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07.04.07 / Besonnen überstand er selbst stürmische Zeiten / EU-Kommissionspräsident Barroso hat Altkanzler Kohl für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-07 vom 07. April 2007

Besonnen überstand er selbst stürmische Zeiten
EU-Kommissionspräsident Barroso hat Altkanzler Kohl für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen
von Hans Heckel

Der Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, den deutschen Altkanzler Helmut Kohl für den Friedensnobelpreis zu nominieren, hat alte Gegner auf den Plan gerufen. Aus den Reihen der Grünen ist zu hören, Kohl sei kein geeigneter Kandidat für den Friedensnobelpreis, weil er eher ein "Unfrieden-Stifter" gewesen sei. Und warum? Wegen seines Verhaltens während des CDU-Spendenskandals, meint Grünen-Politiker Volker Beck.

Man stutzt: Sicher hat Kohls Schweigen über undurchsichtige Parteispender viele seiner Anhänger tief verstört und im ganzen Land berechtigte Empörung ausgelöst. Aber was hat das mit den Leistungen des Politikers für den Weltfrieden zu tun?

Die Antwort liegt klar auf der Hand: gar nichts!

In Wahrheit stört die Grünen auch ganz etwas anderes an der Nominierung. Ihre eigentlichen Beweggründe zu diskutieren könnte jedoch für die Partei unangenehme Debatten auslösen und die selbstgefällige Sicht auf ihre eigene Geschichte beträchtlich eintrüben.

Anfang der 1980er Jahre standen sich eine linke Friedensbewegung und die Befürworter des "Nato-Doppelbeschlusses" unversöhnlich gegenüber. Die Grünen hatten sich seit ihrer Gründung 1980 an die Spitze der Pazifisten gestellt, Kohl hingegen führte spätestens seit Beginn seiner Kanzlerschaft am 1. Oktober 1982 die Befürworter des "Doppelbeschlusses" in Deutschland an. Daß sich die Verfechter des Doppelbeschlusses durchsetzten, stürzte die Führung der Sowjetunion in eine tiefe innere Krise, an deren Ende die Auflösung des Ostblocks und die deutsche Einheit standen. Damit waren eine jahrzehntelange atomare Todesdrohung gegen ganz Europa, seine Spaltung und das Unwesen der Diktatur auf diesem Kontinent verschwunden. Wer Helmut Kohls Verdienste um den Weltfrieden untersuchen will, muß diese Geschichte erzählen, eine Geschichte, in welcher die Grünen alles andere als gut wegkommen, weshalb sie lieber über Spenden reden möchten.

Rückblende: Ab 1977 begann Moskau, sein Mittelstreckenarsenal in Europa durch die Aufstellung von "SS-20"-Raketen massiv zu modernisieren. Die SS-20 waren auf mobilen Rampen stationiert und somit den westeuropäischen, festmonierten Systemen weit überlegen. Auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Schmidt einigte sich die Nato am 12. Dezember 1979, der UdSSR beiderseitige Abrüstung anzubieten. Für den Fall, daß solche Verhandlungen zu keinem befriedigenden Ergebnis führen sollten, beschloß das Bündnis, selbst massiv "nachzurüsten". Da ein solches Verhandlungsergebnis bis zum Herbst 1983 in der Tat nicht vorlag, stimmte der deutsche Kanzler, der mittlerweile Helmut Kohl hieß, der Aufstellung amerikanischer Raketen und Marschflugkörper auf dem Bundesgebiet zu.

Bis zur Aufstellung der US-Raketen ab November 1983 gaben sich die Sowjetführer der Hoffnung hin, die westeuropäische und vor allem westdeutsche Friedensbewegung würden die Nachrüstung verhindern. Schließlich war Kanzler Schmidt letztlich über den Widerstand seiner SPD gegen seine eigene Idee gestürzt.

Das Scheitern der Friedensbewegung mit den Grünen an der Spitze ließ diese Moskauer Träume platzen, die Betonköpfe im Kreml hatten sich gründlich verkalkuliert. Die Bundesrepublik war nicht erpreßbar, das westliche Bündnis stand. Nun wurde Platz für eine neue Generation von Sowjetführern, die den Schalter nach und nach umlegten und von Drohung und Konfrontation (Afghanistan-Einmarsch Dezember 1979) auf Verständigung schalteten. Zwei Jahre nach Beginn der Nachrüstung schlug die Stunde von Michail Gorbatschow.

Anfangs mißtraute Kohl den neuen Klängen von der Moskwa, glaubte in Gorbatschow nur mehr einen gerissenen Taktiker zu sehen und verglich ihn gar mit dem Propagandaredner Goebbels. Bald aber erkannte der deutsche Kanzler die neuen Chancen. Auch wenn er 1989 der stürmischen Entwicklung zur deutschen Einheit zunächst hinterher rannte - sein "Zehn-Punkte-Plan" von Ende November 1989 sah noch eine bis 1999 hingezogene, schrittweise Einigung vor -, so begriff er doch bald die ungeheure Dynamik und griff beherzt nach dem "Mantel der Geschichte". Eifrig nach allen Seiten verhandelnd, räumte er nach und nach den manchmal aggressiv vorgetragenen Widerstand gegen die deutsche Einheit aus, baute ein enges Verhältnis zu US-Präsident George Bush senior und Michail Gorbatschow auf, nutzte seine guten Beziehungen zum französischen Präsidenten François Mitterand und isolierte die wütende Britin Margaret Thatcher. In einer überaus hektischen, von Emotionen und oftmals offen antideutschen Anfeindungen geschüttelten Atmosphäre erwies sich Helmut Kohl als souveräner Außenpolitiker - zum Entsetzen der antideutschen Kräfte in der Welt, zum nicht minderen Entsetzen der deutschen Linken allerdings ebenso.

Einen Schatten auf sein Vermächtnis wirft sein Umgang mit den deutschen Heimatvertriebenen. Stalin hatte die Oder-Neiße-Linie einst als Brandschneise des Hasses zwischen Deutsche und Polen geschlagen. Die Ausgrenzung der Hauptbetroffenen, der deutschen Vertriebenen, bei den Grenzverhandlungen 1989/90 hat viel dazu beigetragen, daß Deutschland und Polen bis heute weit von einem Verhältnis entfernt sind, das zwischen Deutschland und Frankreich schon 1963 die Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages möglich machte.

Wer überhaupt vom "Unfrieden" im Zusammenhang mit Kohls Rechtspolitik spricht, der sollte weniger von Spenden reden als vom Umgang mit den Vertriebenen oder von der "zweiten Enteignung" der in der SBZ Enteigneten, die ebenfalls auf ewig den Namen des Altkanzlers tragen wird.

Für die Linke jedoch bleibt er als "Kanzler der Nachrüstung" und "Kanzler der Einheit" vor allem eine schmerzliche Erinnerung an ihr doppeltes historisches Versagen.

Dabei hat Kohl weder den Doppelbeschluß erfunden noch das "Tor zur deutschen Einheit" selbst aufgestoßen, das waren die Revolutionäre auf den Straßen der DDR und die in den Westen flutenden "Übersiedler". Die Einheit Deutschlands stand für ihn bis kurz vor den Umwälzungen des Jahres 1989 nicht einmal "auf der Tagesordnung der Weltpolitik", er schob sie in seinen Reden gar als "Aufgabe für kommende Generationen" auf die lange Bank. Helmut Kohls Europa-Vision, vom Kriegstrauma getrieben, ließ ihn den nationalen deutschen Standpunkt derart vernachlässigen, daß Patrioten an dem Pfälzer verzweifeln wollten (obschon es gerade jene Europa-Euphorie sein dürfte, für die vor allem Barroso den Deutschen geehrt sehen möchte). Helmut Kohl selbst litt schwer unter dem Verdacht, kein wahrer deutscher Patriot zu sein.

Aller Kritik ungeachtet war Kohl der Politiker, der den historischen Nato-Doppelbeschluß durchgesetzt und damit den weiteren, günstigen Verlauf der Dinge entscheidend geprägt hat.

Und er war es, der die Deutschen energisch und gefaßt durch das Tor zur Einheit geführt hat. In seiner Besonnenheit, ja manchmal geradezu enervierende Behäbigkeit war Helmut Kohl - bei allem, was man ihm zu recht vorwerfen mag - der Garant für Zuverlässigkeit und Stabilität in den stürmischsten Tagen Europas seit dem Zweiten Weltkrieg.

Wer die europäische Geschichte kennt, der weiß, was allein das bedeutet.


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