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24.03.07 / Noch ist Polen nicht verloren!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-07 vom 24. März 2007

"Moment mal!"
Noch ist Polen nicht verloren!
von Klaus Rainer Röhl

Danzig. September 1944. Während ein Teil unserer Schulklasse zur Flak kommt und zum Arbeitsdienst und für Grass die Waffen-SS-Ausbildung beginnt, betreten ich und die übriggebliebenen Mitschüler historischen Boden in Poldersee, heute Poldac in Westpreußen. Als Erntehelfer beim Kartoffelbuddeln. Ein Dorf mit Deutschen und Polen. Die Deutschen waren die Bauern, die Polen die Knechte. Vor 1939 war es umgekehrt gewesen und vor 1919, als Poldersee zum Deutschen Reich gehörte, wieder umgekehrt. Sagen wir, ein deutsch-polnisches Dorf. Aber warum sangen wir, die Kinder aus meiner Klasse und aus der Parallel-Klasse, damals, im Herbst 1944 leichtfertig und todesverachtend Lieder gegen Hitler und für die Polen, die wir doch gar nicht kannten, sangen "Noch ist Polen nicht verloren"? Vielleicht muß ich noch erwähnen, weil es bald niemand mehr genau wissen wird, daß keiner der 400000 Danziger ein Wort Polnisch konnte. Obwohl der Freistaat Danzig mitten in einem polnischen Sprachgebiet lag. Niemand von uns kannte einen Polen. Und doch sangen wir damals "Noch ist Polen nicht verloren". Im September 1944.

Schwer zu sagen, wie das zustande kam. Vielleicht war es die Wut über das elende, gebückte Schuften auf dem Kartoffelfeld, eine dumpfe Wut gegen die HJ und die Partei, ein bißchen Erinnerung an verbotene Rundfunksendungen von BBC und Radio Moskau, die alle heimlich hörten?

Jedenfalls packte uns eines Nachts der verrückte Gedanke, den polnischen Bauern, die von ihren Höfen vertrieben worden waren, eine Art Solidarität zu bekunden. Irgendeiner behauptete, daß die polnische Nationalhymne mit den Worten "Noch ist Polen nicht verloren" anfängt. Mehr wußten wir nicht, die Melodie kannten wir auch nicht, aber wir kannten die italienische Nationalhymne, über die damals Spottverse gesungen wurden. Schnell dichteten wir einen Text dazu. Und den sangen wir, sangen ihn laut durch das nächtliche Dorf marschierend, nochmal und nochmal, wie berauscht von unserer Frechheit und der Gefahr, die damit zweifellos verbunden war:

"Noch ist Polen nicht verloren

Hallt es jetzt in allen Ohren!

Polen rächet eure Schande

Und zerschlagt die Nazibande.

Heil dir Polen, dobrze Polen!"

Das war doch ein Wort. Und heute, 2007, muß ich lesen und hören, daß die Polen die Vertriebenen immer noch für gefährlich und revanchistisch halten. Sind Vertriebene Nazis? Sind wir wirklich so unversöhnlich, daß uns die polnischen EU-Politiker und die SPD zur Versöhnung aufrufen müssen? Versöhnung fordern Frau Merkel und Polens Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, als hätten sie das Rad der Geschichte noch einmal erfunden. Aber klar, sagen die Vertriebenen, wir waren ja die ersten, die 1950 in der "Charta der Vertriebenen" den Polen und Tschechen die Hand dargeboten haben zur Versöhnung.

Doch man muß offen sagen, daß die Versöhnungsbereitschaft der Polen mit den früheren Einwohnern des Landes, das sie nun bewohnen, schon mal größer war. Warum wohl? Das Verhältnis wurde von Jahr zu Jahr schlechter, als sich der Beitritt Polens zur EU abzeichnete. Angeblich lag das an den Plänen der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen (BdV), der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach, zusammen mit dem SPD-Politiker Glotz in Berlin ein "Zentrum gegen Vertreibungen" zu errichten. In dieser Gedenkstätte soll das Schicksal der 15 Millionen Deutschen, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, registriert, gesammelt, erforscht und für die Nachwelt dokumentiert werden. Seitdem dieser Plan quer durch die Parteien (mit Ausnahme der SED-Nachfolger, versteht sich) breite Zustimmung fand, mehren sich die Angriffe aus Warschau.

Je moderater die Töne der deutschen Vertriebenen wurden und je näher der EU-Beitritt rückte, desto mehr steigerten sich die Haßtiraden der polnischen Presse. Das war gar nicht verwunderlich. Es gab eine (geschürte) Haß- und Angststimmung gegen die Deutschen. Wegen dieser Stimmungsmache waren sich die polnischen Hausbesitzer und Bauern am Vorabend des EU-Beitritts plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob sie die Gebäude, den Grund und Boden für alle Ewigkeit würden behalten können, die ihnen der Staat aus beschlagnahmtem deutschen Privatbesitz übereignet hatte. Wie wäre es, wenn eines Tages die Erben der Grundstücke und Häuser sich melden würden? Das Erbrecht an Immobilien verfällt bekanntlich nicht. Gleich, ob sie durch mangelhafte Kultivierung der Guts- und Bauernhöfe an Wert verloren oder als Stadtgrundstücke und Wohnhäuser ihren Wert gesteigert haben. Reden müßte man darüber unter EU-Bürgern ja mal können und nicht nur unter Hinweis auf Hitlers Krieg jedes Gespräch verweigern. Hin ist hin, sollen die ostpreußischen Bauern sagen, die einen Hof von, sagen wir 100 Hektar verloren haben, das war Hitlers Krieg. Was aber werden ihre Kinder und Enkel sagen?

Stellen wir uns einen jungen Mann aus Köln-Marienburg oder Hamburg-Blankenese vor oder einen Hoferben aus den schleswig-holsteinischen Marschen, der jetzt (zum ewigen Ärger aller Sozialisten und Likedeeler) ein schönes Grundstück erbt, nach Abzug aller Erbschafts- und Neidsteuern immerhin vielleicht noch 500000 Euro wert.

Zu diesem jungen Mann käme eines Tages jemand und erklärte ihm, er bekäme von seinem Erbe nichts. Null. Wegen Hitler, den seine Urgroßeltern im November 1932 - vielleicht - es waren 33 Prozent - gewählt hätten. Der Mann aus Hamburg würde sich nur an den Kopf fassen. Genau das gleiche passiert aber einem Erben, dessen Haus in der besten Wohngegend Danzigs am Langen Markt stand oder dessen Bauerngut in Ostpreußen oder Pommern. Er erhält von seinem Erbe - nichts.

Weil die Deutschen als "Tätervolk" nach 62 Jahren immer noch für Hitlers Krieg zahlen müssen? Aber warum zahlt nur der Erbe aus Danzig oder Breslau und nicht der Erbe aus Köln oder Hamburg-Blankenese die Strafe? Sein Pech? War Hitlers Krieg so etwas wie höhere Gewalt? Wie Feuer und Erdbeben? Das Rechtsgut (Haus oder Boden) ist ja nicht untergegangen, es ist nur von jemand anders, einem Polen oder Tschechen, in Besitz genommen worden. Arglos natürlich. Man hat ihnen gesagt, daß die Deutschen durch den verlorenen Krieg jeden Anspruch auf ihr Eigentum verloren hätten. Pech für die Pommern, Schlesier, Danziger, Ostpreußen und Sudetendeutschen.

Jedermann weiß, daß es im Privatrecht kein "Tätervolk" gibt, sondern nur Ansprüche. Deshalb bewahren die Palästinenser aus dem Westjordanland immer noch ihre Grundbuchauszüge auf, obwohl ihr Land längst von anderen in Besitz genommen wurde, übrigens auch infolge eines verlorenen Krieges. Die Ansprüche auf ihr Eigentum behalten sie.

Die Ansprüche der deutschen Vertriebenen auf ihr Eigentum hat die Bundesregierung gegenüber Polen und Tschechien für null und nichtig erklärt. Das war sehr leichtfertig, denn der Verzicht auf das Privateigentum von Bürgern der Bundesrepublik müßte auch nach internationalem Recht und vor allem EU-Recht Bestand haben. Eine private Aktiengesellschaft, die "Preußische Treuhand AG", hat diese Ansprüche bereits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen Polen gestellt, und die Ansprüche der Erbberechtigten könnten sich, wenn Polen nicht zahlen will, mit Aussicht auf Erfolg gegen die Bundesrepublik Deutschland richten. Und das kann sehr teuer werden. Immobilien aus vier Provinzen sind nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Der minimale "Lastenausgleich" von 1952 war ausdrücklich als vorläufig und Abschlagszahlung deklariert.

Doch gerade die von Frau Steinbach vertretene Mehrheit der Vertriebenen aber will diese Ansprüche nicht betreiben und lehnt die Aktivitäten der "Treuhand" ab! Trotzdem wird in der polnischen Presse die "Treuhand" ständig mit dem Bund der Vertriebenen in Verbindung gebracht und auch bei uns als "Vertriebenenorganisation" bezeichnet ("Netzeitung", vom 18. März). Das ist böswillig. Frau Steinbach wurde 2003 in der Zeitschrift "Wprost", einem Leitorgan der Regierungspartei, auf einem Titel in SS-Uniform dargestellt. Niemand hat sich dafür entschuldigt. Es stimmt auch, daß der Vizepremier Roman Giertych von der "Liga polnischer Familien" gegen Homosexuelle hetzt und sein Vater, der Europa-Abgeordente Maciej Giertych, gerade ein ebenso antideutsches wie antisemitisches Buch herausgebracht hat. Das ist keine Versöhnungsbereitschaft. Die Polen kennen unsere politische Szene ziemlich genau. Sie wissen, daß die Vertriebenen keine Gebietsansprüche stellen. Es wäre an der Zeit, daß das in Warschau auch einmal öffentlich ausgesprochen wird.

Die Bundesregierung aber tut gut daran, sich mit den Vertriebenen gut zu stellen, sie als demokratische Interessenvertreter zu betrachten und nicht immer als lästige Bittsteller, als langsam aussterbende Alte oder sogar als "Ewiggestrige", sondern als eine wichtige - nicht nur bei Wahlen, sondern auch in der Parteienlandschaft wichtige - Kraft in unserer Gesellschaft. Deren Wunsch nach einer Gedenkstätte, dem "Zentrum gegen Vertreibungen", sie nach Kräften zu fördern hat wie die Gedenkstätten anderer Opfergruppen. Die Überlebenden der Vertreibung und ihre Erben gegen Diffamierungen im In- und Ausland in Schutz zu nehmen gehört zur Sorgfaltspflicht einer verantwortungsvollen und gut beratenen Bundesregierung.

Erfreulich ist, daß die Angela Merkel auf der Halbinsel Hela bei der gegenwärtigen polnischen Regierung um Verständnis für das "Zentrum gegen Vertreibungen" geworben hat. Ein "würdevolles Gedenken an eigenes Leid müsse möglich sein", hat sie zu Protokoll gegeben.

Keine Fragen mehr also. Fangen wir an mit dem Bau der Gedenkstätte in Berlin. Morgen.

Foto: Staatsbesuch: Merkel und ihr Mann (r.) mit dem Ehepaar Kaczynski auf Hela


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