, an dem alles hängt, an "fadenscheinige Ausreden", an ein Komplott, das "eingefädelt" wird, an das "Spinnen" im übertragenen Sinn.

Während anfangs nur die Frauen für den Familienbedarf webten, entwickelte sich in Europa die Weberei bald als Industriezweig. So verzeichnete man im Augsburg des 15. Jahrhunderts über 700 Mitglieder in der Weberzunft.

Im hohen Mittelalter schließlich kam ein findiger Geist auf die Idee, einen Webstuhl mit horizontaler Kette zu bauen. Doch erst im 18. Jahrhundert wurde das Gerät wesentlich weiterentwikkelt. So erbaute der Geistliche Edmond Cartwright 1784 den ersten mechanischen Webstuhl. 1805 revolutionierte der Seidenweber Jacquard aus Lyon die Webtechnik, indem er mit Hilfe von Lochkarten die Kettfäden einzeln hob oder senkte, so konnte man auf großen Flächen gemusterte Stoffe weben. 1879 stellte Werner von Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung schließlich den ersten elektrisch angetriebenen Webstuhl vor. Zuvor hatte man sich der Unterstützung von Dampfmaschinen oder Wasserrädern bedienen müssen.

Neben dem gewerblichen Gebrauch des Webstuhls wurde auch schon früh der künstlerische Nutzen erkannt. Autonome Kunstwerke entstanden, die in ihrer Vielfalt kaum zu nennen sind. Seit dem Mittelalter bildete sich diese Textilkunst immer weiter aus. Die Bürger der im späten Mittelalter durch Handel und Gewerbe erstarkten Städte schmückten ihre Häuser mit künstlerisch gestalteten Wand- und Bettbehängen, Kissen oder Tischtüchern. So machte die Bildweberei der Tafelmalerei bald Konkurrenz. Gleichzeitig wurden in Kirchen und Klöstern Chorbehänge und Altartücher gestiftet, die mit Heiligenfiguren und szenischen Darstellungen aus der Bibel oft auf besondere Feste des Kirchenjahres Bezug nahmen und nur an diesen aufgehängt wurden.

Zeitgenössische Tapisserien sind jetzt in einer Ausstellung im Schwedenspeicher-Museum in Stade zu sehen. Neun Künstlerinnen und Künstler aus Norddeutschland zeigen ihre Werke zum Thema Textilkunst. So unterschiedlich wie die Künstler selbst so vielfältig sind auch die Themen, die sie in ihren Arbeiten aufgegriffen haben. Peter Horn zum Beispiel lädt den Betrachter seiner meist großformatigen gewebten Bilder zu einer Reise ins Weltall ein, während Hanneke van Spaendonck in harmonischen warmen Farben von der Erde und ihren Schönheiten wie etwa dem Erwachen des Frühlings "erzählt". Hier das kalte Grau des unendlichen Alls, dort die Farbenpracht der Mutter Erde.

Ursula Jaeger schließlich hat überdimensional große Spielkarten mit "Kette und Schuß" in leuchtenden Farben gestaltet. Und Anka Kröhnke ist "ihrem" Material treu geblieben. Die heute in Bad Kühlungsborn lebende Tochter der Malerin Louise Rösler und Enkelin der Maler Waldemar Rösler und Oda Rösler-Hardt hat Getränkedosen zerschnitten und die Streifen zu farbenfrohen Bildern verflochten. Ihre Arbeiten tragen Titel wie "Sparkling Water" (Sprudelwasser) oder "Rainy Weather" (Regnerisch) und glänzen entsprechend silbrig oder grau. Mit "Las Vegas on my Mind" erinnert sich die Künstlerin an einen Amerika-Aufenthalt in den 90er Jahren. Bunt und turbulent stürzen die Eindrücke auf den Betrachter ein und scheinen ihn mitziehen zu wollen in das lebendige Treiben des amerikanischen Spielerparadieses. Ob aus Blech oder aus Wolle, ob aus handgeschöpftem Papier mit textilen Einschlüssen - die zeitgenössische Textilkunst ist immer für eine Überraschung gut.

Die Ausstellung "art textil 2007" im Schwedenspeicher-Museum, Wasser West 39, 21682 Stade, ist dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet, bis 15. April.

Fotos: Anka Kröhnke: Las Vegas on my Mind (Metallstreifen, 1997); Hanneke van Spaendonck: Frühlingserwachen (2007); Ursula Jaeger: Spielkarte


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