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14.04.07 / Mal so im Suff ... / ... drei Jugendliche und ihr brutaler Mord an einem Freund

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Mal so im Suff ...
... drei Jugendliche und ihr brutaler Mord an einem Freund
von Rebecca Bellano

Unglaube! Entsetzen, das sich sogar körperlich in Übelkeit auswirkt! Das löst die Lektüre von "Der Kick - Ein Lehrstück über Gewalt" aus.

Bei "Der Kick" handelt es sich allerdings um keine normales Buch. Der Dokumentarfilmer Andres Veiel hat für einen Film damit begonnen, Aussagen, Prozeßakten und Medienberichte über einen aufsehenerregenden Mordfall zu sammeln. Neben diesem inzwischen mehrfach ausgezeichneten Film entwarf er noch ein Theaterstück und das besagte Buch, in dem er nicht nur den Fall dokumentiert, sondern ihn auch zu erklären versucht.

Potzlow, Brandenburg, 13. Juli 2002, die 17jährigen Freunde Marcel und Sebastian sowie Marcels 23jähriger Bruder Marco treffen bei einem Saufgelage beim ortsbekannten erwachsenen Alkoholiker Achim Marcels Bekannten Marinus. Es wird fleißig gesoffen, der 16jährige Marinus zum Trinken gezwungen, dann gemeinsam weitergezogen zu den Meiners, wo das Ärgern in Quälen übergeht, Marinus muß trinken, bis er kotzt, und behaupten, daß er Jude sei. Irgendwann fangen die Jungs an, den Jüngeren zu schlagen und zu treten, Sebastian uriniert auf den am Boden Liegenden, erst auf den Körper dann ins Gesicht. Irgendwann lassen sie von ihm ab, fahren nach Hause, um dann wieder umzukehren. Noch etwas "Angst machen" wollen sie ihrem Opfer, schleppen es zu einem abgelegenen, leerstehendem Stall. Was dann folgt, basiert auf dem Film "American History X": Marinus soll in einen Futtertrog beißen, während er reinbeißt und nichts sieht, springt Marcel ihm auf den Schädel, als Marinus noch nicht tot ist, holt Marcel einen Stein und erschlägt sein entstelltes Opfer. Zu dritt verbuddeln sie die Leiche.

Wer glaubt, daß dies der grausame Höhepunkt sei, der irrt! Viel unglaublicher ist das Schweigen im Ort, die Bereitschaft der Menschen im 600-Seelen-Ort Potzlow, Verdächtiges für sich zu behalten. Denn obwohl Marinus' Mutter den Sohn vermißt meldet, melden weder Achim noch die Meiners, daß der Schüler am Tage seines Verschwindens bei ihnen war und von den anderen gequält wurde. Auch die Jugendlichen, denen Marcel stolz die vergrabene Leiche zeigt, schweigen, der Vater eines Mädchens verbietet ihr, das Gesehene zu melden, da es ja dann "nur Ärger" gebe. Erst als Marinus' Freund Matthias vom Gerücht der verscharrten Leiche hört, kommt Marinus' Verbleib an die Öffentlichkeit.

Eine rechtsradikale Tat, so wird der Fall in den Medien genannt, da die Täter sich rechtsradikal geben. Was rechtsradikal sein in einem brandenburgischen Dorf bedeutet, offenbart der Dokumentarfilmer Veiel. Und was er da zu Tage bringt, ist unglaublich. Täter und Opfer sind alles Jugendliche mit einer gescheiterten Schulkarriere. Ohne Abschluß und Chance auf Ausbildung sind sie Kleinkriminelle, wenn auch auf sehr ungeschickte Weise. Marco hat schon mehrfach im Gefängnis gesessen, die anderen haben auch schon Jugendstrafen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Marco und Marcel in ihrer rechten Clique erfahren, gibt ihnen Halt. Beim Saufen und Rufen rechtsradikaler Sprüche, deren Sinn sie intellektuell überhaupt nicht erfassen, können sich die Gescheiterten noch richtig als Mann fühlen ... und die Erwachsenen um sie herum tolerieren es. "Die wollten den Abend irgendeinen aufklatschen da ... Wie das heute is unter Jugendlichen. Heute machen wir Feetz, und heute muß einer dran glauben, nach dem Motto", so erklärt sich der Bürgermeister der Gemeinde Oberucksee den Fall. Die Mutter von Marco und Marcel findet das Vorgefallene auch ganz alltäglich, schließlich sei auch Marco schon mal zusammengeschlagen worden: "Ebensogut hätt' einer von unseren Jungs das Opfer sein können", sagt sie über ihre Täter-Söhne.

Da Marinus stotterte, Hiphopper war, also nicht zur rechten Szene gehörte, und aus einer sozial schwachen, als asozial geltenden Familie mit sieben Kindern stammte, war er für die Brüder ein willkommenes Opfer. Deren Eltern waren erst ein Jahr zuvor arbeitslos geworden und aus dem Mittelstand in die Bedürftigkeit gerutscht.

Allen drei Familien, die des Opfers und der Täter, ist die Erziehung ihrer Söhne schon lange nicht mehr geglückt. Alkoholexzessen, Schlägereien, miserablen Schulnoten, Diebstählen und dem Brechen jeglicher familiärer Regeln durch ihre Söhne sind sie hilflos ausgeliefert. Resignation und Gleichgültigkeit sind ihre Reaktion, eine Verhalten, daß Andres Veiel bei seinen Recherchen immer wieder antrifft.

"Das Buch verzichtet auf einfache Erklärungs- und damit auch Lösungsangebote", merkt der Autor an. "Wenn es sie gäbe, wäre die Entwicklung einer gezielten Präventionsstrategie gegen Jugendgewalt nicht so schwierig." Doch er nennt Gründe und Ursachen, die helfen, das Geschehen einzuordnen, auch wenn man es nicht verstehen kann.

Potzlow, ein Ort in einem Wertevakuum und voller Tabus, wie der zugezogene ehemalige Pfarrer des Ortes meint, zeigt gesellschaftliche Mißstände auf, die den Nährboden für Taten wie diese bilden. Die Aussagen der Befragten zeugen von fehlender Bildung sowie mangelnder Intelligenz und Menschlichkeit. Jegliches Zusammengehörigkeitsgefühl ist abhandengekommen, trotzdem ist Potzlow kein "Mörderdorf", wie der Autor belegt.

Andres Veiel: "Der Kick - Ein Lehrstück über Gewalt", dva, München 2007, broschiert, 285 Seiten, 14,95 Euro, Best.-Nr. 6126

Foto: Mörder mit Kindergesicht: Marcel (Mitte), sein Bruder Marco (l.) und Freund Sebastian (r.)


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