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31.03.07 / Ein Mann wie alle anderen / Briefe einer Tuberkolosekranken an ihren ehemaligen Verlobten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-07 vom 31. März 2007

Ein Mann wie alle anderen
Briefe einer Tuberkolosekranken an ihren ehemaligen Verlobten

Der Deutsche Taschenbuch Verlag hat mal wieder ein kleines Juwel der europäischen Literatur wiederentdeckt, das der Wiederentdeckung durchaus wert ist. "Fast ganz die Deine" heißt der kurze Briefroman der 1900 geborenen Französin Marcelle Sauvageot.

Marcelle Sauvageot ist Lehrerin an einer Knabenschule und verlobt, als sie mit 26 Jahren an Tuberkulose erkrankt. Obwohl 1930 als geheilt entlassen, bricht die Krankheit kurz darauf wieder aus. In Davos sucht sie Heilung. Doch dann erreicht ein Brief ihres Verlobten sie, der die junge Frau aus der Bahn wirft. "Ich heirate ... unsere Freundschaft bleibt."

Eigentlich ist dies ein Satz, den wohl schon viele Verlassene zu hören bekommen haben, doch das besondere an Marcelle Sauvageots Reaktion ist der Brief an ihren ehemaligen Verlobten, in dem sich Leidenschaftlichkeit, Nachdenklichkeit, Erkenntnis, Bedauern, Lebensmut trotz schwerer Krankheit, Verständnis und Unverständnis in einer Art und Weise abwechseln, die den Leser in ihren Bann zieht. Zwar erhielt der Adressat diese Briefe nie, dafür aber ein Freund der Autorin, der zufälligerweise Verleger war, und so wurden die Briefe der Verlassenen nach ihrem Tod 1934 auch in Deutschland gedruckt.

"14. Dezember 1930: Es gibt Romanzen, die wie Ihr Brief beginnen: ,Sie, die ich so sehr geliebt habe ...' Diese Vergangenheitsform, wenn die Gegenwart noch so nah widerhallt, ist traurig wie das Ende von Festen, wenn die Lichter ausgehen, wenn man allein zurückbleibt und den Paaren nachblickt, die in die dunklen Straßen hinausgehen. Es ist zu Ende: Man hat nichts mehr zu erwarten und bleibt doch noch endlos so stehen ..."

Die Autorin beginnt immer mehr, sich zu wundern, stellt fest, daß immer wenn jemand von Liebe sprach, sie automatisch an ihren Verlobten dachte, wenn andere Frauen über Männer klagten, fühlte sie sich stets beseelt in den Annahme, der ihre wäre nicht einer von diesen "Männern". Gleichzeitig ärgert sie sich aber auch über die Gesellschaft. "Der Mann, für den Sie geschaffen sind" sei eine unpassende Formulierung, so die Lehrerin. Auch hat ihr Verflossener nie wirklich etwas für sie getan, und auch jetzt spräche er zwar von Freundschaft, schreibe aber: ",Wenn die Gelegenheit sich böte ...' Doch das sind für mich nicht die Zeichen der Freundschaft. Diese bestehen in der bloßen Tatsache, daß es jemanden gibt, an den ich mich jederzeit mit meinen Gedanken wenden kann, der meine Freude und meinen Verdruß fühlen wird wie ich selbst ... Und eine solche Freundschaft geben Sie mir schon lange nicht mehr." Doch immer wieder klagt Marcelle Sauvageot über die verlorene Liebe. Empfindet seine Tat wie einen Verrat. "Ich dachte, ich sei für Sie eine engere Freundin als ein Mann, als eine Geliebte, als eine Frau."

Am Ende der bewegenden, ehrlichen Briefe folgen zwei Analysen, die das Besondere an Marcelle Sauvageot Hinterlassenschaft erläutern und dem Leser die Hintergründe näherbringen. R. Bellano

Marcelle Sauvageot: "Fast ganz die Deine", dtv, München 2006, broschiert, 106 Seiten, 6,50 Euro, Best.-Nr. 6114


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