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17.03.07 / Kleinstrentner fordern Privilegien zurück / Königsbergs Senioren schrecken zur Durchsetzung ihrer Forderungen auch vor Gewalt nicht zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

Kleinstrentner fordern Privilegien zurück
Königsbergs Senioren schrecken zur Durchsetzung ihrer Forderungen auch vor Gewalt nicht zurück
von Jurij Tschernyschew

In den 90er Jahren, als die wirtschaftliche Lage in Rußland instabil war, hat der damalige russische Präsident Boris Jelzin eine Reihe von Vergünstigungen für Kleinstrentner eingeführt. Es entstanden Privilegien auf unterschiedlichsten Ebenen: staatliche, regionale, städtische und andere. Ein 50prozentiger Zuschuß zur Miete und den Mietnebenkosten gehörte ebenso dazu wie kostenlose Medikamente, Zahnprothesen und Kuraufenthalte in Sanatorien. Am wichtigsten von allen Vergünstigungen war die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel innerhalb der Stadt sowie bei Fahrten zur Datscha, die für viele eine zusätzliche Versorgungsquelle mit Lebensmitteln war.

Für die meisten dieser Vergünstigungen war es nötig, eine Vielzahl von Anträgen auszufüllen und bei zahlreichen Beamten und ihren Mitarbeitern Schlange zu stehen. Die Anzahl an Formularen und Bescheinigungen, welche die Beamten ausstellen mußten, grenzte ans Absurde. Zum Beispiel mußten für die Berechtigung zur kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel 51 verschiedene Dokumente beigebracht werden. Während der Überprüfung der Unterlagen kam es häufig zu Raufereien wegen fehlender Angaben, Unterschriften oder Stempeln.

Im vergangenen Jahr faßte die russische Regierung den Grundsatzbeschluß, die Zahl der Vergünstigungen erheblich zu reduzieren. Die Königsberger Gebietsverwaltung entschied sich dafür, anstelle von Privilegien eine Geldsumme in Höhe von 1200 Rubel (knapp 35 Euro) pro Monat zu zahlen. Hierfür wurden bereits im vergangenen Jahr 600 Millionen Rubel (fast siebzehneinhalb Millionen Euro) zur Verfügung gestellt, für das laufende Jahr sind 1,7 Milliarden Rubel (fast 50 Millionen Euro) eingeplant. Nun könnte man vielleicht meinen, daß durch diese deutliche Erhöhung alle hätten zufriedengestellt werden können. Doch dem ist nicht so.

Zwar gelten die Bewohner des Königsberger Gebiets im allgemeinen als geduldig und ruhig im Vergleich zu anderen Regionen der Russischen Föderation, doch Ende vergangenen Jahres haben sie begonnen, zu demonstrieren und Mahnwachen aufzustellen. Am liebsten tun sie das vor dem Gebäude des Gebietsparlaments. Die Protestierenden blockieren den Eingang des Gebäudes und hindern Abgeordnete daran, ihren Arbeitsplatz zu erreichen, so daß diese sich durch den Hintereingang ins Gebäude schleichen oder die Termine für ihre Sitzungen verschieben müssen. An den jüngsten Protestaktionen nahmen besonders viele Menschen teil. Sie zerrten nicht nur an den Nerven der Gebietsabgeordneten, sondern wurden auch handgreiflich, indem sie ihnen die Kleider zerrissen oder persönliche Sachen zerstörten. Die Protestkundgebungen werden von einem Stab vorbereitet und organisiert, der aus Mitgliedern der Kommunistischen Partei Rußlands, der Vereinigung Bürgerfront, der Partei Patrioten Rußlands und der verbotenen Nationalbolschewistischen Partei besteht.

Der jüngste Marsch gegen die "Vermünzung" ihrer Privilegien stand unter der Losung "Marsch der Nichteinverstandenen". Der Königsberger Bürgermeister ließ die Demonstration auflösen, die jedoch am Hansaplatz fortgeführt wurde. Einige Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Nationalbolschewisten hielten sich nicht an das Verbot und setzten ihren Marsch fort. Über 500 Menschen bewegten sich über den Fußgängerweg vom Hotel "Kaliningrad" zum Hansaplatz. Dabei skandierten die Teilnehmer immer wieder: "Privilegien für das Volk - Wasser und Brot für die Beamten" und "Wovon sollen wir Miete zahlen?" Die Polizei, die in gleicher Stärke wie die Demonstranten zugegen war, behinderte den Umzug nicht. Nachdem die Menge den Hansaplatz erreicht hatte, kamen weitere Menschen hinzu. Gleichzeitig waren am Gebäude der Gebietsduma Mahnwachen aufgestellt.

Sowohl die Demonstration auf dem Hansaplatz als auch die Mahnwachen vor der Duma richteten sich gegen die Erhöhung der Tarife für Mieten und Mietnebenkosten durch den Fortfall der Subventionierung. Die Demonstranten forderten, zwischen Vergünstigungen oder Geld wählen zu dürfen. Es traten mehr Redner auf als bei vorangegangenen Protestkundgebungen. Unter ihnen waren auch Abgeordnete der Kommunistischen Partei, der Partei Patrioten Rußlands und andere aktive Mitglieder des Proteststabs.

Gegen Ende der Kundgebung wurde eine Resolution verlesen, deren Inhalt dergestalt war, daß die Regierung entweder den Forderungen zustimmen müsse oder die Protestaktionen fortgeführt würden. Um den Zorn der Rentner verstehen zu können, ist es hilfreich, eine einfache Rechnung aufzumachen. Die durchschnittliche Rente im Königsberger Gebiet liegt zwischen 2000 und 3800 Rubel (zwischen 58 und 111 Euro). Davon muß eine Miete in Höhe von durchschnittlich 2500 Rubel (rund 73 Euro) gezahlt werden. Die Frage, wie man von dem verbleibenden Rest leben soll, ist da berechtigt, zumal die Preise für Lebensmittel in Königsberg genauso hoch sind wie in der Bundesrepublik Deutschland, manchmal sogar höher. Deshalb sind viele Rentner auf ihre Datscha angewiesen, wo sie Gemüse und Früchte ziehen und manchmal sogar Tiere halten. Sie leben davon. Mit dem Wegfall der kostenlosen Verkehrsmittelnutzung entstehen ihnen weitere Kosten von durchschnittlich 70 Rubel (über zwei Euro) im Monat. Hinzu kommt eine nicht sozial gestaffelte Einkommenssteuer. Diese beträgt in der Russischen Föderation für alle gleich 13 Prozent, und zwar ab dem ersten Rubel, ganz gleich, ob jemand arm ist oder Milliardär. Ein steuerfreies Mindesteinkommen wie in der Bundesrepublik Deutschland gibt es in der Russischen Föderation nicht.

Es gäbe eine einfache Lösung für das Problem, nämlich die Renten um 3000 Rubel (gut 87 Euro) zu erhöhen. Genau das haben die Demonstranten gefordert, doch ist die Nutzung des sogenannten Stabilisierungsfonds der Russischen Föderation hierfür bislang nicht vorgesehen.

Foto: "Hände weg von den Vergünstigungen": Demonstrierende Kleinstrentner vor der Königsberger Gebietsduma


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