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24.03.07 / Starke Bande / Die Sehnsucht nach der Heimat ist ein gemeinsames Erbe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-07 vom 24. März 2007

Starke Bande
Die Sehnsucht nach der Heimat ist ein gemeinsames Erbe
von Renate Dopatka

Eigentlich mochte sie keine Gespräche während der Zugfahrt. Sich mit Fremden über belanglose Dinge zu unterhalten oder - schlimmer noch - sich deren Lebensgeschichte anhören zu müssen war Christina schlicht ein Greuel. Lieber sah sie aus dem Fenster oder verschanzte sich hinter einem Buch. Diesmal war es anders.

Dem Mann, der kurz hinter Augsburg ihr Abteilgefährte geworden war, hatte sie zuerst kaum mehr als einen flüchtigen Blick geschenkt. Dem Laptop nach, den der etwa 40jährige alsbald auf seinen Knien balancierte, schien es ein Geschäftsreisender zu sein - ein Mensch also, von dem nicht zu befürchten stand, daß er einem seine Familiengeschichte auftischte.

Erleichtert hatte sich Christina wieder ihrer Lektüre zugewandt. Dann aber nahm die Landschaft, die draußen vorüberzog, ihre Aufmerksamkeit gefangen. Sie fuhren durch dünnbesiedeltes, waldloses Gebiet. Kaum eine Ortschaft, kaum ein Strauch störte hier die Sicht auf die sich bis zum Horizont erstreckenden, tief verschneiten Ackerfluren. Blauer Himmel spannte sich über das sonnenglitzernde Land, das auf seinen Betrachter leicht eintönig hätte wirken können, wenn die im Osten sich mächtig auftürmenden weißen Wolkenwände dem Ganzen nicht einen gewissen dramatischen Reiz verliehen hätten. Tiefe Stille und Einsamkeit schien über diesen Weiten zu liegen. Gern wäre Christina ausgestiegen, um den schweigenden Atem dieses Landes in sich aufzunehmen. Doch sie wußte schon jetzt: Es würde nicht die Stille sein, die sie erhoffte. Jene einzigartige, fast schon überirdische Stille, die der Osten bereithielt.

Vielleicht hatte sich bei diesem Gedanken ihr Gesichtsausdruck verändert, denn als Christina jetzt den Kopf wandte, begegnete sie dem fröhlich-forschenden Blick ihres Reisegefährten: "Da kommt noch mehr herunter", lächelte er ihr zu. "Falls Ihnen der Schnee noch nicht reicht."

"Nicht reicht?" wiederholte Christina irritiert. "Nun ja, als Sie vorhin aus dem Fenster schauten, da wirkten Sie irgendwie skeptisch oder sagen wir besser: enttäuscht. Aber verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten".

Auf seinen hellen Wangen zeigte sich leichte Röte, und gerade das machte ihn sympathisch. "Ich habe tatsächlich Vergleiche angestellt", erwiderte Christina ruhig. "Aber nicht so sehr in Bezug auf die Schneehöhe."

"Sondern?" Ihren Blick festhaltend, beugte er sich interessiert vor. Sie zögerte nur kurz. Er war ein Fremder, nichts weiter als eine Zugbekanntschaft. Und doch schien eine seltsame Vertrautheit, ein Wissen um das Wesen des anderen vorzuliegen. Was auch immer sie über das Land, dem ihre Vorfahren entstammten und dem sie sich so sehr verbunden fühlte, erzählen würde - es kam an die richtige Adresse. Und so machte Christina ihr Gegenüber vertraut mit den Stimmungen des ostpreußischen Winters: mit der Einsamkeit eingeschneiter Abbauten, mit dem Donnern des berstenden Eises auf den masurischen Seen und der atemberaubenden Stille dunkler Schneenächte.

"Ich selbst bin noch nie dagewesen", hörte sie ihn irgendwann leise sagen. "Aber so wie Sie es schildern, muß es ein wunderbares Land sein."

Lautes Knacken ertönte: "Verehrte Fahrgäste, in Kürze erreichen wir Würzburg", schallte es aus dem Lautsprecher. Christinas Reisegefährte wurde unruhig: "Ich muß hier aussteigen. Aber ich würde unser Gespräch gern fortsetzen." Ernst, mit zärtlicher Dringlichkeit, blickte er sie an. "Es geht jetzt alles so schnell, aber lassen Sie mich wissen, wann Sie wieder Richtung Osten aufbrechen. Eine bessere Reiseführerin als Sie kann ich mir nicht vorstellen." Er griff in seine Manteltasche: "Hier - meine Geschäftskarte, meine private Telefonnummer steht auch drauf. Ich hoffe, Sie rufen an." Erst als sie seinen warmen, festen Händedruck nicht mehr zu spüren glaubte, als Würzburg längst hinter ihnen lag, sah sich Christina das Kärtchen genauer an. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ohne daß er sich dessen bewußt war, trug er einen alten ostpreußischen Familiennamen. Die Endung -at, auf prußische Herkunft deutend, verriet es ihr.

Ja, sie würde anrufen. Nicht nur, weil ihr sein Name gefiel ...


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