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14.04.07 / Dem Leid eine Stimme geben / Siegfried Matthus will mit seinem "Lamento" Erinnerungen wachrufen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Dem Leid eine Stimme geben
Siegfried Matthus will mit seinem "Lamento" Erinnerungen wachrufen
von Silke Osman

Der Fernsehfilm "Die Flucht" hat seit langem einmal wieder die Gemüter bewegt. Nicht nur Heimatvertriebene sprechen über das grausige Geschehen vor mehr als sechs Jahrzehnten. Viele aber können nicht mehr erzählen, was damals geschah. Sie sind für immer verstummt. Ihr Leiden, ihr Schicksal im Bewußtsein der Menschen zu bewahren ist Aufgabe der Nachgewachsenen. Und ein jeder hat seine eigene Art, das Geschehen zum Ende des Krieges zu schildern. Der Komponist Siegfried Matthus, geboren 1934 in Mallenuppen, Kreis Darkehmen (Angerapp), hat als Kind die Flucht erlebt.

Im Chaos der Flucht verlor der Zehnjährige den Kontakt zu Mutter und Vater sowie zu den jüngeren Geschwistern. Allein die 84jährige kranke Großmutter und die Tante waren noch da. "Meine Tante und ich betteten meine bettlägerige Großmutter auf einer abgerissenen Wagentür und zogen diese durch den Schnee", erinnert sich Matthus. "Wir wären nicht sehr weit gekommen, wenn meine Tante es nicht erreicht hätte, daß wir unseren Türschlitten an einen pferdegezogenen Verwundetentransport anhängen durften und wir so bevorzugt auf die Fähre kamen. So hat meine sterbende Großmutter es mir ermöglicht, noch aus dem Menschenkessel herauszukommen, der dann kurz danach von der sowjetischen Armee geschlossen wurde.

In einem Lager im Danziger Hafen warteten wir auf ein Schiff, das uns nach Swinemünde bringen sollte. Als das Schiff mit den Insassen des Lagers beladen wurde, nahm man uns mit der sterbenden Großmutter nicht mit. Ob das Schiff jemals angekommen ist, weiß ich nicht.

Wir brachten die Großmutter in ein Krankenhaus, in dem sie dann verstarb. Ihre Urne wurde auf einem alten Friedhof beigesetzt, der später eingeebnet wurde und auf dem heute das Danziger Opernhaus steht.

Meine Tante und ich erreichten auf einem neun Wochen dauernden Treck zuerst Mecklenburg und dann Brandenburg."

Die Familie fand schließlich im Sommer 1946 in einem kleinen brandenburgischen Dorf wieder zusammen. Doch: "Wenn ich heute über diese Ereignisse nachdenke, dann glaube ich daran, einen Schutzengel gehabt zu haben, den ich in meiner kindlichen Phantasie auch einmal in einem abendlichen Fenster meines Geburtshauses gesehen habe. Ich habe überlebt und kann heute noch davon berichten. Viele meiner Landsleute, die nicht mehr aus Ostpreußen herausgekommen, dort verhungert, in sibirischen Arbeitslagern verstorben oder auf untergehenden Schiffen in der Ostsee ertrunken sind, können kein Zeugnis von dem unendlichen Leid mehr abgeben."

Siegfried Matthus hat nun mit seiner ihm eigenen Sprache, der Sprache der Musik, versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Entstanden ist das Orchesterwerk "Lamento - Musikalische Erinnerungen" für Großes Orchester und Sopransolo. Gewidmet hat Matthus die Komposition, die im Auftrag des Dirigenten Christian Thielemann entstand, seiner Mutter Luise Matthus, geborene Perrey, und seiner Großmutter Maria Matthus, geborene Felter. Zur Uraufführung am 4. Mai in München (Gasteig) spielen die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Christian Thielemann. Das Solo singt Hyun-Ju Park. - Den Zuhörer erwartet erlebte und erlittene Geschichte, meisterhaft umgesetzt in ergreifende Musik.


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