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07.04.07 / Mit dem Flieger nach Ostpreußen / Reisen im Königsberger Gebiet ist sehr oft mühsame, vergebliche Spurensuche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-07 vom 07. April 2007

Mit dem Flieger nach Ostpreußen
Reisen im Königsberger Gebiet ist sehr oft mühsame, vergebliche Spurensuche
von Jochen Thies

Wer mit dem Flugzeug nach Ostpreußen kommt, hat eine hohe Hürde zu nehmen. Er muß durch Kontrollen hindurch, die eher an die 80er Jahre in der Sowjetunion als an eine moderne weltoffene Großmacht der Gegenwart erinnern. Das ausrollende Flugzeug hält unweit eines heruntergekommenen Plattenbaus, in dessen Nähe sich ein total verrosteter Autobus befindet. Um die Ecke herum parken einige, ebenfalls in die Jahre gekommene, Militärhubschrauber. Als Einzelreisender ist man beim Eintreten in das Gebäude ziemlich verloren, denn die russischen Behörden verlangen außer einem Visum ein Einreiseformular in zweifacher Ausfertigung, auf Russisch abgefaßt. Da es während des Anfluges nicht ausgegeben wurde, bildet sich sofort eine Menschentraube um eine schmutzige Klarsichtfolie, in der sich Erläuterungen auf Deutsch befinden. Ein aus Sachsen stammender Geschäftsmann ist dem Reisenden in dem schuppenähnlichen Raum, der mit Holzverschlägen und spanischen Wänden unterteilt ist, beim Ausfüllen behilflich. Das Format erinnert an das Papier, das die Amerikaner beim Einreisen verlangen. Es gibt nur einen Tisch, auf dem man schreiben kann. Als die Koffer kommen, gibt es die nächste Überraschung. Alle Gepäckstücke müssen in einem nagelneuen, Respekt erheischenden Kontrollgerät nochmals durchleuchtet werden. Glücklicherweise verlangt die stämmige Zöllnerin im kurzen Rock und auf Stöckelschuhen nicht wie beim Vordermann, den Koffer zu öffnen. Endlich, nach einer Stunde - und das bei allenfalls 30 Passagieren - öffnet sich die Tür. Nun ist man im Königsberger Gebiet.

Binnen weniger Minuten stellen sich dann die Eindrücke ein, die den Reisenden fortan bei Fahrten durch das nördliche Ostpreußen begleiten. Man durcheilt ein flaches, steppenartiges Grasland mit wenigen Bodenerhebungen. Immer wieder tauchen unvermittelt einzeln stehende Häuser aus der Vorkriegszeit auf, deren Architektur an die von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein erinnert.

Der Verkehr ist schwach und nimmt nur zu, wenn man sich dem Großraum Königsberg nähert. Dort lebt die Hälfte der etwa eine Million Menschen, die heutzutage den Sonderverwaltungsbezirk Königsberg bevölkern. Auf dem Land sieht man keine jungen Menschen. Nur die Alten arbeiten hier und da auf kleinen Feldern, die offenkundig dem Eigenverbrauch dienen. Im übrigen liegt das einstmals agrarisch geprägte Land brach. Die Herrensitze sind ebenso wie die Kirchen buchstäblich bis auf den Grundstein abgetragen worden, und vieles hat die Schlußphase des Zweiten Weltkriegs bereits besorgt, als im ostpreußischen Kerngebiet praktisch um jeden Meter erbittert gekämpft wurde. Auf nahezu jedem Dach oder Schornstein nisten Störche, die Jungen am schwarzen Schnabel erkennbar. Ostpreußen muß ihr Stammland sein.

Da die Überlandstraßen gut ausgebaut sind, kann man das Königsberger Gebiet, das in etwa die Größe von Schleswig-Holstein hat, binnen eines Tages in der West-Ost-Ausrichtung durcheilen. Die Strecke von Königsberg nach Eydtkuhnen an der Grenze zu Litauen ist dabei identisch mit der alten Reichsstraße eins. Mitunter existiert noch die Bepflasterung aus der Kaiserzeit. Da am Straßenmaterial von heute offenkundig gespart wurde, löst sich der Fahrbahnbelag bei höheren Temperaturen im Sommer rasch auf. Bald sind die Reifen des Fahrzeugs verklebt, was den russischen Fahrer aber kaum dazu anhält, seine Geschwindigkeit zurückzunehmen. Mitunter rücken die Alleebäume, welche die Straßen flankieren und ein Bild der Vorkriegszeit vermitteln, beim Überholen eines müden Lastautos dicht heran.

Immer wieder herrscht Betroffenheit unter den Reisenden, wenn der Kleinbus in einen Ort hinein rollt, den man von der Karte her oder aus den Erzählungen der Eltern kennt. Ein paar intakte Ferienhäuser oder Villen am Stadtrand lassen die Hoffnung auf intakte Straßenzüge in der Ortsmitte aufkommen. Aber dann kommt immer wieder die große Leere, ein ausgeräumtes Zentrum, so daß auch das monumentale Kriegerdenkmal kaum verdecken kann, daß man sich im Grunde genommen auf einer archäologischen Tour befindet. Reisen in Ostpreußen ist sehr oft mühsame, vergebliche Spurensuche.

Von einigen Stadtteilen in Königsberg und Tilsit einmal abgesehen, fühlt man sich daher in Meeresnähe am wohlsten. Rauschen hat den Krieg unzerstört überlebt. Und hier ist es im Lande zweifellos am schönsten.

Aber man wird sich mit Reisen dorthin beeilen müssen. Rußland, vom Schwarzen Meer einmal abgesehen, klimatisch nicht gerade begünstigt, hat diesen Küstenabschnitt entdeckt. Überall zwischen Rauschen und Cranz entstehen Ferienhäuser, die sich vom Wasser über Hunderte von Metern hinweg ins Inland erstrecken. Bebauungspläne scheinen nicht zu existieren. Es sieht nach Wildem Osten aus. Und mit besonderem Bedauern nimmt man die protzigen Behausungen neureicher Moskauer Millionäre in Rauschen zur Kenntnis. Sie werden zur Folge haben, daß sich das Ortsbild in kürzester Zeit dramatisch verändern wird. Schon jetzt mußte manches Holzhaus aus der Vorkriegszeit den Neubauten weichen, vor denen große Limousinen und schwarze Geländewagen mit getönten Scheiben parken.

In Cranz liegen die Massen im Sommer und am Wochenende zwischen Kieseln und Felsbrocken am Strand, dessen wunderbarer Sand von der Strömung weitestgehend fortgetragen wurde. Aber einige Kilometer weiter, wo die Kurische Nehrung beginnt, ist Ostpreußen wieder das, was sich der Besucher erhofft. Kurz hinter der einstmals weltberühmten Vogelwarte von Rossitten stampft die Reisegruppe den steilen Hang hinauf auf eine riesige Wanderdüne. Von den beiden Aussichtsplattformen ergibt sich ein phänomenaler Blick auf das Haff und die Ostsee. In der Ferne ist der Leuchtturm von Nidden zu sehen.


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