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17.03.07 / Dank für Auftritt in "Die Flucht der Frauen" / Offener Brief von Ruth Geede an Anita Motzkus aus Anlaß der ARD-Dokumentation vorletzten Sonntag noch zu später Stunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-07 vom 17. März 2007

Dank für Auftritt in "Die Flucht der Frauen"
Offener Brief von Ruth Geede an Anita Motzkus aus Anlaß der ARD-Dokumentation vorletzten Sonntag noch zu später Stunde

Liebe Anita Motzkus,

diese Worte sind an Sie gerichtet, aber nicht nur Sie sollen sie lesen. Ich glaube im Sinne vieler Vertriebener zu sprechen, die wie ich für Ihr Bekenntnis zur Heimat, das Sie in der TV-Dokumentation "Die Zeit der Frauen" vor Millionen Zuschauern ablegten, danken wollen. Ihre Worte standen in keinem Drehbuch, die Aufnahmen wurden in keinem Studio gemacht, sondern auf Ihrem elterlichen Hof in Schönlinde im Kreis Gerdauen, in Ostpreußen. Sie sprachen inmitten der verkommenen, verfallenen Gebäude davon, daß sie noch heute nur hier das Gefühl von Heimat hätten, in dem Land Ihrer Kindheit, die zuerst so wohlbehütet verlief, bis Sie dann - erst fünfjährig - aus der Geborgenheit gerissen wurden und auf einer zuerst mißlungenen Flucht, dann in einem dreijährigen Kampf um das nackte Überleben nur auf sich alleine gestellt, die Grausamkeit jener Zeit am härtesten zu spüren bekamen. Daß es Ihnen schwer fiel, darüber zu sprechen, spürte man, aber Sie überwanden diese Blockade, unter der noch heute viele Vertriebene stehen, und so konnten Sie nicht nur in Ihrem Bekenntnis zur Heimat, sondern auch in Ihren so klar und ruhig vorgetragenen Schilderungen der damaligen Vorgänge diejenigen Zuschauer beeindrucken, die sich zuvor nicht mit diesem Kapitel deutscher Geschichte befaßt hatten. Und so authentisch belegen, was mit dokumentarischem Anspruch in dem Zweiteiler "Die Flucht" in die fiktive Handlung eingebaut war, und damit manches ergänzen oder geraderücken, was bei vielen Zuschauern zu offenen Fragen oder Irritationen geführt hatte. Deshalb will ich diesen Dank an Sie hier offen aussprechen und es nicht mit einem nur für Sie bestimmten Schreiben belassen.

Das ungleich persönlicher und herzlicher ausfallen würde, denn ich bin Ihnen nicht nur durch viele Gemeinsamkeiten verbunden, die sich aus langen Jahrzehnten mehr oder weniger enger redaktioneller Zusammenarbeit beim Ostpreußenblatt und meinem früheren Presseverlag ergaben, sondern vor allem durch die spürbare Liebe zur Heimat, deren Verwurzelung wir immer wieder in Gesprächen nachspüren. Wir haben eben, was unsere Herkunft betrifft, sehr viel Gemeinsames, und das zeigte sich auch in so manch einer Situation in unser beider Leben. So als ich einmal nach schwieriger Operation aus der Narkose erwachte, saßen Sie an meinem Bett - denn Sie waren zu jener Zeit in dem betreffenden Krankenhaus tätig - und halfen mir nicht nur mit tröstenden Worten, sondern auch tatkräftig. Denn ich konnte durch Sie vom Krankenbett aus meine redaktionelle Arbeit weiterführen, ganz selbstverständlich sprangen Sie ein, obgleich Sie selber sehr belastet waren. So erlitt auch die Wochenkolumne "Die Ostpreußische Familie" keine Unterbrechung. Ja, das ergibt schon eine gewisse Vertrautheit, die letztendlich dazu führte, daß Sie die - zuerst bei mir angefragte - Beratung bei den Dreharbeiten zu dem Film "Die Flucht" in Litauen übernahmen. Ich ahnte schon, daß sich noch mehr daraus ergeben würde, aber daß Sie dann im dokumentarischen Begleitprogramm einen solch wichtigen Part bekamen, hat mich dann doch überrascht und erfreut. Und ich wußte, daß gerade Sie durch Ihre eigenen Erlebnisse, an die Sie sich so nahtlos erinnern können, zur wichtigen und richtigen Informantin mit größter Aussagekraft werden konnten.

"Zeit der Frauen" nennt sich diese Dokumentation - und scheint damit auf die Fluchttage begrenzt. Aber diese Zeit hat schon viel früher begonnen: als die Männer einberufen wurden und ihre Frauen die Verantwortung für Haus, Hof und Familie übernahmen. Ostpreußische Frauen haben nie die Hände in den Schoß gelegt, jetzt wurden sie noch mehr gefordert. Bis zum äußersten, wenn die Männer nicht mehr wiederkamen, gefallen oder vermißt. Nun ruhte die ganze Verantwortung auf den Schultern der Frauen, die nicht ahnten, daß das Schlimmste noch bevorstand. Das, was der Film zeigt, und was durch Sie, liebe Anita, noch eindringlicher und überzeugender vermittelt wurde, weil es der Wahrheit entsprach, dem eigenen Erleben: Wie Sie mit Ihrer Mutter und der kleinen Schwester mit Pferd und Wagen auf die Flucht gingen, vom Russen überrollt wurden, wie Sie sich wieder nach Hause durchschlugen, auf dem verwüsteten Hof die ermordete Großmutter fanden, vergeblich - bis heute - nach dem Großvater suchten, bis dann auch die gequälte Mutter nach Sibirien verschleppt wurde und Sie als Fünfjährige sich und die kleine Schwester durch Betteln am Leben erhielten. Sie zeigten damit auch auf, was durch den Film leicht zur Schieflage führen konnte: daß die gesamte Bevölkerung den unsäglichen Qualen und Leiden, dem Morden, der Verschleppung ausgesetzt war. Daß die meisten Flüchtenden von ihren einsamen Höfen oder Siedlungen aus allein oder in nachbarlicher Gemeinschaft auf die Flucht gingen, auf mühsam zusammengestellten Gefährten, mit Rad oder zu Fuß, daß sich viele Spuren verlieren - bis heute. Auch Ihre, liebe Anita, hätte verwischt werden können, als eine litauische Bäuerin Sie, das scheinbar elternlose Kind, adoptieren wollte. Wie Sie das erzählten, so sicher verankert in der nie gelöschten Erinnerung, das war glaubhaft und damit ungeheuer beeindruckend.

Nicht nur für mich, wie die ersten Reaktionen - auch von bisherigen Ignoranten - bekunden. Es werden noch viele folgen, denn diese Begleitsendung zum Spielfilm sahen zwei Millionen Zuschauer, für eine Dokumentation zu so später Stunde sehr ungewöhnlich. Den anfangs geäußerten Glauben, daß viele Ihnen danken wollen, kann ich belegen:

"Ich habe die Dokumentation auf Video aufgenommen, ich kann mich nicht satt sehen. Was hat Anita Motzkus als Kind mit durchmachen müssen. Ich glaube, wer diese Kindheitsträume überlebt, der muß einfach stark werden."

"O dieses Jahrhundert! Ich sah die Sendung spätabends von den drei Frauen. Alles ist wieder tief aufgerührt. Wie großartig und sicher von Frau Motzkus, das alles so ruhig zu sagen und zu erzählen, auch angesichts des zerstörten Elternhauses."

"Die unaufgeregte Art, wie Anita Motzkus von ihren wirklich schlimmen Erlebnissen erzählte, war beeindruckend. Dazu möchte ich gratulieren und danken!"

"Ich sah die Dokumentation ‚Die Flucht der Frauen'. Ich muß gestehen, daß ich, wie immer beim Aufzeigen dieser und ähnlicher Ereignisse dieser Zeit, von innerer Bewegung, gleichermaßen besonderer Erregung und einem Gemisch von Gefühlen erfüllt bin, für die man bis heute schwerlich ein offenes, ehrliches Gehör findet."

Das wollte, das mußte ich Ihnen, liebe Anita, hier einmal sagen. Auch, was mich in dem - übrigens von Christian Wagner sehr behutsam geführten Interview - besonders berührte. Das war, als Sie von dem Glas Wasser berichten, daß die heute in Ihrem Elternhaus wohnende russische Lehrerin Ihnen auf Ihren Wunsch hin brachte. "Aus unserm Brunnen!" sagten Sie leise. Sie und ich haben oft erfahren müssen, daß unsere Erinnerungen an die Heimat mit "das ist doch alles Schnee von gestern" abgetan wurde. Seien wir gewiß: Der Schnee von gestern wird zum Quellwasser von morgen!

Ihre Ruth Geede


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