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14.04.07 / Die Geliebte des Vaters / Mittfünfziger sucht seine Wurzeln und findet zu sich selbst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Die Geliebte des Vaters
Mittfünfziger sucht seine Wurzeln und findet zu sich selbst

Glücklich? Nein, das ist der männliche Ich-Erzähler in Urs Faes neuem Roman "Liebesarchiv" zwar nicht gerade, aber da er beruflich als Autor einigermaßen Erfolg hat und regelmäßig auf Lesereise ist, verdrängt er jegliche Empfindungen. Doch eines Tages steht nach einer Lesung eine alte Dame vor ihm, die behauptet, die Geliebte seines Vaters gewesen zu sein.

Was der Ich-Erzähler schon lange geahnt hat, wird nun zur Gewißheit, alte Erinnerungen tauchen wieder auf, die die Aussagen der Frau namens Anna Altmann bestätigen, doch der inzwischen selbst schon alternde Sohn verweigert sich der Erkenntnis und dem Kontakt zur einstigen Geliebten seines Vaters und macht weiter wie bisher.

Als nach dem Tod der Frau deren Tochter Vera den Ich-Erzähler bittet, das Liebesarchiv des Vaters abzuholen, wirft es ihn jedoch emotional aus der Bahn, zumal er gerade von seiner langjährigen Lebensgefährtin verlassen wurde. Bei einer Lesung im Baltikum fängt er vor Studenten plötzlich an, davon zu reden, wie wichtig es sei, seine Wurzeln zu kennen. Nach seinen eigenen beginnt er nun in Begleitung von Vera zu suchen und stößt auf ein privates Drama der Nachrkiegszeit, das mit einer Leiche ihren sichtbaren Höhepunkt erreicht hatte. Aufgrund falschverstandenen Verantwortungsgefühls hatten sein Vater und Veras Mutter nicht nur ihr eigenes Glück, sondern auch das ihrer kurzzeitig allein zurückgelassenen Familien zerstört. Denn nachdem der Vater Anna Altmann wieder verlassen hatte, waren die entstanden Schäden irreparabel.

"Der Vater durchstreifte nie mehr mit mir die Felder; er nahm mich nie mehr mit zum Pilzesuchen in den Wald. Der Vater war ein anderer. Ich war auch ein anderer, für den Vater und für die Mutter. Für den Vater war ich einer, der gelegentlich mit ihm arbeitete; für die Mutter war ich einer, der zuhörte, weil der eigene Mann nicht mehr zuhörte oder weil sie ihn als Zuhörer nicht mehr wollte."

Stück für Stück beginnt der Ich-Erzähler, seine Eltern und auch sich zu verstehen und erkennt, wie sehr sein Vater für seinen Fehltritt leiden mußte. "Mein Vater ist ein Sträfling, dachte ich, einer, der keine Rechte mehr hat, weil er desertiert ist." Je mehr er aufhört, seinen Vater für dessen menschliches Fehlverhalten zu hassen, desto mehr kann er sich auf sein eigenes Leben konzentrieren. Diesen Prozeß schildert der Schweizer Autor Urs Faes so spannend, daß Lesespaß garantiert ist. R. Bellano

Urs Faes: "Liebesarchiv", Suhrkamp, Frankfurt / Main 2007, geb., 227 Seiten, 19,80 Euro, Best.-Nr. 6128


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